Sehnsuchtsräume zwischen Kunst und Wissenschaft
Alpen-Adria-Gastprofessor Michael Zinganel lehrte ein Semester an der AAU zur Kulturgeschichte der Hotels. Im Interview mit ad astra erzählt er, wie sich die einst strahlenden Ferienbunker der Tito-Zeit an der kroatischen Adriaküste verändert haben.
Herr Zinganel, Sie sind Architekt, Künstler und Kulturwissenschaftler. Wie kam es dazu?
Als ich in Graz Architektur studierte, leistete ich mir so manche produktive Ab- und auch Irrwege. Nachdem ich noch während des Studiums beim Kärntner Architekten Günther Domenig die Gelegenheit bekam, das Besucherzentrum für das Funder- Werk II in St. Veit zu bauen, war mein Bedarf, mich als Architekt zu verwirklichen, schon frühzeitig gedeckt.
Wie machte sich das bemerkbar?
Ich arbeitete damals auch als Kulturreferent der Hochschülerschaft der TU Graz. Die Begegnungen mit Künstlern und Künstlerinnen inspirierten mich, in eine durchaus erfolgreiche künstlerische Karriere zu flüchten. Ich ging unmittelbar nach dem Architekturstudium nach Holland, um an der Jan van Eyck Academie Kunst zu studieren.
Und Sie sind nach Wien zurückgekehrt.
Aus Ehrgeiz wollte ich mich unbedingt in Wien – nicht in Graz – durchsetzen. Aber als ‚gelernter’ Architekt tat ich mir schwer mit der künstlerischen Freiheit und damit, mir selbst Themen zu stellen. Meine erste eigene Ausstellung in Wien war dann auch keine klassische Kunstausstellung, sondern eine anthropologisch konzipierte über damals leerstehende Gemeinschaftseinrichtungen in den Gemeindebauten des roten Wiens.
Wie kamen Sie dazu, als Architekt eine Dissertation in Geschichte zu schreiben?
Während meines zweiten eigenständigen Langzeit-Projektes über Karl Marx’ Theorie der Produktivkraft des Verbrechens für die Architektur und Stadtplanung und -wahrnehmung, bot mir der Wiener Historiker Siegfried Mattl an, darüber eine Dissertation in Zeitgeschichte zu schreiben. Dabei stellte ich fest, dass sich in der Zeitgeschichte meine so hybriden Qualifikationen sehr sinnvoll vernetzen ließen.
Dann der Wechsel in die Tourismusforschung.
Nach Jahren der Abgrenzung begann ich mich wieder mit der Region, in der ich aufgewachsen bin, auseinanderzusetzen: Und das war die Tourismusregion rund um Zell am See. Ich habe 2002 mit einem Schweizer Kollegen Peter Spillmann ein Forschungsprojekt zu den Hinterbühnen des Tourismus initiiert. Mein Part waren die alpinen Erlebnislandschaften in Tirol, wo aus kleinen Bergdörfern innerhalb kürzester Zeit urbane Agglomerationen wurden, die in der Saison um das Vielfache ihrer Einwohnerzahl anwachsen. Die neue Generation von Unternehmerfamilien hatte sich von der bäuerlichen Kultur losgelöst und lernte schnell, sich den touristischen Bedürfnissen anzupassen: Auf engstem Raum werfen sich hier die einen in popkulturelle Event-Ekstase während die anderen die Rückzugsorte authentischer Naturerfahrung genießen.
Die Architektur und Geschichte sozialistischer Ferienanlagen der Adriaküste interessierten Sie ganz besonders.
Das ist richtig: Auch hier ist das Interesse zum Teil autobiografisch in den Urlaubserinnerungen aus meiner Kindheit und den Studienreisen als Architekturstudent gegründet. Ästhetisch sind die großen, modernen Hotelanlagen und Ferienlager im ehemaligen Jugoslawien gewissermaßen Gegenmodelle zu den kleinteiligen alpinen Wucherungen in unseren Alpen. Sie waren Symbole für die Modernisierung Jugoslawiens und den Erfolg seines Dritten Weges: Dementsprechend waren sie mit modernem Design und zeitgenössischer Kunst ausgestattet. Die Frage nach dem Wandel ihrer kulturellen Wertschätzung und ihrem Schicksal während und nach dem Krieg bewegten mich dazu, eine Ausstellung im Grazer Haus der Architektur zu entwickeln. Aber es gab auch ein ernsthaftes kriminalistisches Interesse, wer denn hier die Gewinner von Krieg und Privatisierung seien.
