Unverschämt engagiert
„Scham“ steht im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten von Sara-Friederike Blumenthal. Die Erziehungswissenschaftlerin arbeitet derzeit an einer „engagierten Studie“ zu Schamdynamiken in der Fremdunterbringung. Mit ad astra sprach sie darüber, was engagiertes Forschen für sie bedeutet.
„Mich interessieren die Mechanismen der Herstellung von sozialer Ungleichheit“, erzählt Sara-Friederike Blumenthal. Dabei schwingt auch mit, was sie als engagierte Wissenschaft versteht: Sie sieht ihre Aufgabe darin, einen Beitrag für Perspektiven einer Gesellschaft zu schaffen, die mehr Chancengleichheit bietet. Im Gespräch wird augenfällig, dass Blumenthal ein politischer Mensch ist. Die Bodenhaftung einer Theorie ist ihr wichtig, gleichzeitig versucht sie die auch interdisziplinäre theoretische Arbeit immer wieder auf konkrete Beispiele herunter zu brechen, die es erlauben, die Praxis pädagogischen Handelns zu reflektieren.
Über ihre Promotion in der Graduiertenschule des Exzellenzclusters „Languages of Emotion“ der Freien Universität Berlin hat sie zur Emotion „Scham“ gefunden. Dazu erzählt sie: „Ich habe den Wunsch gehabt, mich mit Sexualität zu beschäftigen, weil sie aus meiner Perspektive für die Entwicklung und den Lebensvollzug von Menschen sehr wichtig ist. In der Pädagogik wird dieses Thema zu einem Großteil als Gefahrendiskurs thematisiert, im Sinne von Prävention ungewollter Schwangerschaften und sexueller Gewalt. Ich wollte andere Aspekte einbringen.“ Im Austausch mit Schülerinnen und Schülern, also durch ihre qualitativ ethnographische Forschungsarbeit, hat sie gesehen, dass Scham und Beschämung bedauerlicherweise sehr präsent in der schulischen Sexualaufklärung sind. Gleichzeitig zeigte die Auseinandersetzung mit Theorien zu Scham auch, dass sie nicht nur negative Funktionen hat, sondern „ganz grundlegend dafür ist, dass wir unser Zusammenleben und unsere Interaktion regulieren können. Vieles, was wir tun, läuft über Schamvermeidung. Etwa dass man sich konform verhält, sich passend kleidet und ausdrückt.“ Deshalb sei das Thema auch eines, das man in anderen pädagogischen Kontexten analysieren kann. Und aus dem man Vieles über das menschliche Miteinander lernen kann.
2014 im Bereich der Sozialpädagogik an der Alpen-Adria-Universität angekommen, hat Sara-Friederike Blumenthal nun damit begonnen, die Schamdynamiken in der Fremdunterbringung, zum Beispiel in Heimen, unter ihre wissenschaftliche Lupe zu nehmen. Die Lebensbedingungen und -perspektiven sozialökonomisch benachteiligter Kinder und Jugendlicher zum Inhalt ihrer Arbeit zu machen interessierte Blumenthal auch schon davor. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als Projektleiterin des demokratie- und schulpädagogischen Projekts „RespAct!“ in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln gemeinsam mit Kindern daran, das städtische Umfeld kindergerechter zu gestalten. Während ihrer Zeit in Berlin habe sie auch persönlich „von dem kulturellen Reichtum der Stadt profitiert, durch die Menschen aus den verschiedenen Ländern dieser Welt, die ich auch stolzerweise zu meinem Freundeskreis zählen kann“. Dazu hat sie sich auch selbst während ihres Studiums zweimal auf den Weg in neue Kulturkreise gemacht: 2012 an die University of Hawaii, USA, und 2007 an die La Trobe University in Melbourne, Australien. Das vergleichsweise ruhige Leben in Klagenfurt genießt Blumenthal, die ihre eigene Kindheit in einem ländlichen Teil Nordrhein- Westfalens verbrachte, auch, denn: „Jeder Mensch braucht einen gewissen Ausgleich.“
In ausgeglichenem, ruhigem Tonfall spricht sie auch von der Rolle als Nachwuchswissenschaftlerin im Wissenschaftsbetrieb. Das System trage nicht dazu bei, dass man ganz entspannt Zukunftsplanungen machen könne. Vor allem für die Familienplanung als Wissenschaftlerin stellten vertragliche Befristungen und die Aussicht auf weitere Ortswechsel einen Dämpfer dar. Das akademische Umfeld sei in Deutschland aufgrund der verschlechterten Arbeitsbedingungen im Mittelbau zu einem unattraktiven Tätigkeitsfeld geworden. Auch deshalb sei sie froh, hier zu sein. An der AAU engagiert sie sich im Think Tank Wissenschaftlicher Nachwuchs, einem Beratungsgremium der Vizerektorin für Forschung. „Man muss schauen, dass man wissenschaftspolitisch seinen Standpunkt vertritt und sich einbringt“, sagt sie dazu. Karriereplanung in ihrem Bereich sieht Blumenthal nur als bedingt steuerund kontrollierbar. Gerade im sozialwissenschaftlichen Bereich, in dem oftmals noch mit Monographien habilitiert wird, tue man gut daran, sich zunächst einmal auf ein Projekt richtig einzulassen. Nur so könne wirklich schöpferisch wissenschaftlich gearbeitet werden. „Der Weg entsteht im Gehen.“
für ad astra: Romy Müller
Auf ein paar Worte mit … Sara-Friederike Blumenthal
Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin geworden wären?
Schriftstellerin.
Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
Ja – da wird auch schon einmal hitzig debattiert!
Was machen Sie im Büro morgens als erstes?
Meinen am Ende des Vortags entworfenen Arbeitsplan für den Tag durchgehen.
Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Ich versuche es auf jeden Fall. Alles eine Frage der Übung.
Was bringt Sie in Rage?
Wenn Menschen sich herablassend verhalten, weil sie Geld haben.
Und was beruhigt Sie?
Katzen. Die haben gar kein Geld und sind meistens entspannt.
Wer ist für Sie die größte WissenschaftlerIn der Geschichte und warum?
Personenkult lehne ich ab. Immanuel Kant hat mit seiner Aufklärungsphilosophie sicherlich einiges dazu beigetragen, dass wir unseren heutigen Wissenstand erreichen konnten.
Wofür schämen Sie sich?
Gelegentlich für meine Ungeduld.
Wovor fürchten Sie sich?
Datenverlust. Klimawandel.
Worauf freuen Sie sich?
Auf den zunehmenden kulturellen Wandel durch mehr Frauen in Führungspositionen. Darauf, dass Elternzeit für Männer zukünftig eine Selbstverständlichkeit sein wird.