„Wir sind eine Kulturnation. Und eine Forschungsnation.“
FWF-Präsident Klement Tockner besuchte im Juni gemeinsam mit seinen StellvertreterInnen Artemis Vakianis, Ellen Zechner und Gregor Weihs die Alpen-Adria-Universität, um im Rahmen einer Roadshow auf die Aktivitäten des Wissenschaftsfonds (FWF) aufmerksam zu machen und Projekte vor Ort kennen zu lernen. Im Interview sprechen sie über das (Selbst-)Bewusstsein Österreichs als Forschungsnation und den entsprechenden Aufholbedarf.
In Ihrer Antrittsmitteilung als FWF-Präsidium steht von Ihnen, Herr Tockner, zu lesen: „Um in Österreich wissenschaftliche Exzellenz mit Zukunft noch sichtbarer und wirksamer als bisher zu entwickeln, muss der Wissenschaftsfonds ideell und materiell erheblich gestärkt werden. Das sehe ich als meinen Auftrag.“ Wie ergeht es Ihnen nun mit dem Auftrag?
Tockner: Der Auftrag ist natürlich genauso groß wie am Beginn. Ich nehme jedoch mittlerweile deutlich wahr, dass es einen grundsätzlichen, breiten Konsens über alle Parteigrenzen und Organisationen hinweg gibt, dass der FWF massiv gestärkt werden muss. Ich bleibe daher optimistisch, dass die längst überfällige Stärkung des FWF rasch kommen wird, ja kommen muss. Zum Vergleich: dem Schweizerischen Nationalfond SNF wurde im Jahr 2017 mehr als eine Milliarde Schweizer Franken genehmigt, das ist etwa fünf Mal so viel, wie der FWF derzeit zur Verfügung hat.
Was muss dafür passieren?
Tockner: Wir müssen uns gemeinsam bemühen, den Wert von Wissenschaft und Forschung deutlicher zu kommunizieren. Es braucht in Österreich mehr Mut zu sagen: Ja, wir sind eine Kulturnation. Und eine Forschungsnation. Wir sind eine wissensbasierte Gesellschaft! Es gilt das Ziel, dass wir zu einem der attraktivsten Länder in der Forschung und in der Ausbildung in Europa werden und bleiben.
Sind wir das so zweifelsfrei?
Tockner: Ja, Österreich ist ein wohlhabendes Land mit einem riesigen Potenzial im Forschungsbereich, das jedoch bei Weitem nicht genutzt wird. Daher brauchen wir ein starkes Bekenntnis zur Forschungsnation. Wir haben uns kürzlich an den Bundespräsidenten mit der Bitte gewandt, das in seinen Reden auch hervorzuheben. Dies muss öffentlich außer Frage stehen.
Wie wichtig ist es Ihnen, dass alle Menschen verstehen, dass öffentliche Investitionen in Wissenschaft gut angelegt sind?
Tockner: Man kann es nicht oft genug betonen: Wir leben massiv auf Kosten zukünftiger Generationen. Jede Verzögerung in der Suche nach nachhaltigen Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen ist daher unverantwortlich. Das heutige Wissen und somit evidenzbasierte Entscheidungen stellen eine wesentliche „Versicherung“ für unser zukünftiges Wohlergehen dar. Diesen Wert von Wissenschaft muss die Gesellschaft verstehen.
Wir haben als Präsidium des FWF von Anfang an versucht, ein anderes Narrativ zu wählen. Wir wollen inhaltlich stärker den Wert eines starken FWF unterlegen: Was sind spannende Bereiche? Wo gibt es das Potenzial, Antworten auf große Fragen zu finden? Wer sind die NachwuchswissenschaftlerInnen, die wir fördern wollen? So werden unsere Anliegen greifbar.
Weihs: Ich nehme wahr, dass die Begeisterung für die Wissenschaft in der Gesellschaft schon vorhanden ist, aber ich weiß nicht, wie breit dies gegeben ist. Die Politik versteht unsere Anliegen schon häufig, es benötigt zugleich einen dauernden Dialog zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik.
Zechner: Ich glaube nicht, dass die meisten Menschen wissen, wie viel Potenzial im Bereich der Wissenschaft nicht genutzt wird. Die öffentliche Meinung geht häufig davon aus, dass im universitären Bereich alle ausreichend finanziert sind. Wenn man aber gemeinhin wüsste, wie viel exzellentes Potenzial brach liegen muss, weil es nicht finanziert werden kann, würde viel Empörung darüber herrschen. Wir müssen uns bei den jungen NachwuchswissenschaftlerInnen wegen der beschränkten Ressourcen oft zwischen Exzellenz und Exzellenz entscheiden, was sehr schade ist. Was wir uns hier vergeben, ist verantwortungslos.
Weihs: Diese Wahrnehmung der Universitäten basiert meiner Meinung nach auch auf dem völlig freien, unkontrollierten und unfinanzierten Hochschulzugang, à la: Wenn ohnehin jeder studieren kann, dann müssen die Universitäten offensichtlich genug Geld haben. Hier gibt es große Missverständnisse.
Wie ergeht es den jungen Menschen heute in der Wissenschaft?
Tockner: Die prekären Beschäftigungsverhältnisse müssen uns sehr zu denken geben. Es ist unannehmbar, dass man derzeit erst mit deutlich über 40 Jahren eine langfristige Perspektive als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler bekommt. Für mich ist da Vertrauen essenziell. Man muss diesen engagierten und exzellent arbeitenden jungen Menschen sagen können: „Wir lassen euch jetzt einfach machen. Und haben Vertrauen, dass ihr das könnt und das Beste daraus macht.“ Mit den START-Preisen haben wir als FWF eine dieser großen Möglichkeiten geschaffen.
