Von Artemisia bis Zaibat. Kräuterbücher um 1500
Hieronymus Bock: Kräuterbuch. 1556. Vorderdeckel
Kräuterbücher sind häufig prachtvoll illustrierte Nachschlagewerke, die pflanzliche, tierische und mineralische Arzneidrogen beschreiben und ihre pharmazeutische Verwendung erläutern. Aber von Beginn an ̶ Gottes Werk am dritten Schöpfungstag sind die Pflanzen und Kräuter jeglicher Art ̶ stellen viele der antiken und mittelalterlichen Pflanzenbezeichnungen die Pharmazeuten und Botaniker vor unlösbare Probleme. Kräuterkundige und Ärzte hatten ständig die Schwierigkeit, eine einheitliche, allgemeingültige und auch noch übersichtliche Ordnung im Pflanzenreich zu finden. Lateinische und arabische Bezeichnungen gegenüber regionalen, volkssprachlichen Synonymen erschwerten die Terminologiefindung. Erst Abbildungen brachten Klarheit.
Die Kräuterbücher unserer Ausstellung spiegeln am Ende des Mittelalters das botanische Wissen der Zeit. Die praktische Verwendbarkeit der Pflanze steht im Vordergrund und ihre Wirkung als Heilmittel. Wir finden deshalb darin die Einflüsse sowohl der Volksmedizin als auch der mittelalterlichen Klostermedizin.
Artemisia / Wermut. Abbildung aus: Dioskurides, FA I 317983,1 f22v
Die mittelalterlichen Mönchsregeln enthalten Bestimmungen über die Behandlung von Kranken, deren Unterbringung und Versorgung. Da den Mönchen chirurgische Eingriffe verboten waren, blieben als Behandlungsformen das Gebet und die innere Medizin. Die Ordensregeln verlangten daher auch das Anlegen eines Klostergartens für die benötigten Heilpflanzen.
Ausschnitt aus dem idealtypischen Klosterplans von Sankt Gallen (entstanden um 820). Der Gemüsegarten (hortus) mit rechteckigen Beeten und den Pflanzenbezeichnungen Zwiebel, Knoblauch, Lauch, Schalotten, Sellerie, Petersil, Koriander, Kerbel, Dill, Salat, Mohn, Pfefferkraut, Rettich, Pastinaken, Kohl, Mangold und Schwarzkümmel. Die Klostergärten spiegeln das weitreichende botanische Wissen und die umfassende medizinische Erfahrung in der Anwendung und der Wirkung der verschiedenen Kräuter.
Abbildung aus UBK Signatur: FA II 186912
Medizinische Sammelhandschrift
UBK Signatur: PA 170
Theoretisches und praktisches Wissen der Klostermedizin zeigt die Handschrift PA 170 mit 5 Texten aus dem 15. Jh. in Latein und Deutsch:
Sie enthält den Commentarius artis medicae, des Antonius Musa, des griechischen Leibarztes des römischen Kaisers Augustus. Weiters den Thesaurus pauperum medicus, eine Rezeptsammlung im Stil einer „Armenapotheke“ des Petrus Hispanus (1210-77), des späteren Papstes Johannes XXI.
Petrus war Physicus in Siena und gilt als der bedeutendste scholastische Arzt des Mittelalters. Er nennt Gott den „pater pauperum“, dessen Schöpfung Heilpflanzen und -kräfte für alles bietet und wie später Hildegard von Bingen, dass Gott alleine über den Erfolg einer jeden Therapie entscheidet „summa medicus Christus, qui sanat ut vult omnes infirnitates“. Es gibt Medizinischen Glossen und als vierten Text ein Heilmittel- und Pflanzenverzeichnis.
PA 170, Blatt 130r
Der Textbereich beginnt mit einer Leerstelle für die Initiale „A“, die aber nicht ausgeführt wurde, das erste Wort lautet als daher „Rthemsia“. Artemisia = Wermut (auch Beifuß oder Edelraute). Auch bei allen weiteren Anfängen von neuen Buchstabenblöcken fehlt jeweils die Initiale. Die Leerstellen zeigen, dass die Illuminierung der Initialen – also die farbliche Ausgestaltung – nicht durchgeführt wurde.
PA 170, Blatt 138r
Die Liste endet mit „Zaibat id est argentum vivum“. Zaibat = Quecksilber, auch Vitriolum oder Mercurius, ein unerlässliches Mittel für die alchemistische Goldherstellung.
Der fünfte Text beschreibt eine Confectio vinorum. Solche Destillieranleitungen waren häufig den Kräuterbüchern angefügt.
PA 170 Vorderdeckel Innenseite
Vorbesitzereinträge im Vorderdeckel weisen auf ein Marienkloster in Oberndorff, auf einen Drecz Czibbacher de Villako und auf das Augustiner Chorherrenstift Eberndorf. 1603, nach der Aufhebung des Klosters, kam die Handschrift nach Klagenfurt in die Bibliothek des Jesuitenkollegs, der Vorgängerin der heutigen Universitätsbibliothek.
