Louis Béroud kopiert Peter Paul Rubens – Zur Ethik des Kopierens und zur Semantik des Stils
Im Jahre 1910 malt der belgische Maler Louis Béroud sich selbst beim Malen und nimmt damit spielerisch auch die (eigene) zeitgenössische akademische Ausbildung aufs Korn, die noch immer wesentlich aus dem Kopieren alter Meister bestand. Béroud zeigt sich beim Kopieren eines Gemäldes Peter Paul Rubens aus dessen im Louvre befindlichen Medici-Zyklus– lässt diese Alltagsszene aber ins Phantastische kippen: Das kopierte Werk tritt soeben aus seinem Rahmen heraus, auf einer tosenden Welle spülen Rubens Wassernymphen in Richtung des erschrocken zurückweichenden Kopisten. Der Vortrag möchte in einem Close Reading die ambivalenten Botschaften des wenig bekannten, aber gleichwohl hintersinnigen Gemäldes rekonstruieren und kontextualisieren. Denn dieses setzt über seinen unmittelbar augenscheinlichen und launigen Witz hinaus ein raffiniertes Vexierspiel in Gang, in dem es um Schein und Sein, Wahrnehmung und Imagination, um die Geschichtlichkeit des malerischen Stiles und nicht zuletzt um eine generelle Ethik des Kopierens geht: Schon Rubens selbst war zunächst Akteur und schließlich Gegenstand einer über Jahrhunderte fortgeschriebenen Debatte um den Sinn, den Zuschnitt und die Legitimität des Kopierens. Kommt Bérouds Rubens-Gemälde zu gespenstischem Leben, um seinem Kopisten das Handwerk zu legen