Öffentliche Ring-Vorlesung: 100 Jahre Mythos Kärnten / 100 let koroškega mita
Vortragende und Abstracts
Valentin Inzko
„100 Jahre Mythos Kärnten / 100 let koroškega mita“
Valentin Inzko, geb. 1949 in Sveče/Suetschach, ist ein österreichischer Diplomat. Er ist seit 2009 Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina.
Von 1955 bis 1959 besuchte Valentin Inzko die zweisprachige Volksschule in Suetschach (Sveče) im Rosental (Rož). Danach war er bis 1967 im Bundesgymnasium für Slowenen in Klagenfurt (Celovec). Im Jahr 1967 begann er mit den Studien der Rechtswissenschaften sowie von Serbokroatisch und Russisch an der Universität Graz. 1972 promovierte er zum Doktor juris. Im Anschluss absolvierte er die Diplomatische Akademie in Wien.
Von 2005 bis 2009 war Valentin Inzko Botschafter in Ljubljana für die Republik Slowenien.
2009 wurde er Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, der Beauftragte der UNO für die Resolution 1031 des UN-Sicherheitsrates und die Umsetzung des Dayton-Abkommens zur Konsolidierung des Landes. Er ist nach Wolfgang Petritsch der zweite Österreicher in dieser Funktion. Von 2009 bis 2011 bekleidete er damit auch den Posten des EU-Sonderbeauftragten für Bosnien-Herzegowina.
Walter Fanta
Das komische Kärnten. Literarisch-satirische Dekonstruktion des Kärnten Mythos
Der Vortrag nähert sich dem Kärnten-Mythos aus einer Meta-Perspektive. Was ist er? Was besagt er? Wie zeigt er sich im Alltag? Welche Rolle spielt er für die Identität des einzelnen, für die kollektive Identität? Welche Funktion hat er für die Fremdwahrnehmung, für das Bild von Kärnten? Aus welchen literarischen und pseudo-literarischen (historiographischen) Versatzstücken ist er konstruiert? Wie verhält er sich im wissenschaftlichen Zugriff? Im zweiten Teil des Vortrags wird exemplarisch auf Formen der Mythos-Dekonstruktion hingewiesen: im literarischen Werk von Peter Handke, Werner Kofler und Josef Winkler.
Walter Fanta, geboren 1958, Germanist, Historiker, seit 2000 Mitarbeiter am Robert-Musil-Institut für Literaturforschung / Kärntner Literaturarchiv an der AAU. Im Hauptamt Herausgeber der Schriften Robert Musils digital (Klagenfurter Ausgabe, musilonline) und in einer 12bändigen Gesamtausgabe (2016-2021 bei Jung und Jung, Salzburg). Im Nebenamt Analytiker der Kärntner Geschichte und der Kärntner Seele, gem. m. Valentin Sima: ‚Stehst mitten drin im Land‘, Das europäische Kameradentreffen auf dem Kärntner Ulrichsberg von den Anfängen bis heute (Drava, 2003); Puschnig, Roman (Wieser, 2011).
Elena Messner
Kärntner Befreiungsmythen. Vortrag und Filmpräsentation
In der politischen Ideen- und Ideologiegeschichte Kärntens nimmt der Freiheitsbegriff einen zentralen Stellenwert ein, wobei er neben psychologisch-individuellen insbesondere kollektive Dimensionen umfasste, etwa kulturelle, politische, rechtliche und territoriale. Kaum eine politische Bewegung bekannte sich nicht zu diesem Begriff, wenn auch mit unterschiedlicher Zielsetzung. So blieb er für deutschnationale oder nazistische politische Mythen ebenso zentral wie für das spezifische Kärntner-slowenische Widerstandsnarrativ. Nicht zuletzt darum waren Geschichtserzählungen und politische Ideen, die als „Kärntner Befreiungsmythen“ zusammengefasst werden können, nach 1945 Anlass für viele Auseinandersetzung, die in der Literatur, Publizistik, Film- und Theaterarbeit von Janko Messner Niederschlag fanden. Im Rahmen der Präsentation einer derzeit entstehenden Filmarbeit über Janko Messners Werk werden einige dieser Befreiungsmythen skizziert.
