„When the facts about Auschwitz came through …“: Wahrnehmung des Holocaust im US-amerikanischen Exil
Der 27. Jänner wird als Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust begangen. Der Fokus der Erinnerung liegt dabei auf den Gräueltaten, die auf europäischem Boden geschahen. Der Germanist Primus-Heinz Kucher beschäftigte sich nun in einer aktuellen Publikation damit, wie der Holocaust von deutschsprachigen Geflohenen in den USA auf- und wahrgenommen wurde.
Geflohene und Vertriebene haben heute ein umfassendes Informations- und Kommunikationsnetzwerk, mit dem sie vielfach über das Schicksal ihrer meist zwangsweise Zurückgelassenen informiert bleiben. In den 1930er und 1940er Jahren standen diese Technologien den vor den Nationalsozialisten Geflohenen (noch) nicht zur Verfügung. Umso erstaunlicher sind die Analysen von Primus-Heinz Kucher (Institut für Germanistik), die er kürzlich im internationalen Jahrbuch zur Exilforschung in Bezug auf das deutschsprachige Exil in den USA vorgestellt hat. „Blättert man wichtige Exilzeitschriften wie den Aufbau oder den Austro American Tribune durch und konzentriert sich dabei auf Nachrichten über die Vernichtungspolitik der Nazis, kann man feststellen, dass bereits wenige Monate nach Inbetriebnahme der großen Konzentrationslager ein beachtlicher Wissenstand über die systematischen Deportationen gegeben war. Erste Texte dazu erschienen in der zweiten Jahreshälfte 1942“ wie Kucher nachweist. Dies lege den Schluss nahe, „dass der Aufbau und die ihm nahestehenden jüdischen Organisationen über ein ausgezeichnetes Netz von Informationsquellen verfügten. Seit dem Einsetzen von Massendeportationen und Massenermordungen im Herbst 1942 prangerten sie diese auch öffentlich an. Die Leserschaft dieser Zeitschrift, die bekanntlich aufgrund ihrer Auflage und des zeitgenössischen Leseverhaltens einen beträchtlichen Teil des deutschsprachigen Exils in den USA erreichte, wurde somit sehr früh mit dem Holocaust konfrontiert.“
Die Geflüchteten hatten im Exil mit diesem schwierigen Wissen umzugehen. Es galt, „den Schmerz des Überlebens und die Ohnmacht des Exils angesichts der Diskrepanz zwischen der Normalität einer bescheidenen Alltagsexistenz in den USA und dem Wissen bzw. Ahnen um Deportation und Ermordung“, so Kucher, zu ertragen. Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller, aber auch VertreterInnen anderer Künste haben sich im Exil die Frage gestellt, in welcher Weise es angemessen sei, über den Massenmord und die zynische Brutalität zu sprechen. Primus-Heinz Kucher bringt in seinem Artikel eine Reihe von Texten als Beispiele für dieses Ringen um eine (brauchbare) angemessene Sprache ein. Diese stammen u.a. von Alfred Mombert, Berthold Viertel, Ben Hecht, Miriam Berg, Nelly Sachs und Mimi Grossberg. Letztere habe, so Kucher, in ihrem 1942 datierten, vermutlich jedoch später niedergeschriebenen Gedicht „When the facts about Auschwitz came through …“ die unmittelbare und schockierende Erfahrung der Traumatisierung ebenso thematisiert wie die Notwendigkeit, diese direkt/ungeschminkt zur Sprache zu bringen.
Kucher, P.H. (2016). „When the facts about Auschwitz came through…“ Der traumatische Einbruch der Shoah in das deutschsprachige Exil in den USA. In B. Bannasch, H. Schreckenberger & A.E. Steinweis: Exil und Shoah. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. München: edition text + kritik, Richard Boorberg Verlag (17-35).