Wie wird die Pandemie unsere Arbeit verändern?
Die Zukunft der Arbeit nach der Pandemie: Warum es fraglich ist, wie es mit der Telearbeit weitergeht, und was Organisationen tun können, um für ihre Mitarbeiter*innen auch in Zukunft positive Arbeitsbedingungen zu schaffen, erfahren Sie im Interview mit Heiko Breitsohl.
2020 war man sich recht sicher, dass die Pandemie unsere Arbeitswelt komplett verändern würde. In der ersten Welle der Pandemie haben viele Organisationen sehr schnell auf Teleworking umgestellt, nur um diese Arbeitsmodelle dann schnell wieder einzuschränken. Zum Ende des Jahres 2021 arbeiteten wieder erheblich weniger Menschen unter Teleworking-Bedingungen als noch 2020. Warum ist das so?
Viele Organisationen weisen eine gewisse Trägheit gegenüber Veränderungen auf. Es dauert ganz einfach, bis sich Veränderungen in Organisationen durchsetzen. Und je größer eine Veränderung ist, umso größer muss die Anstrengung sein, damit sie in der Organisation wirklich verankert wird. Das kennen wir aus der Forschung. Umso interessanter ist, dass wir uns da alle ein bisschen getäuscht haben. Eigentlich hätten wir es besser wissen müssen. Offensichtlich kann selbst eine Pandemie, die ja ansonsten sehr große gesellschaftliche Veränderungen ausgelöst hat, über Jahrzehnte eingeübte Verhaltensmuster nicht so einfach revidieren. Auf der Organisationsebene gibt es Strukturen und Kulturen, die ziemlich resistent gegen Wandel sind. Außerdem sind – gerade auf der Führungsebene – die handelnden Individuen ja dieselben wie vorher. Deren Kontrollbedürfnis ist ja nicht einfach so verschwunden.
Wieso tun sich denn Führungskräfte so schwer, Mitarbeiter*innen zu vertrauen? Es gibt ja Studien, die besagen, dass Personen im Teleworking tendenziell sogar mehr arbeiten.
Sie arbeiten tatsächlich mehr, teilweise sogar zu viel. Die eigentlichen Schwierigkeiten, die bei der Telearbeit auftreten, sind ja nicht, dass die Menschen nur noch daheim auf dem Sofa sitzen und gar nicht mehr arbeiten. Das Problem ist das Entgegengesetzte, nämlich dass viele Menschen Schwierigkeiten haben, mit der Flexibilität zurechtzukommen, da bei der Telearbeit die Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit wegfällt. Erste Studien aus der Pandemiephase zeigen, wie wichtig die Grenzen zwischen Arbeit und Erholung sind. Menschen brauchen die Erholung von der Arbeit. Daheim ist diese Grenzziehung wesentlich schwieriger, da sich Arbeit und Freizeit ineinander auflösen. Hier sind wiederum Arbeitgeber*innen und Führungskräfte gefordert, diese Auflösung zu bremsen. Wir müssen uns von der Grundannahme lösen, dass man als Arbeitgeber* in so tun kann, als würden die eigenen Beschäftigten außerhalb der Arbeit nicht existieren. Arbeitgeber*innen müssen lernen, ihre Beschäftigten in einem Gesamtkontext zu sehen.
Kann man Mechanismen entwickeln, um diese Vertrauensbasis zu stärken?
Die gibt es – und zwar auf der Ebene der Führungskräfte und auf der der Mitarbeiter* innen. Führungskräfte haben ja vor allem eine zumeist unterschätzte Aufgabe, nämlich den geführten Menschen dabei zu helfen, ihre Arbeit zu machen. Und das macht man unter anderem, indem man ihnen gute Arbeitsbedingungen schafft, aber auch, indem man als Vorbild handelt. Eine Führungskraft muss angemessenes Verhalten vorleben. Das bedeutet auch, dass Führungskräfte immer den ersten Schritt machen müssen. Beim Thema Vertrauen heißt das: Führungskräfte müssen zuerst vertrauen, da sie in der überlegeneren, mächtigeren Position sind. Wenn die Geführten dann sehen, dass ihnen Vertrauen geschenkt wird, sind sie meist auch bereit, sich vertrauenswürdiger zu verhalten. Generell müssen wir uns von der Annahme lösen, dass Kontrolle überhaupt ein gutes Instrument ist, um Motivation zu erzeugen. Kontrolle kann manchmal notwendig sein, um zum Beispiel in einer Produktionsanlage ein gewisses Sicherheitsniveau aufrechtzuerhalten. Aber was das Thema Motivation angeht, ist Kontrolle kein effektiver Mechanismus. Wichtig sind andere Dinge: gute Arbeitsbedingungen, eine gewisse Autonomie in der Gestaltung der Arbeit und die Vermittlung, dass das, was die Menschen tun, wichtig ist. Das Ziel muss es sein, Arbeitsbedingungen herzustellen, die Kontrolle unnötig machen.