Elena Messner, 1983 in Klagenfurt geboren, aufgewachsen in Klagenfurt, Ljubljana und Salzburg, Studium der Komparatistik und Kulturwissenschaften in Wien und Aix-en-Provence. Dissertation zu südslawischer Literatur und interkulturellem literarischen Transfer. Mitbegründerin der Kulturplattform www.textfeldsuedost.com, Lehrtätigkeit an Universitäten in Wien, Berlin, Klagenfurt und Innsbruck. Von 2013 bis 2018 lebte sie in Marseille und unterrichtete am Institut für Germanistik an der Universität Aix/Marseille. Sie schreibt Prosa, Essays und Theatertexte und übersetzt aus dem Slowenischen und dem Kroatischen/Serbischen. 2014 erschienen ihre Einführung in „Postjugoslawische Kriegsprosa“ und ihr Roman „Das lange Echo“, 2016 ihr zweiter Roman „In die Transitzone“.
Nadja Danglmaier / Daniel Wutti
Geschichtsnarrative im Grenzraum als Lernchance
Im heurigen Gedenkjahr, 100 Jahre nach der Volksabstimmung in Kärnten/Koroška 1920, stellt sich die Frage, wie Abwehrkampf, Volksabstimmung und Nationalsozialismus heute erinnert werden – in einer Zeit, in der es nur mehr wenige bzw. keine ZeitzeugInnen gibt. In Kärnten/Koroška treffen auf kleinem Raum Erinnerungsgemeinschaften aufeinander, die deutlich unterscheidbare Erinnerungskulturen pflegen und die historischen Ereignisse unterschiedlich bewerten. Vorgestellt werden die Resultate mehrjähriger Forschungsprojekte der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und der Pädagogischen Hochschule Kärnten, im Rahmen derer der Umgang mit Geschichte und Erinnerung an Schulen untersucht wurde. Beispiele für gute Praxis aus Schule und Gesellschaft, wie unsere Zeitgeschichte für Jugendliche interessant und lehrreich gestaltet werden kann, sowie Vergleiche mit der Situation im benachbarten Slowenien, runden den praxisnahen Vortrag ab.
Nadja Danglmaier, geboren 1982, studierte Pädagogik und Publizistik an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt. Nach der Promotion verschiedene (Schul-)projekte zu zeitgeschichtlichen Themen sowie Forschungsprojekte und Publikationen zu Nationalsozialismus in Kärnten. Sie ist Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung der Uni Klagenfurt und Leiterin des Kärntner Netzwerkes von erinnern.at
Daniel Wutti, Hochschulprofessor am Institut für Mehrsprachigkeit und Transkulturelle Bildung an der Pädagogischen Hochschule in Kärnten. Promotion in Psychologie, Studien der Psychologie und Medien- und Kommunikationswissenschaft. Praktisch tätig in der Aus-, Fort- und Weiterbildung insbesondere für LehrerInnen im Bereich des Minderheitenschulwesens in Kärnten/Koroška. Forschungsinteresse: Mehrsprachigkeit unter Aspekten von Sprachregimen, Mehrheiten- / Minderheitenverhältnisse, Erinnerungskulturen und Narrative im Bildungsbereich.
Ljiljana Radonić (ÖAW)
Bleiburg-Gedenken und Täter-Opfer-Umkehr
Jahr für Jahr finden im Mai am Loibacher Feld/Ljibuško Polje in Kärnten/Koroška Gedenkfeiern anlässlich des sogenannten „Massakers von Bleiburg“ statt. Im Jahr 2019 reisten dafür ca. 10.000 Menschen an. Im Rahmen dieses geschichtsrevisionistischen „Gedenkens“ gibt es neben kroatischen FaschistInnen (Ustaše) auch eine rege Beteiligung von Rechtsextremen und Neonazis aus Österreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern.
