Virginal: Der Text
Heidelberg, UB, Cpg 324, Hagenau: Diebold Lauber, um 1444-1448
43r: Drachenkampf Dietrichs und Hildebrants
https://doi.org/10.11588/diglit.2207#0230
Die Gestalt Dietrichs von Bern, die auf den historischen Gotenkönig Theoderich (453-526) zurückgeht, spielt die Hauptrolle in den historischen und den aventiurehaften Dietrichepen. Der vorliegende Text heißt Virginal, benannt nach der Zwergenkönigin, der Dietrich gegen eine Schar das Land plündernder Sarazenen beisteht. Virginal erscheint als Vertreterin einer vorbildlichen höfischen Gesellschaft, in deren Dienst Dietrich die Rechte und Pflichten eines feudal-adligen Landesherrn erlernen soll. Auf dem Weg zu dieser Bestimmung muss Dietrich mit seinem Begleiter Hildebrant Drachenkämpfe bestehen, gerät er zur falschen Burg und wird dort als Unbewaffneter von einem Riesen gefangen genommen. Hildebrand sammelt die Getreuen des Berners, die im Kampf gegen die Riesen siegen und ihn aus der Gefangenschaft befreien. In Jeraspunt, der Residenz der Königin Virginal, werden die Kämpfer festlich empfangen. Dietrich begegnet endlich der Königin und verfällt der Liebe zu ihr. Sie übergibt ihm ihr Land und sich selbst als Braut. Doch zur Eheschließung kommt es nicht, da Boten aus Bern ihn als König in sein eigenes Reich zurückrufen.
Die Virginal entstand Ende des 13. Jahrhunderts im elsässischen Raum. Der Verfasser des Texts ist, wie bei allen Dietrich-Epen, unbekannt.
Virginal, Klagenfurt, UB, PE 74, 1r/v
Foto: PE74©aau/ub (s/w Foto, beidseitig)
Das unbekannte Fragment (Klagenfurt, UB, PE 74)
Der Längstreifen wurde vom Rücken eines Buchblocks gelöst, wie Fotoabzüge des Fragments zeigen, die vor der Entnahme angefertigt wurden. Der Buchblock besteht aus 6 Lagen. Demnach müsste der – bislang nicht wiedergefundene – Trägerband nur 48 Blätter enthalten haben. Die hier makulierte Handschrift war zweispaltig zu je 39 Zeilen angelegt. Jeweils sechs Strophen fanden auf jeder Seite Platz.
Die Blattgröße betrug ca. 22,5 x 18 cm. Die Schrift ist eine Textualis aus dem 1. Viertel des 14. Jahrhunderts. Die Schreibsprache kann als niederalemannisch/elsässisch bestimmt werden.
Virginal, Klagenfurt, UB, PE 74, 1v
Foto PE74©aau/ub
Textidentifikation
Trotz des schmalen Ausschnitts aus den Strophen ließen sich zunächst die Namen Hildebrant (verso, Zeile 1) und Dietrich (verso, Z. 17) erkennen. Die Helden Dietrich von Bern und Hildebrand gehören jedoch zum Personal recht vieler heldenepischer Texte, vom Nibelungenlied bis zur Dietrichepik.
Transkription
Die Versbruchstücke des Fragments mussten also transkribiert werden (hier rot markiert). Diese Entzifferung der Zeilenreste ließ dann mit Hilfe von Datenbanken mittelalterlicher Texte die Ergänzung zum Volltext zu und so war es nicht mehr allzu aufwendig, den Text unter den bekannten Dietrich-Epen als neuen Überlieferungszeugen der Virginal zu identifizieren. Überliefert sind recto die Strophen 345–347 und verso Str. 348 und 369–370. Die auffällige Textlücke wird damit erklärt, dass dem Abschreiber ein Doppelblatt an der Vorlage fehlte.
Einordnung in die Überlieferung
Der neue Überlieferungszeuge, der nach der Chronologie der Siglenvergabe mit der Sigle V14 bezeichnet wurde, ordnet sich keiner der bisher bekannten makulierten Handschriften zu. Die Datierung der Schrift auf das frühe 14. Jahrhundert legt die Hypothese nahe, dass es sich hier um die früheste überlieferte Handschrift der Virginal handelt. Die Schreibsprache liefert ein zusätzliches Argument dafür, dass diese Handschrift aus dem unmittelbaren Entstehungsraum des Werks, dem Elsass, stammt und somit auch der originalnächste Überlieferungszeuge ist.
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