Die phantasierte Bedrohung
Massenmedien und Politik vermitteln, dass es um die Sicherheit in Österreich schlecht bestellt ist und es dementsprechend aufzurüsten gilt. Doch woher kommt die Angst vor der vermeintlichen Unsicherheit? Und wem nützt sie?
Das Bundeskriminalamt gibt jährlich eine Statistik heraus, die auf das Jahr 2016 zurückblickend insgesamt 538.000 Anzeigen anführt. Dieser Wert ist statistisch nicht beunruhigend, so gab es etwa 2007, 2008 und 2009 mehr Anzeigen. Das erste Halbjahr 2017 lässt Gutes erhoffen, so hat es gerade mal rund 252.000 Anzeigen gegeben. Der Detailblick auf die Gewaltkriminalität zeigt für 2016 43.100 Anzeigen, was ungefähr den Werten von 2008, 2009 und 2011 entspricht. Auch hier könnten die Werte für 2017 besser liegen; so gab es zum Halbjahr 2017 20.600 Anzeigen zu Gewaltkriminalität. Zwei von drei Gewalttaten sind Beziehungstaten. Sie werden also von unseren Nächsten verübt. Trotzdem fühlen sich heute viele, folgt man dem medialen Diskurs, in Leib und Leben insbesondere von dem Fremden bedroht.
Alexandra Schwell, Kulturanthropologin am Institut für Kulturanalyse, glaubt, dass viele Faktoren das Sicherheitsempfinden beeinflussen können. Einer davon könnte strategischer Natur sein: Gelingt es der Politik, ein Klima der Angst zu erzeugen, können innerhalb dessen Forderungen realisiert werden, die sonst auf Widerstand stoßen würden. Die Wissenschaft nennt dieses Phänomen Securitization. Angst sei für Schwell zwar etwas, das für Manipulation eingesetzt werden könne, aber für sie gilt: „Wir sind ja keine Roboter. Bloß, weil ein Massenblatt erzählt, dass uns Flüchtlinge bedrohen, reagiert nicht jeder gleichermaßen darauf.“ Sie fragt sich also, warum Bedrohungsszenarien bei manchen auf fruchtbaren Boden fallen, bei anderen jedoch Kopfschütteln und Unverständnis hervorrufen. Alexandra Schwell glaubt, dass die Disposition des Einzelnen entscheidend ist, im Sinne von Fragen wie „Wie verarbeite ich solche Berichte?“ oder „Was hat diese Darstellung mit meinen Alltagserfahrungen zu tun?“ „Wir sind unterschiedlich resilient in Bezug auf solche Informationen. Wir wissen beispielsweise, dass die Menschen dort am fremdenfeindlichsten sind, wo die wenigsten Fremden wohnen“, so Schwell. Ohne Alltagserfahrungen mit dem Fremden springt die Phantasie – häufig durch Presse und soziale Netzwerke medial unterstützt – an. Sie baut dabei auch auf ein bestimmtes, „oft unbewusst angereichertes Wissen auf, das zum Beispiel im Sozialisations- und Bildungsprozess sowie im täglichen Umgang mit anderen Menschen und Medien erworben wird, das die Grundlage dafür legt, was ich als mir eigen und als mir fremd und in gewisser Weise als bedrohlich empfinde.“
In der Hand der Politik liege dabei auch, wie Problemfelder benannt werden: „Wir haben in vielen Bereichen Probleme mit Arbeitslosigkeit, mit Familienstrukturen, mit Bildung. Aber indem ich sage, das ist ein Sicherheitsproblem, vergebe ich ein bestimmtes Label. So ergeht es der Migrationspolitik, die als Sicherheitsproblem und nicht z. B. als soziales Thema gefasst wird, das zudem nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe betrifft.“ Für Schwell werde so nicht das eigentliche Problem, wie z. B. soziale Ungleichheit, bekämpft, sondern der Bezugspunkt politischen Handelns ist die Imagination einer angeblichen Bedrohung durch eine vorgeblich verunsicherte Bevölkerung.
Auf die Frage, warum es den UmweltschützerInnen nicht gelingt, das Sicherheitsproblem, das im Klimawandel innewohnt, ähnlich zu kommunizieren und für einen Wandel zu nutzen, führt sie aus: „Interessanterweise spielen statistische Wahrscheinlichkeiten eine verschwindend geringe Rolle. Die jüngsten Diskurse in den USA zeigen auch, dass der Stellenwert von Objektivität gerade ins Hintertreffen gerät.“ Sicherheitsbedrohungen seien so auch Konjunkturen unterworfen: Während in den 1980er Jahren das Ozonloch oder das Waldsterben das Sicherheitsempfinden trübten, würde man sich heute hierzulande vor der Migration fürchten. Tatsächlich bedrohliche Szenarien wie der schwelende Konflikt zwischen den USA und Nordkorea oder die stetig steigende Erderwärmung schaffen es aktuell nur kaum ins emotionale Blickfeld der Gesellschaft.
für ad astra: Romy Müller