Gleichzeitig zeigt die Anwesenheit zahlreicher hochrangiger kroatischer PolitikerInnen den hohen Stellenwert jenes Mythos vom „Massaker von Bleiburg“ für den kroatischen Nationalismus: Bleiburg wird stellvertretend für die Ermordung zehntausender kroatischer Kollaborateure nach Kriegsende 1945 zum „kroatischen Holocaust“ stilisiert. Die Gedenkveranstaltung nimmt fast Züge eines Nationalfeiertages an. Diese Entwicklung zeichnet sich seit dem Zerfall Jugoslawiens ab und wurde maßgeblich seit der Präsidentschaft Franjo Tuđmans 1990–1999 von der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (Hrvatska Demokratska Zajednica – HDZ) geprägt. Seine revisionistische Politik der „nationalen Versöhnung“ hat die Relativierung der Verbrechen des faschistischen Ustaša-Regimes zur Regierungslinie gemacht.
In der nationalen Erinnerungspolitik wurden das Ustaša-KZ Jasenovac und Bleiburg/Pliberk gleichgesetzt und damit der Massenmord an Jüdinnen und Juden, Romnja und Roma sowie Serbinnen und Serben relativiert. Der Mai 1945 wird als „Stunde Null“ gedacht, die Ustaša-Täter als Opfer stilisiert, was notwendigerweise ihre vorangegangene Verstrickung in Verbrechen ausblenden muss. Oder diese werden gar nicht als Verbrechen begriffen, sondern der „Unabhängige Staat Kroatien“ (NDH, 1941–1945) als Meilenstein auf dem Weg zur kroatischen Unabhängigkeit verklärt.
Ljiljana Radonić leitet das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanzierte Projekt „Globalised Memorial Museums. Exhibiting Atrocities in the Era of Claims for Moral Universals“ am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ihre Habilitation über den Zweiten Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen reichte sie im Juni 2019 am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien ein, wo sie seit 2004 über Antisemitismustheorie sowie (Ostmittel-)Europäische Erinnerungskonflikte seit 1989 lehrt. Ihre Dissertation schrieb sie über den „Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards“ (Frankfurt: Campus 2010).
Zuletzt erschienen: Ljiljana Radonić/Heidemarie Uhl (Hg.): Das umkämpfte Museum. Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung, Bielefeld 2020; The Holocaust/Genocide Template in Eastern Europe, London/New York 2020; Commemorating Bleiburg – Croatia‘s Struggle with Historical Revisionism, in: Cultures of History Forum, 11.6.2019
Ute Holfelder / Klaus Schönberger (AAU):
Dispositiv Kärnten/Koroška – ein neuer Blick auf Kärnten?
Der Ausgangspunkt des Vortrags ist das FWF-Projekt „Performing Reality – Dis- und Reartikulation des Dispositivs Kärnten/Koroska. Eine künstlerisch-forschende und kulturwissenschaftliche Ko-Produktion zum 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung“, das am Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt / Celovec angesiedelt ist.
Ausgehend von diesem FWF-Projekt soll in dem Beitrag diskutiert werden, welch neuer – oder genauer – anderer Blick das dem Forschungsvorhaben zugrundeliegende Konzept eines DISPOSITIV KÄRNTEN/KOROŠKA ermöglichen kann. In diesem Zusammenhang werden weitere Begriffe wie Contentious Cultural Heritages, Antagonismus, Agonismus, Dis- und Reartikulation eingeführt und auf ihre Tauglichkeit für die Analyse dessen, was in der Ringvorlesung als „Mythos Kärnten“ bezeichnet wird, befragt. Was genau ist gemeint mit dem DISPOSITIV KÄRNTEN/KOROŠKA und welche Möglichkeiten für die Kulturanalyse bietet der Dispositiv-Begriff von Michel Foucault? Nach der Definition der theoretischen Begriffe wird dieser Zugang an ausgewählten Beispielen veranschaulicht.
Darüber hinaus diskutieren wir, inwiefern nicht nur ein anderer Blick auf KÄRNTEN/KOROŠKA möglich werden kann, sondern auch, ob und wie eine solche Kulturanalyse in dazu beitragen könnte, das mögliche Ende des DISPOSITIVS KÄRNTEN/KOROŠK zu verstehen – und gleichzeitig selbstkritisch zu reflektieren, worin die analytischen, aber auch die normativen Grenzen einer solchen Perspektive bestehen.
