Im Kosmos von Paul Schweinzer
Mein hier vorgestellter Kosmos ist Ingress, ein Augmented-Reality-Spiel für Smartphones.
Begonnen hat es vor einem Jahr mit dem Wunsch meiner Tochter Signe, ihr etwas von meinem einmonatigen Peking-Aufenthalt mitzubringen. Es sollte etwas mit Geo-Caching sein, denn das kannte sie von der Schule. Ich habe dann gebaidut – googeln funktioniert ja in China nicht – und bin auf Ingress gestoßen. Signe (8), mein Sohn Caspar (10) und ich spielen es seitdem. Ich nutze Ingress auch für meine spieltheoretische Forschung und spiele es fast täglich auf den Wegen von zu Hause in die Arbeit und zum See, also zwischen Rizzibrücke, Lakeside Park und im Europapark. Da habe ich auch schon einige Portale erobert, wozu man ja physisch anwesend sein muss. Das Google Spinoff Niantic Labs hat das Spiel erfunden. In Kooperation mit Nintendo verwendet es die Technologie nun für Pokémon-Go und dieselben Portale auch für diese populäre Variante, jedoch mit eher low key.
Die Idee zu Ingress lieferte der Science Fiction Roman „The Three-Body Problem“ des Chinesen Liu Cixin. Das Dreikörperproblem ist schon ein sehr altes Problem der Mathematik. Im Gegensatz zur Bahnberechnung von Zweikörpersystemen wie Erde und Sonne lässt es sich letztlich nicht ausrechnen, wie sich ein dynamisches System mit drei Massen entwickelt. Im Roman ist das Dreikörperproblem der Grund, warum die Aliens ihren Planeten verlassen. Die sind recht schlau, können aber auch nicht vorhersagen, wann ihre drei Sonnen ihrem Planeten so nahe sind, dass alles verbrennt.
Im Ingress-Spiel nehmen nun die intelligenten Außerirdischen Kurs auf die Erde und treffen hier auf zwei Gruppen. Die Resistance oder Blauen leisten Widerstand und wollen sie völlig abwehren, die Enlightened oder Grünen wollen sie hereinlassen, damit sie helfen, die Konflikte auf der Erde zu lösen. Beide Gruppen versuchen die Weltvorherrschaft zu erlangen, indem sie möglichst große Dreiecke auf realen Landkarten für sich beanspruchen. Bettina Klose aus Sydney und ich interpretieren das zum Problem des optimalen Absteckens von Claims im Kalifornischen Goldrausch um. In Wirklichkeit geht es dabei um das kompetitive Einfärben von Landkarten.
Das Ingress-Spielen lässt sich mit meinen Gewohnheiten gut vereinbaren. In der Kreativphase einer theoretischen Problemlösung bin ich gerne ungestört, sonst kann ich auch mal ungehalten werden. Dann gehe ich oft spazieren, zum Beispiel zum See hinaus. Wenn ich meine Lösung gefunden habe, hole ich mein Smartphone hervor, suche mir ein Portal, hacke es und habe das Gefühl, wirklich etwas geschafft zu haben.
Ein professioneller Lebenstraum von mir ist es, eines Tages in einem der fünf Top Journals in der Ökonomie zu publizieren. Einen anderen Traum versuchen meine Frau Aline und ich eben zu realisieren: uns ein Haus zu kaufen und einen Platz zu schaffen, wo unsere Familie glücklich ist. Aline ist Reputation Managerin und arbeitet von zu Hause aus. Sie spielt nicht Ingress, hat aber einen Hotspot für die Kinder am Telefon eingerichtet, weil die nicht so viele Daten haben. Die Kids haben vor kurzem auf Pokémon-Go gewechselt. Das werde ich nicht tun, ich bleibe bei Ingress, zumindest bis mein Ingress-Paper fertig ist.
Ich liebe meine Arbeit! Also weniger die demonstrativen Teile, sondern das Herumkniffeln an einem Problem. Ich habe das Glück, dass die Spieltheorie eine relativ junge Wissenschaft ist und noch viele Fragen offen sind. Zum Beispiel: Wie soll eine Verfassung aussehen? Warum sind Blumen oder Gesichter zumeist achsensymmetrisch? Was steckt hinter dem Apollo-Syndrom?
für ad astra aufgezeichnet von: Barbara Maier
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Paul Schweinzer
Geboren: 1966 in Krems an der Donau
Beruf: Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre an der AAU seit 2015
Ausbildung: Volkswirtschaft (Universität Wien), Economics & Philosophy (London School of Economics), Bloomsbury PhD in Economics (Birkbeck College, University of London)
Kosmos: Ingress Videospiel 14. Juni und 2. August 2016