Helden und Heilige
Bibliotheken sind dynamische Räume, die sich im Zuge der Zeiten verändern. Die Vorstellungen davon, was nützlich und bewahrenswert ist, wandeln sich nach Maßgabe der Interessen, aber auch der vorhandenen Ressourcen. Was entbehrlich erscheint, landet heutzutage nicht selten auf dem Recyclinghof.
Im Mittelalter ging man mit aussortierten Büchern nachhaltiger um. Das Pergament, auf dem vor 1400 fast ausschließlich geschrieben wurde, war teuer. Denn es musste aufwendig aus Tierhäuten gewonnen werden. Man konnte es zwar nicht recyceln wie Papier. Seine besondere Haltbarkeit machte es jedoch zum bevorzugten Material für andere Formen der Wiederverwendung.
Beim Blick in mittelalterliche Kloster-Handschriften fallen solche pergamentenen Objekte als beschriftete Einbandblätter, Falzstreifen (s. Abb.) oder Schutzumschläge auf. Forschende haben bei der Untersuchung solcher Buchbindungselemente sensationelle Entdeckungen gemacht. Zahlreiche Texte der hochmittelalterlichen Adelsliteratur liegen heute überwiegend in solchen Fragmenten vor. Zu den prominentesten Funden gehört sicherlich das Nibelungenlied-Fragment PE 46 der Klagenfurter UB, höchstwahrscheinlich der älteste Textzeuge des Werks. Kürzlich in der UB neu entdeckt wurde ein Buchrückenfragment der Virginal: PE 74, einer Verserzählung über Dietrich von Bern – auch hier der älteste Textzeuge. Aber nicht nur deutsche Heldenlieder, sondern auch die Geschichten um König Artus nahmen diesen wenig rühmlichen Weg der Sekundärverwertung.
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Univ. Prof. Dr. Sabine Seelbach (sabine [dot] seelbach [at] aau [dot] at)