Univ. Prof. Dr. Klaus Schönberger ist Professor für Kulturanthropologie, Vorstand des Instituts für Kulturanalyse an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Celovec und lehrt im BA- und MA-Studiengang „Angewandte Kulturwissenschaft“. Er koordinierte 2016-2019 das EU-Horizon 2020-Projekt TRACES (Transmitting Contentious Cultural Heritages with the Arts). Er leitete mehrere Forschungsprojekte zur „Kulturwissenschaftlichen Technikforschung: Handyfilme, Kopfhörer etc). Er untersucht seit 1998 die Aneignung digitaler Medien- und Kommunikationstechnik im Alltag (Arbeit, Protest, Jugendkultur). Einer seiner zentralen Forschungsschwerpunkte sind gegenwärtig diverse Contentious Cultural Heritages. In nächster Zeit wird hierzu eine umfangreiche Sammlung von Texten im Wieser-Verlag erscheinen: Hamm, Marion/ Klaus Schönberger (Hrsg.) (2020), Contentious Cultural Heritages and Arts: A critical Companion. Klagenfurt/Celovec: Wieser (Im Erscheinen).
Dr. phil. Ute Holfelder, Studium der Empirischen Kulturwissenschaft und der Neueren deutschen Literaturwissenschaft in Tübingen; Promotion mit der Arbeit Die Schwiegermutter. Formung und Tradierung eines Stereotyps. Seit 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in diversen transdisziplinären Forschungsprojekten zu kulturwissenschaftlicher Technikforschung und audiovisuellen Medien am Institut für Sozialanthropologie an der Universität Zürich. Seit 2016 Senior Scientist an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Forschungsschwerpunkte: Audiovisuelle Medien, Alters- und Genderstereotypen, ethnografische Forschung, künstlerische Forschung. Sei 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin im FWF-Peek-Projekt „Performing Reality – Dis- und Reartikulation des Dispositivs Kärnten/Koroska“.
Karsten Krampitz (Berlin)
Gedanken zur Alzheimat, warum der einzige Antifaschist in Kärnten eine Linkskurve in Lambichl ist und über die Achse DDR-Kärnten
Karsten Krampitz, Jahrgang 1969, war gemeinsam mit Peter Wawerzinek Initiator der Trinkerklappe in Wewelsfleth/Schleswig-Holstein. Er hat erfolgreich eine Bettelakademie gegründet und mit Obdachlosen und Junkies Berliner Nobelhotels besetzt.
2004 erhielt Krampitz das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin. In Klagenfurt wurde er 2009 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit dem Publikumspreis ausgezeichnet, im folgenden Jahr war er Klagenfurter Stadtschreiber. Zwischen 2010 und 2013 war der Historiker Promotionsstipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Im Herbst 2014 wurde am Klagenfurter Ensemble sein Theaterstück „Sucht & Ordnung“ uraufgeführt.
Krampitz hat diverse Romane und Erzählungen veröffentlicht, unter anderem: „Affentöter“ (2000), „Der Kaiser vom Knochenberg“ (2002) und „Heimgehen“ (2009). 2011 gab er zusammen mit Manja Präkels und Markus Liske die literarische Anthologie „Kaltland – Eine Sammlung“ zu den Pogromen und Menschenjagden der Nachwendezeit heraus.
UNIKUM
UNHEIMLICHE HAJMAT: Hundert Jahre Kärnten / Koroška. Tausend Jahre UNIKUM
Ein Beitrag des Universitätskulturzentrums UNIKUM / Kulturni center univerze zur Ringvorlesung 100 Jahre Mythos Kärnten | 100 let koroškega mita
Redaktion & Gestaltung | Uredila in pripravila:
Emil Krištof & Niki Meixner
Emil Krištof, geb. 1957, Kulturschaffender, Musiker und (Ko-)Geschäftsführer des UNIKUM
Josef Nikolaus Meixner, geb. 1973, Sozialpädagoge, Filmschaffender, Choreograf und Projektmanager im UNIKUM
Andrej Leben
Mythos Zweisprachigkeit: Wie zweisprachig ist die Kärntner (slowenische) Literatur?
