Wenn Wälder wieder wachsen: ERC Starting Grant für Nachhaltigkeitsforscherin Simone Gingrich
In vielen industrialisierten Ländern wächst der Wald wieder, nachdem lange großflächig abgeholzt wurde. Was auf den ersten Blick positiv für die Umwelt und damit auch für das Klima wirkt, ist nicht notwendigerweise eine Lösung für den Klimaschutz. Simone Gingrich erhält einen renommierten ERC Starting Grant und möchte damit „versteckte Emissionen“ von Wiederbewaldungsprozessen aufzeigen und analysieren.
Der europäische Forschungsrat fördert grundlagenorientierte Pionierforschung mit hohem Potential und ermöglicht durch Preise wie den ERC Starting Grant exzellenten jungen ForscherInnen den Aufbau eines unabhängigen Forschungsteams. Simone Gingrich vom Institut für Soziale Ökologie erhielt einen ERC Starting Grant für ihr Projekt „Hidden Emissions of Forest Transitions: GHG effects of socio-metabolic processes reducing pressures on forests“ (HEFT), das 2018 starten wird.
Die großflächige Rodung von Waldflächen ist eines der wesentlichen Sorgenkinder der Nachhaltigkeitsforschung, vorwiegend deshalb, weil mit ihr Kohlenstoffemissionen verbunden sind, die für den globalen Klimawandel mitverantwortlich sind. Viele Länder, darunter zahlreiche industrialisierte Staaten, haben in den letzten Jahren wieder stärker auf Aufforstung als Klimaschutzmaßnahme gesetzt. Diese Prozesse haben nun zur Folge, dass – global betrachtet – weniger Waldflächen verloren gehen und dass mehr Kohlenstoff in den globalen Ökosystemen gebunden wird.
„Warum der Wald wieder wächst, wird unterschiedlich erklärt: Einerseits werden Maßnahmen zum Schutz des Waldes als Antwort auf Holzknappheit verstanden, andererseits führt die Verringerung kleinstrukturierter Landwirtschaft zur Ausdünnung ländlicher Gebiete, wodurch Flächen der Wiederbewaldung überlassen werden“, erklärt Simone Gingrich, Forscherin am Institut für Soziale Ökologie. Damit zeigt sich auch der Fokus ihrer Forschungsarbeit: Während bisherige Untersuchungen vor allem auf einzelne politische oder ökonomische Triebkräfte fokussierten, möchte sie systemische Verbindungen zwischen der Veränderung des Waldes und Industrialisierungsprozessen identifizieren. „Bisher hatte man keine stringente biophysische Perspektive, die das Schrumpfen und Wachsen des Waldes in den größeren Kontext der sozioökonomischen Ressourcennutzung einbettet“, so Gingrich. „Wir werden erstmals quantifizieren können, inwieweit die Emissionen aus Prozessen der landwirtschaftlichen Intensivierung oder der Substitution von Brennholz durch Fossilenergie die Kohlenstoffsenken in Wäldern übertreffen.“ Diese bisher „versteckten“ Emissionen ließen sich erst durch einen ganzheitlichen Blick auf Ökosysteme und gesellschaftliche Ressourcennutzung verstehen und quantifizieren. Gingrich erläutert weiter: „Die Verwendung von fossilen und anderen modernen Energiequellen hat während der Industrialisierung den Druck auf Landflächen reduziert, Energie bereitzustellen. Dies ermöglichte es den Wäldern zu wachsen.“ Nachhaltigkeitsprobleme würden damit aber nicht gelöst.
Simone Gingrich wird in den kommenden fünf Jahren gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen am Institut für Soziale Ökologie einen methodischen Rahmen zur Berechnung dieser Effekte entwickeln. Außerdem wird sie Fallstudien in Europa, Nordamerika, Süd-Ost-Asien und auf globaler Ebene durchführen. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, Potenziale für zukünftige treibhausgaseffiziente Wald- und Landnutzungsänderungen auszuloten, „die nicht ohne die Beachtung versteckter Emissionen identifiziert werden können. Damit werden wichtige Beiträge für zielführenden Klimaschutz geschaffen.“ Simone Gingrich hat ihre bisherige wissenschaftliche Karriere über Drittmittelprojekte finanziert. Sie ist Mutter von Zwillingen, die eben in die Volksschule kommen. Der ERC Starting Grant ist für sie „eine wichtige Anerkennung meiner bisherigen Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeitsforschung und Umweltgeschichte. Darüber hinaus ermöglicht er mir, gemeinsam mit KollegInnen fünf Jahre lang fokussiert an dem Thema meiner Wahl zu arbeiten – ein selten langer Zeitraum in der projektgeförderten Grundlagenforschung.“