Wie ist das mit dem hohen Gut der Mobilität in der Wissenschaft zu vereinbaren?
Tockner: Meines Erachtens schließt das eine das andere nicht aus. Meine Beobachtungen zeigen mir, dass hierzulande die Mobilität nicht ausgeprägt genug ist. Man bleibt gerne an dem Ort, an dem man ist. Wissenschaft ist aber international. Ein Doktorand oder eine Doktorandin, der oder die fertig ist, muss weggehen. Natürlich ist es bequemer, die Leute, die man ausgebildet hat, auch zu halten. Aber man tut ihnen damit nichts Gutes, man fördert sie dadurch nicht. Hier liegt viel Verantwortung bei den arrivierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Was aber stimmt: Bis 43 soll man nicht mobil bleiben müssen. Es wäre wichtig, diese Phase um 5 bis 7 Jahre in den Lebensläufen nach vorne zu bringen. Denn: Wir verlieren die besten Leute, nicht nur international, sondern auch in die Wirtschaft und in andere Bereiche.
Wie profitiert die österreichische Wirtschaft von Forschung?
Tockner: Österreich ist in erster Linie ein Land mit kleinen und mittleren Unternehmen. Diese KMUs können sich keine eigene Forschung leisten. Sie profitieren daher überproportional von starken Forschungsstandorten: Einerseits gibt es sogenannte „spill-over“-Effekte, wo nötiges Wissen direkt und unmittelbar in die Wirtschaft hinüberfließen kann. Aber was noch viel wichtiger ist: Die Universitäten bilden die kreativen Menschen aus, die in der Lage sind, neue Erkenntnisse zu generieren. Diese Fähigkeit darf nicht verloren gehen, sie ist durch nichts ersetzbar.
Der FWF unterstützt Grundlagenforschung. Macht es diese Tatsache im Vergleich zu anwendungsorientierter Forschung schwieriger, für öffentliche Unterstützung zu werben?
Tockner: Grundlagenforschung zeichnet dreierlei aus: Erstens ist sie grundsätzlich risikoreicher. Zweitens sind andere Zeitspannen zu berücksichtigen. Die Wirkungen der Grundlagenforschung sind zwar ungleich höher, aber sie entfalten sich oft später. Und drittens stellen die Ergebnisse der öffentlich finanzierten Grundlagenforschung ein Gemeingut dar. Dieses Gemeingut stärkt wiederum den regionalen Forschungs- und Wirtschaftsstandort. Insgesamt ist die (ökonomische) Umwegrentabilität deutlich höher, wenn man die Grundlagenforschung massiv stärkt. Alle globalen Innovationsführer bauen daher auf eine starke Grundlagenforschung.
Weihs: Wir müssen uns auch immer fragen: Wie kann jemand in angewandter Forschung gut sein, wenn er davor nicht auch schon etwas Grundlegendes erforscht hat. Das Denken nah an der Anwendung schränkt oft ein, wir meinen also: Man muss auch mal frei denken können. Wenn ich das kann, bin ich auch in der Anwendung besser.
Vakianis: Wir bürsten hier auch gegen den Zeitgeist. Ich denke, dass es wichtig ist, dass Universitäten und Forschungsförderer es gleichermaßen als ihre Aufgabe begreifen, hier an einem Strang zu ziehen und die Bedeutung der Grundlagenforschung stark zu kommunizieren. Die Notwendigkeit und der Druck, alles in einer Verwertungslogik zu denken, ist in unseren Zeiten gestiegen. Dagegen gilt es auch einzutreten.
Tockner: Es gilt zu kombinieren: Forschung mit Lehre und Grundlagenforschung mit anwendungsorientierter Forschung. Also keine Entweder-Oder-Entscheidung, sondern: Wie schaffe ich eine gute Balance und Kombination? Forschung und Lehre etwa gehören eng verknüpft.
Sie bemühen sich auch darum, mehr private Förderer für Grundlagenforschung zu gewinnen. Auf welchen Boden stoßen Sie dabei?
Tockner: Im Gegensatz zu Schweden, England oder der Schweiz gibt es hierfür leider noch keine Tradition hierzulande. Wir sehen es als unsere Aufgabe an mitzuhelfen, eine solche Kultur weiter zu entwickeln. Wir führen derzeit für vier Stiftungen die Qualitätskontrolle durch. Jedes dieser Beispiele ist ein Ansporn für weitere, vergleichbare Initiativen. Der angestrebte Kulturwandel wird aber noch längere Zeit in Anspruch nehmen.
Vakianis: Eine FWF-Stiftung ist gleichzeitig Fundraising-, aber auch Kommunikationsinstrument, das uns die Möglichkeit gibt, mit unterschiedlichen Gruppen in der Gesellschaft in Kontakt und in Austausch zu treten. In diesem Zusammenhang kann sich durchaus auch einmal Crowdfunding als passendes Instrument erweisen. Insgesamt geht es um Sensibilisierung und Kulturentwicklung für die private Förderung von Forschung.
Tockner: Und um Qualität. Bei den Stiftern gibt es ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass qualitativ auf den höchsten Standards gearbeitet werden muss. Sie sind oft sogar anspruchsvoller als die Forschungsorganisationen. Hier stoßen wir also gemeinsam in die gleiche Richtung. Qualität ist nicht verhandelbar.
Vielen Dank für das Gespräch.