Literatur in beiden Sprachen des Landes zu schreiben, ist kein allzu weit verbreitetes Phänomen. Auch die Zahl explizit zweisprachiger literarischer Texte ist geringer, als man vielleicht meinen möchte. Dennoch zeigen die deutsch-slowenischen und slowenisch-deutschen sprachlichen Wechselseitigkeiten, an in die sich nicht selten andere Sprachen hineinmischen und an denen unterschiedliche Akteure beteiligt sind, gerade unter dem Aspekt literarischer Mehrsprachigkeit auf der Textebene ein durchaus differenziertes, manchmal auch überraschendes Bild.
Andreas (Andrej) Leben, geb. 1966 in Bleiburg/Pliberk, ist Professor für slowenische Literaturund Kulturwissenschaft am Institut für Slawistik der Universität Graz. Er war Projektmitarbeiter am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Alpen-Adria- Universität Klagenfurt sowie Universitätsassistent am Institut für Slawistik in Wien. Er ist Gründungsmitglied des Grazer profilbildenden Bereichs Dimensionen der Europäisierung sowie Leiter des OeAD-Sommerkollegs Literarisches Übersetzen (Deutsch/Slowenisch). Er leitete das FWF-Projekt „Zweisprachige literarische Praxis“ (https://slawistik.uni-graz.at/de/bilingualeliterarische- praxis/) und ist Mitherausgeber der Bände Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext (Tübingen 2019) und Literarna večjezičnost v slovenskem in avstrijskem kontekstu (Ljubljana; im Druck). Aktuell arbeitet er mit Felix Kohl, Erwin Köstler und Dominik Srienc an einer Monographie zur Literatur der Kärntner Slowenen im überregionalen literarischen Interaktionsraum. Kontakt: andreas [dot] leben [at] uni-graz [dot] at
Igor Grdina (ZRC/SAZU Ljubljana):
Z miti ali brez njih – to je zdaj vprašanje / Mit oder ohne Mythen – Das ist hier die Frage
Der Vortrag von Igro Grdina musste leider abgesagt werden.
Brigitte Entner (AAU)
Mythos Abwehrkampf
Ohne »Abwehrkampf« keine »Volksabstimmung« heißt es in Kärnten häufig. Ich stelle mir und uns jedoch nicht die Frage, welche Rolle der bewaffnete Grenzfindungskonflikt für das Plebiszit vom 10. Oktober gespielt hat, sondern welche Rolle dieser Gründungsmythos für »unser Kärnten« in den letzten 100 Jahren gespielt hat und wie er für minderheitenfeindliche Politik instrumentalisiert wurde.
Auch frage ich mich, welche Geschichte(n) über die Phase von 1918 bis 1920 wir bislang noch nicht gehört haben.
Brigitte Entner studierte an der Universität Wien Geschichte, Politikwissenschaften und Wissenschaftstheorie. Sie ist in Forschung, Lehre, Wissens- und Kulturvermittlung sowie als Ausstellungskuratorin tätig. Zudem berät sie zivilgesellschaftliche Initiativen, Opferverbände und Medienschaffende.
Von 1987 bis 1997 war sie freie Mitarbeiterin des Instituts zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern in Wien. Seit 1996 ist sie Lehrbeauftragte an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Slowenischen wissenschaftlichen Institut / Slovenski znanstveni inštitut in Klagenfurt. Sie forscht in und kooperiert mit Archiven, Gedenkstätten und Forschungseinrichtungen in Deutschland, Großbritannien, Israel, Italien, Österreich und Slowenien. Zu ihren Forschungs- und Publikationsschwerpunkten zählen Geschichtspolitik(en) und Erinnerungskultur(en), Geschichte der slowenischsprechenden Bevölkerung Kärntens, Britische Besatzung, Tourismusgeschichte und Genderforschung.
Brigitte Entner war u.a. wissenschaftliche Beraterin der Dokumentation „Universum History – Unser Österreich: Kärnten – Ein Jahrhundert unterm Mittagskogel. Koroška – Stoletje pod Jepo.“ (2016), Kuratorin der an 21 Orten in Italien, Österreich und Slowenien gezeigten Wanderausstellung „Pregon koroških Slovencev leta 1942 / Zwangsweise Aussiedlung slowenischer Familien aus Kärnten“ sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin der „Mobilen Landesausstellung CarinthiJa 2020“.