Was ist aus Titos Flaggschiffen geworden?
Es existierten zum Zeitpunkt meiner Recherchen noch sehr viele melancholische Hotel- und Resort-Ruinen entlang der Adria, jedenfalls mehr als neu gebaute oder top sanierte. Dies lag vor allem auch an den ungeklärten Besitzverhältnissen. Die großen Tourismusbetriebe in Jugoslawien wurden in sozialistischer Selbstverwaltung geführt auf Grund und Boden errichtet, der im sozialen Eigentum aller stand. 1991 ließ die nationalistische Regierung Tuđman das soziale Eigentum auf kroatischem Boden verstaatlichen – in der Absicht, es im Kreise ihm vertrauter Patrioten zu privatisieren. Dazu kam es nicht mehr, denn mit der Unabhängigkeitserklärung im Mai begann der Krieg, 80 Prozent der Hotelanlagen an der Adria wurden schließlich als Flüchtlingslager benutzt, und manche sind seitdem nie mehr auf die Beine gekommen. Als mit Jahren Verspätung die Privatisierung und die Reinvestitionen tatsächlich wieder anliefen, war die Kärntner Hypo-Alpe-Adria-Bank ganz schnell groß mit dabei – und ebenso schnell zahlungsunfähig! Und der Investitionsboom durch die Krise vorübergehend wieder beendet.
Wie steht das alles in Verbindung mit Ihrer Gastprofessur?
Die geografische und inhaltliche Verbindung meiner Arbeiten mit dem Alpen-Adria- Raum ist ja offenkundig. In weiteren Arbeiten beforschte ich die Arbeitsmigration im alpinen Tourismus oder den Lebensraum Straße entlang der pan-europäischen Straßenverkehrskorridore zwischen dem ehemaligen Osten und Westen Europas – auch diese durchkreuzen die Alpen- Adria-Region.
Was vermitteln Sie den Studierenden in der Lehrveranstaltung?
Die Studierenden erhalten einen Einblick in kulturwissenschaftlich geprägte Tourismus- Theorien und in die Geschichte einer kulturwissenschaftlich inspirierten Forschung zu Hotels. Es ist sehr erstaunlich, dass viele von den Studierenden bereits sehr spezielles Wissen über bestimmte Hotels in die Lehrveranstaltung mitbringen. Sie analysieren anhand von Befragungen, Beobachtungen und Diskursanalysen, wie Sehnsüchte bezüglich bestimmter Reisedestinationen und Typen von Hotels produziert und reproduziert werden, warum Hotels scheitern oder erfolgreich sind. Es ist durchaus spannend zu erforschen, wie ein aus einem bäuerlichen Hintergrund hervorgegangenes Hotel in den Kärntner Bergen gewachsen ist, welche Motive zu den immer neuen Investitionen führten und wie diese finanziert wurden – wie also und Gastgebern gemeinsam gestaltet wird.
An welchem Projekt arbeiten Sie derzeit? Dem Wiener Nordwestbahnhof. Anlässlich der Wiener Weltausstellung von 1873 noch prominent eröffnet, wurde der Bahnhof nach dem 2. Weltkrieg zu einem wichtigen Logistikzentrum und Güterumschlagplatz in Innenstadtnähe ausgebaut. Gleichzeitig verschwand er dadurch auch aus dem Bewusstsein der WienerInnen. Bevor das Areal nun aber einem neuen Wohnbaugebiet weichen wird müssen, habe ich mich mit meinem Kollegen Michael Hieslmair am Gelände eingemietet, um in einem Projektraum vor Ort dessen Geschichte aufzuarbeiten und um die wirtschaftshistorische Bedeutung dieses vorübergehend vergessenen Ortes im Zentrum Wiens in Erinnerung zu rufen: Hier sind die ersten frischen Fische 1899 aus der Nordsee in Wien angekommen; 1938 fand aber auch hier die NS-Propagandaausstellung „Der Ewige Jude“ statt.+
für ad astra: Lydia Krömer
Zur Person
Michael Zinganel studierte Architektur in Graz, Kunst an der Jan van Eyck Academy Maastricht und promovierte in Zeitgeschichte an der Universität Wien. Er arbeitet als Kulturwissenschaftler, Künstler und Kurator in Wien: u. a. über transnationale Mobilität, Massentourismus und Migration. Er ist Mitbegründer von Tracing Spaces. Zum Thema Tourismus publizierte er u. a. Holiday after the Fall – Seaside Architecture and Urbanism in Bulgaria and Croatia. Berlin: jovis 2013.