Wie wir wachsen, wenn wir spielen

Videospiele galten lange als hedonistisch und man dachte, sie seien nur zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib nützlich. Die Forschung beschäftigt sich aber zunehmend mit positiven Aspekten für die Entwicklung und das Lernen von Menschen. Imke Alenka Harbig untersucht für ihre Dissertation, wie wir uns mithilfe der fiktionalen Narrativen in Videospielen persönlich weiterentwickeln – und dabei vielleicht sogar weiser werden – können.

„Uns in unserem Wesen und in unserem Verhalten besser zu verstehen, das fand ich als Lebensziel immer schon sehr spannend“, erzählt Imke Harbig, Universitätsassistentin am Institut für Psychologie, im Interview. Ihrer großen „Lebensfrage“ kommt sie derzeit im Rahmen ihrer Dissertation auf einem eher ungewöhnlicheren Weg näher. Imke Harbig möchte wissen, was wir aus Videospielen lernen und inwiefern wir dadurch auch weiser werden können. Sie wird dabei von den Weisheitsforscher:innen Judith Glück und Nic Weststrate betreut.

Imke Harbig wuchs in einem Umfeld auf, in dem fiktionale Narrative – in Büchern, Filmen, aber auch Spielen – eine große Rolle spielten. „Schon früh habe ich das Videospielen als bereichernd erlebt. Ich habe zuerst viel mit meiner Schwester und später mit Freund:innen gespielt und konnte mich stundenlang über die gespielten Erlebnisse austauschen.  Bald hatte ich auch das Gefühl, daraus zu lernen und mit Hilfe dieser Erfahrungen zu wachsen.“ In der Forschung werde dieser Aspekt in den letzten fünf bis zehn Jahren zunehmend ernster genommen. Vergleichbar mit Filmen oder Büchern gebe es auch in Videospielen komplexe Narrative, durch die man tiefe Emotionen und beeindruckende Erfahrungen machen könne.

Welche Effekte könnten nun also positiv aus dem Spielen von Videospielen erwachsen? „Die Bandbreite positiver Effekte ist sehr groß. Beispielsweise kann man im sozialen Bereich Teamarbeit üben. Aber auch kognitive Fähigkeiten, wie schnelle Reaktionszeiten, können trainiert werden. Simulationsspiele wie Sims ermöglichen es uns herauszufinden, wie es ist, einen bestimmten Beruf auszuüben oder eine bestimmte Lebensart zu führen.“ Das Videospiel sei dabei ein sicherer Raum, in dem sich auch experimentieren ließe, wovor man im realen Leben aufgrund der Risiken zurückscheuen würde.

In der Weisheitsforschung gibt es eine lange Diskussion darüber, ob man selbst erlebt haben muss, woraus man lernt, oder ob auch indirekte Erfahrungen ähnliche Effekte erzielen. Imke Harbig ist wichtig zu betonen, dass das Videospiel eine Erweiterung des echten Lebens sein, dieses aber nicht ersetzen könne. Dennoch könnten die Spielerfahrungen auf spätere echte Erlebnisse vorbereiten: „Ich kann über ein Problemfeld besser nachdenken oder eine andere Perspektive einnehmen. Diese Vorerfahrungen unterstützen mich dann vielleicht, wenn ich in der Realität vor ähnlichen Herausforderungen stehe.“ Klar sei dabei, dass nicht jedes Videospiel bei jedem und jeder dasselbe auslösen würde: „Es gibt immer Wechselwirkungen mit der Persönlichkeit oder individuellen Erfahrungen.“

Ihre erste Studie für die Dissertation hat Imke Harbig bereits abgeschlossen. Sie hat dafür Menschen nach ihren Erkenntnissen aus den Videospielen gefragt. Sie kann auch ein Beispiel nennen: „Eine Person hatte viele nahestehende Todesfälle in ihrem Leben zu verkraften. Ihr fiel es schwer, mit Menschen darüber zu sprechen. Ein Videospiel, in dem es um Tod und Verlust geht, hat ihr dann den Raum gegeben, sich auf das Thema einzulassen.“ Fast alle videospielenden Studienteilnehmer:innen würden demnach über solche Lern- und Entwicklungserfahrungen berichten können. In der zweiten Studie möchte Imke Harbig nun wissen, wie die Videospieler:innen das Gelernte in das reale Leben überführen. Ihre Annahme ist, dass das nicht bei allen und mit allen Erkenntnissen gleichermaßen funktioniert. Schließlich will sie noch auf einer entwicklungspsychologischen Ebene wissen, welche Rolle Videospiele im Leben der Spieler:innen in verschiedenen Entwicklungsphasen gespielt haben.

Videospiele begleiten Imke Harbig in ihrem Leben weiterhin. Sie ist als Deutsche in Slowenien in der Nähe der Postojna-Höhle aufgewachsen und kam für das Psychologiestudium nach Klagenfurt, wo sie vor allem die Sprach- und kulturelle Vielfalt reizvoll findet. Die Vorstellung, in der Forschung bleiben und weiter lehren zu dürfen, und sich mit fiktionalen Narrativen und persönlicher Entwicklung zu beschäftigen, ist für sie sehr schön. „Aber ich bin natürlich offen, wo mich das Leben hinführen wird“, so Imke Harbig.

Auf ein paar Worte mit … Imke Harbig



Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin wären?
Ich hoffe, dass ich in den meisten Paralleluniversen einen Weg gefunden habe, meine Faszination für fiktionale Narrative und die menschliche Psyche zu vereinen. In mindestens einem habe ich mich aber sicherlich auch ganz dem Backen von Cupcakes gewidmet.

Was machen Sie im Büro morgens als Erstes?
Die zur Stimmung passende Musik anmachen.

Was bringt Sie in Rage?
Verletzendes und rücksichtsloses menschliches Verhalten. Ich musste mich noch nie über eine Ziege oder eine Pusteblume aufregen.

Was beruhigt Sie?
Die Anwesenheit eines Hundes halbiert mein Stresslevel innerhalb weniger Sekunden.

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Natürlich! Es gibt unendlich viel Denkmaterial; sich ununterbrochen auf die eigene Arbeit zu beschränken, wäre meines Erachtens grob fahrlässig.

Wovor fürchten Sie sich?
Um ehrlich zu sein, finde ich unsere Existenz und Sterblichkeit gleichermaßen faszinierend wie furchteinflößend.

Worauf freuen Sie sich?
Das Sziget Festival in Budapest gehört schon länger zu meinen Jahreshighlights.