„Wenn die Funktion der Medien nicht mehr als bedeutend wahrgenommen wird, ist eine Grundfeste der Demokratie in Frage gestellt. Es steht viel auf dem Spiel.“
Donald Trump und Alice Weidel wettern gebetsmühlenartig gegen „Fake News“ und „Lügenpresse“ und rütteln so an der Stellung der Medien als Kontrollorgane unserer Gesellschaft. Larissa Krainer (Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft) arbeitet gemeinsam mit KollegInnen in Deutschland und der Schweiz an einer Charta, die von der Kommunikationswissenschaft einfordert, stärker ihre Rolle als präsente Diskursstimmen in der Öffentlichkeit wahrzunehmen. Mit uns hat sie darüber gesprochen, warum es eine zugleich lautere wie ruhige Stimme der Wissenschaft in der Öffentlichkeit braucht.
Welche Lücke kann die Wissenschaft in der öffentlichen Debatte führen?
Wenn ich auf das Fach der Medien- und Kommunikationswissenschaft blicke, habe ich den Eindruck, dass im Moment – politisch ausgelöst – sehr viele Versuche laufen, die Medien als solche zu desavouieren. Der Präsident der USA sagt beispielsweise, er führe einen „Krieg“ gegen die Medien, wirft CNN-Reporter aus Pressekonferenzen und entzieht Akkreditierungen. Auch die deutsche AFD bläst ins selbe Horn. Ich bin der Meinung, dass die Wissenschaft hier Gegenrede zur Verfügung stellen muss, um auf Basis von sachlichen Argumenten die Funktionen von Medien in unserer Gesellschaft in Erinnerung zu rufen.
Trifft das auch auf andere Fachbereiche zu?
Ich denke, viele Fächer können wertvolle Beiträge zu erhitzten gesellschaftlichen Debatten liefern. Nehmen wir als weiteres Beispiel die Digitalisierung, im Zuge derer starke Verunsicherung um sich greift: Was bedeutet die Digitalisierung für die Zukunft der Arbeit? Was heißt das für mich persönlich? In welche Richtung soll ich mich orientieren? Ich denke, dass die Wissenschaft verpflichtet ist, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und ihre ruhige Stimme zu erheben.
Tut sie das Ihrer Wahrnehmung nach zu wenig?
Ich kenne viele einzelne, die das tun, sei es, dass sie Kommentare schreiben und sich so an die Öffentlichkeit wenden, oder dass sie sich mit bestimmten Berufsgruppen befassen und beispielsweise Workshops anbieten, in denen Wissenstransfer passiert. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass das usus ist, erwünscht ist, für alle als selbstverständlich gilt. Wir hören vor allem von jungen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, dass Wissenschaftskommunikation im öffentlichen Raum karrierefeindlich sei und sie angehalten würden, öffentliche Stellungnahmen zu unterlassen. Das halte ich – gerade für die Medien- und Kommunikationswissenschaft – für hochproblematisch und schockierend.
War die Situation schon mal besser?
Ja, auf Basis von unseren Interviews lässt sich sagen, dass das früher in unserem Fach selbstverständlicher war. Das hat bestimmt auch mit der Historie zu tun: Sowohl während der NS-Zeit als auch später in der DDR gab es Publizistik-Institute, die sich politisch vereinnahmen haben lassen bzw. vereinnahmt wurden. Danach war man sich stark der eigenen öffentlichen Verantwortung bewusst und hat das stärker reflektiert. In dem Zusammenhang der gegenwärtigen Herausforderungen gilt es aber zu betonen: Es geht nicht um parteipolitische Einmischung, sondern um Fragen des Gemeinwohls, die mit ruhiger Stimme und auf Basis von Evidenzen diskutiert werden müssen.
Gibt es in den USA, wo die Situation ja besonders augenfällig problematisch zu sein scheint, einen Aufschrei der Wissenschaft?
Ja, das ist bemerkbar und bildet sich auch in einer Vielzahl an Untersuchungen ab. Ein Beispiel sind die Social Bots, die in Form von Algorithmen im Verdacht stehen, Wahlen beeinflusst zu haben. Dazu wurde zuletzt intensiv wissenschaftlich gearbeitet. Die Kritik an Trump oder an der AFD ist schon vielerorts deutlich. Es steht viel auf dem Spiel. Wenn die Medien so diskreditiert sind, dass sie vielen Menschen nicht mehr glaubhaft erscheinen oder ihre Funktion nicht mehr als bedeutend wahrgenommen wird, ist eine Grundfeste der Demokratie in Frage gestellt.
Medien argumentieren immer wieder damit, dass das Interesse der LeserInnen, SeherInnen und HörerInnen nicht groß genug sei, um größere Flächen und Räume für Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Würden Sie dem Argument zustimmen?
Ich kann dafür keine Indizien feststellen. Mein Eindruck ist ein völlig anderer. Ein Indiz dafür wäre die Teilnahme an der Langen Nacht der Forschung, die sehr hoch ist. Ich glaube also, dass das Interesse gegeben ist, dass der Erfolg von Wissenschaftskommunikation aber vor allem von der Art der Vermittlung abhängt. Hier gäbe es noch viele Ideen weiterzuentwickeln, beispielsweise so genannte Wissenschaftsläden, die es in Deutschland und andernorts gibt und die eine Anlaufstelle für die Öffentlichkeit sind, sich mit Fragen an die Wissenschaft zu wenden.
Ist das gesamte Fächerspektrum gleichermaßen vermittelbar?
Vieles ist gesellschaftlich hochrelevant und erfährt bessere Aufmerksamkeit als anderes. Und dabei gibt es natürlich auch Themen, die auf einer Makroebene stehen und schwerer fassbar zu machen sind. Die Zahl an Anküpfungspunkten, die die alltäglichen Leben der Menschen betreffen, ist aber hoch.
Ein weiterer Eindruck herrscht vor, wenn man Medien analysiert: Dieselben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tauchen immer wieder auf, während andere nie vorzukommen scheinen. Warum ist das so?
Diesen Eindruck hat man auch in Studien bestätigt. Wenn JournalistInnen einmal jemanden am Telefon haben, von dem sie wisssen, dass er oder sie rasch eine Antwort gibt und dass er oder sie tauglich formulieren kann, dann suchen sie nicht nach jemand anderem. Hier ist es wohl unsere Aufgabe, neue Kolleginnen und Kollegen zu positionieren und ins Gespräch oder in die Wahrnehmung des journalistischen Systems zu bringen.
Zur Person
Larissa Krainer ist außerordentliche Professorin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft und vertritt dort das Querschnittsthema „Medienethik“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind darüber hinaus Kommunikationsethik, Interventionsforschung, Wissenschaftstheorie und Methodologie der transdisziplinären Forschung, kulturelle Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitskommunikation. Sie ist Vorsitzende des Senats der Universität Klagenfurt.