Eine spannende Reise ins Bauhandwerk des Mittelalters
Wie haben die Menschen im Mittelalter es geschafft, Burgen zu bauen, die oft noch bis heute Bestand haben? Welche Techniken und Materialien haben sie dabei verwendet? Unser Wissen darüber ist weniger umfangreich, als man vielleicht annehmen könnte. Konkrete Hinweise erhalten wir aus zeitgenössischen Schriften, Bildern, noch bestehenden mittelalterlichen Bauten und, ja, Neubauten.
In Tat und Wahrheit handelt es sich bei solchen Burgneubauten um Experimente in sehr großem Stil. Ein sehr bekanntes Beispiel dafür ist die Burg im französischen Guédelon, mit deren Bau schon im Jahre 1997 begonnen wurde. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2023 geplant. Aber nicht nur in Frankreich gibt es einen Burg-Neubau, auch im kärntnerischen Friesach begann man im Jahr 2009 mit dem originalgetreuen Bau einer mittelalterlichen Burg.
Beim Burgbauprojekt in Friesach kommen ausschließlich mittelalterliche Handwerksmethoden und Techniken zum Einsatz. Die Handwerker arbeiten wie vor 800 Jahren, moderne Baustoffe und Maschinen gibt es auf dieser außergewöhnlichen Baustelle nicht. Diese Art der Experimentalhistorie hilft dabei, die geringen Realkenntnisse über Planung, Baustellenorganisation, Technik und verwendete Materialien auf einer mittelalterlichen Baustelle zu verbessern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler testen die Theorien und Vorstellungen darüber, wie man wohl im Mittelalter gebaut haben könnte, in einem einzigartigen realen Geschichtslabor. Dadurch dauert zwar der Burgbau etwas länger – schließlich erfolgt der Bau in gewissem Ausmaß unter der Prämisse „trial and error“; die Erkenntnisse, die daraus gewonnen werden, sind jedoch enorm.
Um sich daher den Realitäten des Bauens im Mittelalter möglichst weit anzunähern, wurde die 16. Friesacher Akademie veranstaltet, auf der Expertinnen und Experten zu Themen wie „Bautechnik im Mittelalter“ oder „Die Entwicklung der Mauerwerkstechnik am Beispiel des österreichischen Raumes“ referierten. Ziel war es, den Burgbau in Friesach mit der konkreten Expertise der internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu unterstützen.
Das Geschichtelabor in Friesach
Auf dem Burgbaugelände wird angewandte Forschung betrieben, die HistorikerInnen werden zu teilnehmenden Beobachtern. Probleme, Schwierigkeiten und Lösungsansätze der Bauspezialisten aus dem Mittelalter werden damit konkreter und nachvollziehbarer. Die heutigen Burgbauerinnen und Burgbauer entdecken durch ihre Tätigkeit längst verloren gegangenes Wissen wieder und lernen, uralte Bautechniken zu verstehen. Dieses „learning by doing“ bringt eine Vielzahl neugewonnener Erkenntnisse mit sich, die dokumentiert und publiziert werden können.
Was hat man bis jetzt schon aus Friesach gelernt?
Der Burgbau in Friesach hat schon vielerlei Erkenntnisse zu Tage gefördert. Das beginnt bei der Dauer des Baus und geht über die Organisation bis hin zu konkreten Materialfragen. Geforscht wurde beispielsweise schon an der Konsistenz des Mörtels. Der mittelalterliche Mörtel hat eine extrem lange Haltbarkeit. Dazu gibt es die verschiedensten Theorien: nun können diese anhand von Experimenten verifiziert werden.
Rauchschwaden über Friesach. Die Tücken der Experimentalgeschichte.
Die WissenschaftlerInnen mussten aber auch lernen, dass Experimentalgeschichte ihre Tücken hat. Noch bis vor wenigen Generationen war das Brennen von Kalk allgemeines Wissen. Heute haben nur mehr eine Handvoll Experten mehr oder weniger theoretische Kenntnisse über die Funktionalität eines Kalkbrennofens. Als nun der mittelalterliche Kalkbrennofen in Friesach befeuert wurde, hüllten die Experimentalwissenschaftler erst einmal die gesamte Stadt in dunkle Rauchschwaden. Immerhin war die Feuerwehr informiert worden, die dem Treiben auf dem Burgberg also mehr oder minder gelassen entgegenblickte. Beim dritten Anlauf hat die Kalkherstellung aber dann tatsächlich funktioniert: learning by doing.
Spektakuläre Erkenntnisse
Burgen sind für die Ewigkeit gebaut – so eine unserer gängigen Meinungen über den Burgbau. Eingefallene Mauern werden also quasi immer einem Kampfgeschehen zugeordnet. Es wurde immer angenommen, dass Burgen regelmäßig erstürmt und wieder geschleift wurden. Ein Großteil der von uns als „geschleift“ interpretierten Burgen ist aber eigentlich gar nicht erstürmt worden. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Baukenntnisse der mittelalterlichen Burgherren und -bauer oftmals doch nicht ganz so ausgefeilt waren und die Mauern entweder schon beim Bau oder kurz danach einfach wieder zusammengefallen sind – ohne jegliche Feindeinwirkung. Auch bestimmte Baumerkmale werden von uns oft fehlinterpretiert, z. B. die so genannten Pechnasen. Es wurde angenommen, dass durch die Pechnasen heißes Pech oder heißes Wasser auf Angreifer ausgegossen wurde. Die meisten Burgen waren aber viel zu klein, um die benötig benötigten Mengen an Pech erhitzen zu können. Auf Höhenburgen war Wasser sowieso ein knappes Gut. Die Experimentalgeschichte hilft, solche Fehleinschätzungen zu korrigieren und Baumerkmale korrekt zu interpretieren.
Wie geht es mit dem Burgbau in Friesach weiter?
Das große Freiluft-Experimentallabor wird es noch einige Zeit geben. In Friesach sind 30 bis 40 Jahre Bauzeit für das Gesamtprojekt vorgesehen. Denn auch die Arbeitsleistung der mittelalterlichen Handwerker ist nicht zu unterschätzen. Für die ArbeiterInnen, die auf der Burgbaustelle in Friesach arbeiten, bedeutet die strikte Anwendung mittelalterlicher Bautechniken eine enorme Umstellung. Es macht einen riesigen Unterschied, ob man mit Maschinen oder der Kraft der eigenen Hände arbeitet. Dies ist eine weitere wichtige Erkenntnis: wir kommen heutzutage nur mit Mühe an die physische Arbeitsleistung von damals heran.
Lust auf einen Burgbau-Besuch bekommen?
Die Baustelle ist ab dem 16. April 2018 wieder zu besichtigen. Mehr Informationen unter www.burgbau.at
für ad astra: Annegret Landes
Akademie Friesach
Vom 17. bis 19. Oktober 2013 fand die 16. Akademie Friesach statt, die sich dem mittelalterlichen Bauhandwerk widmete. Dabei wurde dieser bisher wenig beachtete, aber wichtige Bereich mittelalterlicher Geschichte von Fachleuten verschiedener Disziplinen umfassend vorgestellt. Im Februar 2017 erschien nun der Band „Von Steinmetzen, Zimmerern und Schmieden. Bauhandwerk im Mittelalter“. Das Institut für Geschichte veranstaltet die Friesacher Akademien schon seit 1990 gemeinsam mit der Stadt Friesach.