Zu ihren jüngsten Publikationen zählen: „Wer war Klara aus Šentlipš/St. Philippen?“ Kärntner Slowenen und Sloweninnen als Opfer der NS-Verfolgung. Ein Gedenkbuch. (2014); „Dopade se mi tukaj prav nič.“ Dnevnik Marije Prušnik iz Frauenauracha (2016, Herausgeberin) oder „Kaj človek vse doživi!“ / „Was der Mensch alles erlebt!“ Widerstand und Verfolgung in der Gemeinde Zell / Odpor in preganjanje v občini Sele. 1938–1945. (2018).
Der „Mythos Kärnten“ in der Landesausstellung
Am 20.06. wurde die Mobile Landesausstellung in Völkermarkt eröffnet. Hier geht es zu den Ausstellungsapps: https://m.landesmuseum.ktn.gv.at/content/7771
Mladen Savić (author@musil)
NUDLRADL & TAFALAN.
Ein Textbeitrag zur Ringvorlesung „Mythos Kärnten“ 2020 an der AAU Klagenfurt
Manche Landstriche und Regionen haben regelrechte Mehrfachexistenzen. Eine einzige wäre wohl zu wenig, und dies macht zu guter Letzt ihre Besonderheit aus. Was sie objektiv darstellen und ihrem Selbstverständnis nach bedeuten, ist immer vieles, vielerlei gleichzeitig und einiges nebenher. Oft liegen sie etwas abseits. Da ihre Uhren langsamer ticken, bremsen sie die Schnelllebigkeit der Moderne mit ihrem ständigen Nachschub an Neuheiten. Fast scheint es, als hätten dort, an der Peripherie geschichtlicher Zentren und Strudel, eine einende Erzählung und Tendenz sich nie durchsetzen können – nicht an einem Ort, zu reich an Liedern, Speck, Vergangenheit und Einflüssen, um nicht auch widersprüchlich zu sein, alles von umgänglich bis eigensinnig, von aufmüpfig bis hörig, von gastfreundlich bis fremdenfeindlich. Die Eindeutigkeit jedenfalls, zu simpel, um wahr zu sein, versagt hier vollends, im Urteil und auch in der Folge. Und doch finden Widerstreit und Themen der sogenannten großen Welt in diesen Grenzlanden ebenso eine lebendige und langlebige Arena, mit allen Grundfragen von Zeit und Gesellschaft, all ihren Stolpersteinen, Irrwegen und Lichtungen. In der provinziellen Einfassung des ewigen Entwicklungsstaus, im lahmen Rahmen des Abseits bleiben derweil viele Fragen länger offen und unter Umständen chronisch unabgeschlossen. Die Schatten von gestern sind schließlich überall und die Klänge von morgen hörbar aus und in der Ferne. Ich selbst komme ursprünglich aus so einem Land, naturschön, gebirgig und vielschichtig, ebenso herzlich wie schwierig – wenn auch von anderswo, vom Balkan. Nun will ich über eines reden, das auf seine eigene Weise nicht vor sich entfliehen kann, über eines, welches dem großen Künstler und Minnesänger Walther von der Vogelweide sowohl Respekt als auch Honorar schuldig geblieben ist.
Karantanija. Zunächst ein alpenslawisches Staatsgebilde, namensgebend, mit hohem keltisch-romanischem Bevölkerungsanteil, dünn gestreut. Davon ist kaum mehr übrig als ein steinerner Herrscherstuhl in Knežji kamen, auf Deutsch: Fürstenstein. Danach im Zuge bayrisch-fränkischer Besiedlung und Verwaltung allmählich zu Kärnthen geworden – eigenständiges Herzogtum seit 976, also älter als Österreich, dessen Name erstmals 996 in einer Urkunde fällt. Die Bedeutung dieser 20 Jahre Vorsprung ist rein symbolischer Natur, wobei die Symbolik dokumentarisch darauf verweist, von der Geschichte irgendwie abgehängt worden zu sein. Mittlerweile selbst ein österreichisches Bundesland, frei und einig, wie man im Abwehrkampf gerne gesagt hat, nach verlorenem Angriffskrieg, frei zu Katholizismus und Deutschtum, und sowieso nur zum Schein. Schuld an allem, habe ich mir von einem Nudlradl sagen lassen, trage ein Wasserkopf. Dazwischen ein Abstecher ins 1000jährige Deutsche Reich, das dann doch nur 7 Jahre durchhält, ehe es sich und seine umfängliche Nachbarschaft weitgehend in Trümmer legt. Immerhin ist am 5. April 1938 Hitler, der Führer ins Verderben, durch dutzende, dicht gedrängte Menschenreihen hindurch im Klagenfurter Hotel Sandwirt abgestiegen, nachdem er im Rathaus persönlich vom Fürstbischof, Pastor und Bürgermeister die Ehrungen der Stadt entgegengenommen hat.