Herbarius
gedruckt in Passau bei Johann Petri, um 1486
UBK Signatur: IN I 12834
Die Popularität der Heilkunst um 1500 hatte ihre Ursachen in der Entwicklung des Buchdrucks, der die Wissenschaft von der Heilwirkung der Kräuter nun auch den Laien ins Haus brachte. Die Kenntnis der Kräuter und ihrer Heilwirkungen war im Volk noch allgemein verbreitet, wie handschriftliche Kräuterbücher und Pflanzenglossare belegen. Das Vertrauen zu den von den Städten angestellten Ärzten war nicht allzu groß. So griff man gerne zum Kräuterbuch.
Der Herbarius zeigt 150 Pflanzendarstellungen mit Kommentaren in alphabetischer Reihe. Neben den lateinische Pflanzennamen stehen Synonyma in bayrisch-mundartlicher Dialektform.
Herbarius 1486, Blatt 32: Cicorea / wegrat [= Wegwarte]
Die vielen handschriftliche Vermerke bei einzelnen Pflanzen zeugen vom intensiven Gebrauch. In der Einfachheit seiner schematischen Holzschnittillustration sollte der Herbarius auf die Bedürfnisse von Laien eingehen, die keinen Zugang zu Ärzten hatten. Die Abbildungen konnten entscheidend dazu beitragen, die Pflanzen zu identifizieren und Verwechslungen auszuschließen.
Im Anhang folgt eine Liste mit in Apotheken käuflichen Laxiermitteln, Spezereien, Wurzeln, Harzen, Salzen, Mineralien und tierischen Produkten.
Dieser lateinische Herbarius ist der erste, entscheidende Schritt heraus aus dem mittelalterlichen Kontext: Durch den Druck eröffnet sich für den Text plötzlich ein breites Publikum. So wird er zum Prototyp für alle weiteren Kräuterbücher des späten 15. Jahrhunderts und das beliebteste Kräuterbuch der Inkunabelzeit. Es sind dreizehn verschiedene Ausgaben erhalten. Auch wenn er sich inhaltlich noch völlig am Bisherigen orientiert. Im Text ist es noch mittelalterlich, angelehnt hauptsächlich an das berühmte Speculum naturale des Vinzenz von Beauvais (1184-1264).
Herbarius Blatt 1: Absintheum wermut
Der Vorbesitzereintrag zeigt, dass das Exemplar der UB ursprünglich aus dem Kloster Ossiach stammt. Es kam 1783 in die Studienbibliothek Klagenfurt. Nur 21 Stück dieses Herbariums haben sich überhaupt erhalten, in Österreich gibt es nur noch 1 weiteres Exemplar.
Gart der Gesundheit
Augsburg: Johann Schönsberger, Bonifaztag [= 5. Juni] 1486
UBK Signatur: IN II 12757
Gart der Gesundheit, 1486, Blatt 93: Akelei, Efeu und Gundelrebe
Der „Gart der Gesundheit“ ist eines der ersten gedruckten Kräuterbücher in deutscher Sprache und deshalb wohl das einflussreichste. Es zählt zu den wichtigsten spätmittelalterlichen Werken zur Kenntnis der Naturkunde, insbesondere der Heilpflanzen. 382 Pflanzen, 25 Drogen aus dem Tierreich und 28 Mineralien werden beschrieben und in kolorierten Holzschnitten abgebildet.
Gart der Gesundheit, 1486, Blatt 133: Hase
Der Herausgeber ist Johannes Wonnecke von Kaub (1430-1503), ein deutscher Arzt und Botaniker. Sein Werk wurde vielfach übersetzt, sogar ins Russische, und immer wieder aufgelegt.
Kräuterbücher dieser Art waren wichtige Wissenschaftswerke des Spätmittelalters, sehr weit verbreitet und gingen als Volksbücher in die Buchgeschichte ein.
Hieronymus Bock: Kreuterbuch
Strassburg: Rihel. 1556
Erster Nachdruck der 3. Auflage, mit über 700 kolorierten Holzstichen und Registern nach Pflanzennamen und nach Krankheiten.
UB Signatur: ES II 17711
Bock: Kräuterbuch, Frontispiz
Hieronymus Bock war Botaniker, lutherischer Prediger und Arzt. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er möglichst viel in der Natur selbst zu sehen suchte. Er unternahm zahlreiche Wanderungen im westlichen Deutschland. Seine ausgedehnten Reisen führten ihn um 1530 in die Ardennen, ins Jura und in die Schweizer Alpen. Er versuchte sich als einer der ersten Wissenschaftler seiner Zeit an einer umfassenden Aufnahme und Beschreibung der mitteleuropäischen (Heil-)Pflanzen.
Bock zitiert in seinen Beschreibungen zwar auch kurz die klassischen botanischen Autoritäten, aber kritisch: er benennt durchaus deren Irrtümer und Fehler. Er bringt viel Neues: beschreibt den Habitus der Pflanzen sowie deren Entwicklung im Verlauf der Vegetationsperioden und liefert ausführliche Angaben zu den Fundorten.
Kräuterbuch, S. 285: Bärlauch
Seine Holzschnitte sind naturgetreuer als diejenigen seiner Vorgänger, seine Pflanzenbeschreibungen ausführlicher. Er bereichert sie zusätzlich mit Beschreibungen und Kommentaren aus seinen sorgsamen Beobachtungen und langjährigen Erfahrungen als Arzt.
Kräuterbuch, S. 174: Petersil
Diese seine Art, neues Wissen zu schaffen, macht Hieronymus Bock am Beginn der Neuzeit zu einem der Väter der modernen Biologie.
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