Wie sehen Sie denn die Zukunft?
Wahrscheinlich wird sich dort am meisten ändern, wo es am meisten klemmt. Der größte Veränderungsdruck liegt bei den Arbeitgeber*innen, die die meisten Schwierigkeiten haben, neue Mitarbeiter*innen anzuwerben und einzustellen. Die größten Vorteile werden also diejenigen haben, die am besten antizipieren können, wo die Probleme liegen, und gute Lösungen dafür anbieten. Bei der Telearbeit reden wir ja von zwei ganz unterschiedlichen Problemen: Das eine Problem ist, dass Telearbeit jetzt wieder zurückgefahren wird und es immer noch nicht klar ist, dass flexiblere Arbeitsbedingungen an vielen Stellen sehr sinnvoll sind. Andererseits müssen Arbeitgeber* innen Telearbeit auch gut in der Organisation verankern, so dass sie funktionieren kann. Es regelt sich nämlich nicht alles von selbst, auch hier braucht es Strukturen. Diese müssen ermöglichen, dass die Flexibilität durch die Beschäftigten sinnvoll genutzt werden kann, ohne dass es zur Selbstausbeutung kommt. Wenn Telearbeit nicht funktioniert, ist sie schlecht gemacht. Gute Telearbeit bedeutet, gute Voraussetzungen für effektives Arbeiten zu schaffen.
Was braucht man dafür?
Zuallererst ist die entsprechende Ausstattung notwendig. Neben der Ausstattung sind es dann auch die Arbeitsbedingungen, die zählen. Da bei der Telearbeit eine stärkere Vermengung mit dem Privatleben stattfindet, sind auch die Bedürfnisse der einzelnen Beschäftigten unterschiedlich, denn ihr Privatleben unterscheidet sich ja auch. Ein Büro in einem Firmengebäude kann für alle gleich aussehen – das geht beim Teleworking nicht. Hier muss für jede Person eine individuelle Lösung gefunden werden, das ist eine Herausforderung. Neben dem Arbeitsplatz und der Zeiteinteilung ist es auch wichtig, dass den Menschen individuelle Strategien an die Hand gegeben werden, wie sie die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit meistern können. Wenn Arbeit und Privatleben räumlich getrennt sind, dann funktioniert das allein dadurch, dass man den Arbeitsort physisch verlässt. Das geht zuhause nicht. Es gehört zu den Aufgaben des Arbeitgebers, auch hierbei zu helfen. Das alles sind Herausforderungen, aber es lohnt sich, sie anzupacken. Zur Person Heiko Breitsohl ist seit Februar 2017 Universitätsprofessor für Organisation und Personalmanagement am Institut für Organisation, Personal- und Dienstleistungsmanagement. Seine Forschungsschwerpunkte sind Präsentismus (Anwesenheit bei der Arbeit trotz Krankheit), Mitarbeiterbindung, arbeitgeberseitige Unterstützung für ehrenamtliches Engagement sowie quantitative empirische Forschungsmethoden.
für ad astra: Annegret Landes
Zur Person
Heiko Breitsohl ist seit 2017 Universitätsprofessor für Organisation und Personalmanagement am Institut für Organisation, Personal- und Dienstleistungsmanagement. Heiko Breitsohl studierte Betriebswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und an der University of Memphis, USA. Von 2005 bis 2010 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wuppertal. Nach seiner Promotion im Jahr 2009 war Breitsohl an der Universität Wuppertal Juniorprofessor für Personalmanagement und Organisation und neben einem Forschungsaufenthalt an der University of California, Davis, hatte er eine Vertretungsprofessur an der Universität Gießen inne.
für ad astra: Annegret Landes