Das Dilemma des Drohbriefschreibers
Forensische Linguistik ist ein Spezialgebiet der Germanistin Ulrike Krieg-Holz. Sie analysiert Texte von Erpressern und Drohbriefschreibern und baut ein neues Referenzkorpus auf. Ihre Forschungsergebnisse kommen auch der Kriminalistik zugute.
In vielen Fällen verstellt sich ein Drohbriefschreiber* bei der Abfassung des inkriminierten Textes, um seine Identität zu verschleiern. Meistens, indem er Nichtmuttersprachlichkeit vortäuscht. Dabei hat er gleich zwei Probleme: 1. Wie gelingt ihm eine textliche Irreführung am besten? 2. Wie bleibt der Text dennoch verständlich? „Genau in diesem Dilemma befindet sich der Täter“, weiß Krieg-Holz, „doch hier kann die Expertise ansetzen. Dennoch ist es schwierig, den Täter sicher auszumachen. Die Auswertung der linguistischen Forensik kann von der Ausschließung von verdächtigen Personen bis zum Zutreffen mit hoher Wahrscheinlichkeit gehen.“
Für eine Autorschaftsbestimmung bzw. Täterprofilerstellung benötigt die Kriminalistik eine Zuordnung nach folgenden Kategorien: Muttersprache, Regionsherkunft, Bildungsgrad, Berufsgruppe, Schreiberfahrung und Geschlecht des Autors bzw. der Autorin. Weiters muss eruiert werden, ob eine einzelne Person oder mehrere Personen dahinterstecken und ob der Text ernst zu nehmen ist oder nicht – etwa bei einer Erpressung und Androhung einer Lebensmittelvergiftung.
Bei der systematischen Fehleranalyse gehen forensische Linguistinnen und Linguisten deviatorisch vor. Sie überprüfen den Text auf Abweichungen von Norm und Usus in punkto Orthographie, Grammatik, Stil und Textstruktur und kommen so zu Befunden, die auf eine bestimmte Person oder eine Personengruppe zutreffen. Krieg-Holz erklärt dies so: „Jeder Mensch besitzt eine bestimmte sprachliche Kompetenz sowie individuelle Vorlieben, anhand derer Texte im Falle von Textvergleichen innerhalb eines potenziellen Autorenkreises in der Regel bestimmten Personen zugeordnet werden können. Für eine Textanalyse ergeben sich daraus Hinweise in Bezug auf die genannten Kriterien der Täterbeschreibung.“
Das aktuelle große Problem in der Autorenerkennung liegt aber darin, dass im deutschen Sprachraum zu wenig Referenzmaterial vorhanden ist. „Es fehlt zuverlässiges Vergleichsmaterial für sprachliches Verhalten von erwachsenen Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft“, sagt Krieg-Holz, die nun mit der umfangreichen CodE-Alltag-Datenbank eine Arbeitsgrundlage aufbereitet. Dafür werden E-Mails von möglichst vielen Personen gesammelt; warum nicht SMS oder etwas anderes? Krieg-Holz: „Wegen deren großen Breite von performativer Varianz. Die Kommunikationsform E-Mail hat den Vorteil der hohen Flexibilität, und sie enthält verschiedene Textsorten privater und geschäftlicher Natur. E-Mails sind im Vergleich zu WhatsApp-Nachrichten relativ lang, werden häufig geschrieben und sind aufgrund der elektronischen Übermittlung leicht zu bekommen.“ Durch den Aufbau und die Auswertung dieses E-Mail-Korpus wird in absehbarer Zeit eine entsprechende Analysequelle auch für die Kriminalistik in Österreich und Deutschland vorliegen.
* Entgegen der Blattlinie wird hier z. T. das generische Maskulinum verwendet, da es sich bei der untersuchten Personengruppe zu 90 Prozent um männliche Täter handelt.
für ad astra: Barbara Maier
Zum Projekt
Forensische Linguistik ist ein Teilgebiet der Angewandten Linguistik und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Sprache und Recht. Auf Basis von Stil- und Fehleranalyse wird versucht, Informationen zum Autor bzw. zur Autorin zu gewinnen. Das Forschungsprojekt CodE-Alltag – Corpus deutschsprachiger E-Mails von Ulrike Krieg-Holz wurde 2014 an der Universität Leipzig in Kooperation mit der Friedrich-Schiller-Universität in Jena gestartet und wird seit 2015 an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt durchgeführt. Hilfreich sind möglichst viele Wortspenden aus dem Alltag. Es wird hiermit aufgerufen, eine private Mail, die dann vollständig anonymisiert in das Korpus einfließt, an die Forschungsgruppe zu senden: kodealltag [at] aau [dot] at