Kärnten, kurz in der Republik auch ein gescheiterter Freistaat aus Haider’schen Blausäure-Träumen, leerer Rebellenrhetorik und sehr, sehr teuren Korruptionsaffären. Ansonsten auch als Koroška bekannt, wenngleich seltener unter dieser Bezeichnung, denn sie stammt von den Slowenen, von deren Existenz als heimische Minderheit ich beispielsweise erst nach und nicht in meiner Wiener Gymnasialzeit erfahren habe. Das Gleiche gilt für deren antifaschistischen Partisanenkrieg mitten im Reich des Grauens, einen ehrwürdigen Kampf, der aus unbekannten Gründen im schulischen Geschichtsunterricht unerwähnt geblieben ist, ganz so, als wäre er nicht der Erwähnung wert, sondern des Verschweigens, wie eine Art Schandfleck, oder schier unbedeutend – aus einer, sagen wir, bestimmten Perspektive. Und Protestantinnen und Protestanten, die widerständiger Weise, was gewiss auch wundert, die Gegenreformation überstanden haben, gibt es gleichfalls in der Gegend, bis nach Ariach hinein, im Kärntner Landesherzen, wo am Fuße des Wöllaner Nocks eine Dorfstraße die zwei Kirchen derselben Bibel voneinander trennt, die katholische und die evangelische.
Es ist überhaupt ein Gebiet wie geschaffen für ein touristisches Werbeprospekt: die sonnige Südseite der Alpen, zum Ski-Fahren und Baden-Gehen, mit weißen Bergspitzen, grünen Tälern und blauen Seen, teils aus Trinkwasser sogar, einen Menschenschlag hervorbringend, der alsbald zum freundschaftlich-verbindlichen Ton übergeht, die Hand auf die Schulter legt und in geradezu mediterraner Lebensfreude wie von selbst ein, zwei Schnaps auftischt. Am lautesten, versteht sich, und am wichtigsten ist das Unausgesprochene dabei: der stille Selbstschutz jovialer Distanz, die nachhallende Grenzlermentalität auf der Hut vor wechselnden Mächten und Allianzen, das noble Ausschweigen zwischendurch und eine ländliche Pose laxer Naivität, die letztlich keine ist. Die Betreffenden werden wissen, was ich meine, indes – ich mag mich auch irren … Robert Musil hat es immer für falsch und unredlich gehalten: „die Erscheinungen in einem Land einfach mit dem Charakter seiner Bewohner zu erklären“. Einiges an Kakanien ist, dessen ungeachtet, als dessen Geist geblieben an diesem Ort des „Heimweh nach Aufgehaltenwerden, Nichtsichentwickeln, Steckenbleiben zu einem Punkt“ vor der eigentlich falschen Abzweigung: „Sooft man in der Fremde an dieses Land dachte, schwebte vor den Augen die Erinnerung an die weißen, breiten, wohlhabenden Straßen aus der Zeit der Fußmärsche und Extraposten, die es nach allen Richtungen wie Flüsse der Ordnung, wie Bänder aus hellem Soldatenzwilch durchzogen und die Länder dem papierweißen Arm der Verwaltung umschlagen.“
Manchmal wirken kulturelle Kodes, auf die lokal in der Regel Verlass ist, in ihrer Freundlichkeit und naiven Unmittelbarkeit richtig sympathisch. Als 1960 der sowjetische Regierungschef Chruščov in der Kärntner Landeshauptstadt sich den Lindwurm, das städtische Wahrzeichen, zeigen und erklären lässt, soll er angemerkt haben: „Ungeheuer muss man umbringen.