Johann von Neumarkt: Hieronymus-Briefe (PE 73)
Johannes von Neumarkt (Jan IX. ze Středy), 14. Jh., anonym
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Johann von Neumarkt entstammt einer Patrizierfamilie aus Neumarkt/ Schlesien, wo er um 1315/20 geboren wurde. Er war Schreiber des Herzogs Nikolaus von Münsterberg und in der Breslauer Kanzlei König Johanns von Böhmen tätig. Nach dessen Tod 1346 trat er als Notar in die Dienste König Karls IV., wo er nacheinander die Ämter des Protonotars, des Hofkanzlers und des Kanzleivorstands wahrnahm. Neben diesen weltlichen Ämtern machte er auch in der Kirche Karriere: 1353 wurde er erster Bischof des von Karl IV. neu gestifteten Bistums Leitomischl in Böhmen, 1364 Bischof von Olmütz, und 1380 erwählter Bischof von Breslau. Letzteres Amt konnte er nicht mehr antreten; er starb an Heiligabend 1380 in Leitomischl.
Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 483, 1r
https://doi.org/10.11588/diglit.276#0005
Das Werk
Aus Italien brachte Johann 1368/69 ein Exemplar der Hieronymus-Briefe mit nach Hause, die, wie man heute weiß, eine Fälschung des 12. oder 13. Jahrhunderts sind und nicht von Eusebius, Augustinus und Cyrillus stammen. Der Eusebiusbrief würdigt das Leben des heiligen Hieronymus und enthält einen Bericht von seinem Tod. Der zweite, Augustinus zugeschrieben, ist eine Jenseitsvision, und der dritte Brief, Cyrillus zugeschrieben, erzählt die von Hieronymus bewirkten Wunder. Johann von Neumarkt hat den Text um 1377 ins Deutsche übersetzt und der Markgräfin Elisabeth von Mähren gewidmet. Zunächst zur Lektüre der Damen am Kaiserhof gedacht, fand die Schrift rasch weite Verbreitung, insbesondere in Frauenklöstern und in Benediktinerstiften der Melker Reform. Bekannt waren bislang 65 Handschriften des Werks. Das Klagenfurter Fragment wurde erst kürzlich neu entdeckt.
Klagenfurt, UB, PE 73, 2
Foto: Foto PE73©aau/ub
Das Fragment PE 73
Das in jüngerer gotischer Kursive um 1400 beschriebene Blatt umfasst Teile der Kapitel 10 und 11 des Briefs des [Ps.-] Cyrillus an Augustinus. Die Schreibsprache lässt sich als bairisch-österreichisch bestimmen: wahrscheinlich hat der Schreiber den Text in Wien oder Umgebung niedergeschrieben.
Der vorliegende Ausschnitt bietet die Erzählung vom Tod des heiligen Eusebius. Drei Tage bevor Sankt Eusebius zu sterben vorausgesagt war, erkrankte er, ließ sich mit dem Sacke bedecken, den Sankt Hieronymus getragen hatte. Drei Tage lag er bewusstlos, während seine Mitbrüder Gebete sprachen und den Psalter lasen. (XI. Kapitel) Zwei Stunden vor seinem Tod bekam Sankt Eusebius einen Anfall und schrie mit verzerrtem Gesicht und lauter Stimme: „Ich tue es nicht, ich tue es nicht, du lügst, du lügst!“ Auf die Frage seiner Mitbrüder, was er meine, berichtete er von einer großen Schar von Teufeln, die ihn umgebe und ihn überreden wolle, Gottes Namen zu schmähen, da er ohnehin keine Gnade von Gott erwarten könne. Doch Eusebius erkannte, dass die Teufelsschar ihn mit einer Lüge überwältigen wollte.
Klagenfurt, UB, I ES 6560, 76-77
Foto: Foto IES6560©aau/ub
Der Trägerband
Das Pergament-Fragment wurde vom Einband des Drucks I ES 6560 (UB Klagenfurt) gelöst, den die Klagenfurter Jesuiten erst 1709 erworben haben. Es handelt sich bei dem Druck um die antiprotestantische Streitschrift des Jesuiten Christoph Kissenpfenning (1623-1663): Idea Lutheranismi, Das ist: Abriß deß Lutherthumbs (Wien 1661). Der Zeitraum von 50 Jahren zwischen dem Druckdatum und dem Ankauf des Buchs lässt darauf schließen, dass der Titel bereits mit dem provisorischen Umschlag erworben wurde.
Zu vermuten wäre, dass die primären, adligen Adressatinnen der Hieronymus-Briefe ihren Nachlass ihren Konventen bzw. Hausklöstern hinterließen, nach deren Auflassung die Schriften dann im Wiener Raum makuliert und für die Einbindung aktueller gedruckter Literatur verwendet wurden. Zwischen der Entstehung der Hieronymus-Briefe (1377) und ihrer Makulierung lägen somit fast 300 Jahre.
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