Eine Anthropologie von Remittances: Einblicke in transnationale Partizipationspraktiken im Kontext der sogenannten „Gastarbeiter:innenmigration“
Nachdem politische Entscheidungsträger:innen 1964 das Anwerbeabkommen zwischen der Türkei und Österreich unterzeichneten, begannen multidirektionale, teils staatlich regulierte, teils selbstständig organisierte Migrationsbewegungen, die vielfältige Effekte auf beide Staaten, vor allem aber auf die involvierten Akteur:innen hatten. Mittels Remittances, d.h. Geldsendungen der Migrant:innen an deren Familien und Verwandten in den Herkunftsorten, teilten die sogenannten „Gastarbeiter:innen“ ihren verdienten Lohn und etablierten dadurch zugleich langanhaltende, dichte, nationalstaatliche Grenzen überwindende Verbindungen und Netzwerke. Dieser Vortrag widmet sich der Rolle von Remittances im Kontext der Migration zwischen der Türkei und Österreich von den 1960er Jahren bis heute. Anhand einer Fallanalyse innerhalb des transnationalen Raumes zwischen der Provinz Uşak (Westtürkei) und dem Stubaital (Westösterreich) stehen die Effekte, Funktionen und Bedeutungen von Remittances im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Aus der Perspektive der Empirischen Kulturwissenschaft wird dabei eine Anthropologie von Remittances entworfen. Das heißt, Remittances werden als soziale Praktiken konzeptualisiert, als das Senden, Überbringen, Empfangen, Erwidern, Aneignen und narrative Einrahmen von Geld, aber auch von Geschenken, Alltagsobjekten, Ideen, Normen und sozialem Kapital. Anhang ethnografsicher Beispiele wird dargelegt, wie alltägliche Remittance-Praktiken soziale Beziehungen erhalten, verstärken und kontrollieren können und wie die Akteur:innen (Migrant:innen wie Nicht-Migrant:innen) dabei unterschiedliche transnationale Zugehörigkeiten herausbilden.
Vortragende(r)
Claudius Ströhle
forscht am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg im Premium_EU-Projekt über Mobilität und Transformationsprozesse in ländlichen Gebieten. 2016-2020 wissenschaftl. Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie (Uni Innsbruck). Seine Dissertation schrieb er innerhalb des Forschungsprojektes „Follow the Money. Remittances as Social Practice“ (gefördert vom FWF) über die Effekte, Funktionen und Bedeutungen von Remittances (Rücküberweisungen) im Kontext der Arbeitsmigration zwischen der Türkei und Österreich. Von 2021-2023 Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK)(Wien), Forschungsaufenthalte am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen und am Institute of European Studies and der UC Berkeley, CA. Forschungsschwerpunkte: Ethnografie, Migration, Materielle Kultur, Ökonomische Anthropologie, Ungleichheit.
Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Alexandra Schwell (alexandra [dot] schwell [at] aau [dot] at)