“ Hier ist es identitätsstiftend! Die Gastgeber hätten ihm, falls ihm je eines begegnen sollte, ein handgemachtes Ferlacher Jagdgewehr geschenkt – für alle Fälle sozusagen. Heute 2020 steht, für mich zumindest, außer Zweifel, dass rechtzeitig die Moskauer Deklaration hätte erlegt werden sollen, als politischer Blankoscheck, weil sie umso ungeheuerlicher wird, je öfter in Bezug auf den Faschismus jedwedes Unrechtsbewusstsein in der Kärntner Bevölkerung scheitert, und zwar nicht nur beim Treffen der Wehrmacht-Nostalgiker am Ulrichsberg, bei dem das Bundesheer übrigens erst seit 2009 nicht mehr offiziell teilnimmt, vielmehr auch in Pliberk bzw. Bleiburg, wo Ustascha-Nostalgiker sich alljährlich tummeln, um aus faschistischen Tätern Opfer zu machen und bigott ihrer Massenmörder gedenken zu können. Nicht ganz grundlos hat der Kärntner Autor Janko Messner in seinen Nachkriegsgeschichten einst betont, dass er „nicht zur Versöhnung“ und nicht „zur brüderlichen Vereinigung“ schreibe, sondern „zur Aufklärung, zum Nachdenken“. So erzählt er etwa in „Leningrad/Globasnitz 1942 – im Hintergrund Heiligengrab“ die symptomatische Geschichte von Joza Kuhar, der, kaum von der Ostfront in seine „Heimat“ zurückgekehrt, erfährt, dass seine slowenischen Verwandten und Familienmitglieder enteignet und ausgesiedelt worden seien, und sich daraufhin umbringt.
An Denkmälern fehlt es in Kärnten keineswegs. Auf Schritt und Tritt wird hingewiesen auf irgendwelche vergessenen Fürsten, Bischöfe und Baumeister von außerhalb, oder auf die Abwehr von Jugoslawien und die Volksabstimmung für Österreich, oder auf den Heldentod der eigenen Soldaten und Mörderbanden beider Weltkriege, oder auf die armen, vertriebenen Volksdeutschen und die bösen, bösen und selbstverständlich verbrecherischen, slowenischen Partisanen. Anders als Erwin Ringel, der in der Kärntner Sangesfreudigkeit ein Element der kindlichen Freiheit und des freiheitlichen Kolorits erkennt, erinnert sich Ingeborg Bachmann an ihre „Jugend in einer österreichischen Stadt“ mit folgenden kulturell schmetternden Worten: „Die Kinder haben keine Zukunft. Sie fürchten sich vor der ganzen Welt. Sie machen sich kein Bild von ihr, nur von dem Hüben und Drüben, denn es lässt sich mit Kreidestrichen begrenzen.“ Ich selbst habe mir zeitlebens über das ewige emotionale Mittelalter Österreichs hinfällige Gedanken gemacht und mich dabei immer gewundert, wie tief es sitzt in der familiären Erziehung und der Volkskultur als solcher. Jedes Mal, wenn ich als Kind mit den Eltern im Auto Wien in Richtung Adria verlassen habe und von der Triester Straße auf die Autobahn gelangt bin, habe ich ahnungslos gegrübelt, warum da am Straßenrand ein grünes Schild gestanden hat mit einem Pfeil und der Aufschrift: „Nach Kärnten“. Später habe ich mir sagen lassen, Haider hätte die kuriose Tafel dort gezielt aufgestellt.
Bei den verfassungsmäßig garantierten zweisprachigen Ortstafeln ist es, weil der Unwille dazu manifest werden muss, nie so leicht gewesen, Tafeln zu platzieren oder bestehende stehenzulassen. Und auch der Bundespräsident als Oberbefehlshaber der bewaffneten Streitkräfte, immerhin, hat niemals Soldaten ausgeschickt, um die Verfassung durchzusetzen, wahrscheinlich auch, weil im kollektiv unbewussten Kreisky-Waldheim-Kurz-Staat, in welchem der Paragraph prinzipiell die Moral überragt, der Preis für die Ablehnung von Unrecht zu hoch gewesen wäre. Aber alles ändert sich stetig und so auch die Zeiten und Verhältnisse, die zügig eine neue Zukunft hervorbringen. Lep pozdrav!