Wasserkraft im Fluss der Zeit
Wasserkraft trägt heute etwa zwei Drittel zur Stromversorgung Österreichs bei. Während die Energiewirtschaft von einer sauberen und emissionsfreien Form der Elektrizitätserzeugung spricht, sind Wasserkraftwerke auf der anderen Seite auch Angriffspunkte für Kritik durch die Umweltbewegung. Angelika Schoder hat für ihre ÖAW-geförderte Dissertation den Ausbau der Wasserkraft seit 1900 unter die Lupe genommen.
Konkret hat Angelika Schoder fünf Fallstudien im Osten Österreichs untersucht. Diese sind in unterschiedliche biophysische und soziokulturelle Kontexte eingebunden, was es ihr ermöglichte, „nach den Wechselwirkungen dieser Wasserkraftprojekte mit ihrer natürlichen Umwelt und nach der Wahrnehmung von Umweltthemen durch Technikerinnen und Techniker, die in Planung und Umsetzung bzw. Verhinderung dieser Kraftwerke involviert waren, zu fragen“, wie Angelika Schoder ausführt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich Technologien zur Stromerzeugung und -nutzung verbreiteten, standen Wasserkraftwerke für „Modernisierung“ und waren eng verwoben mit dem Prozess der Industrialisierung. „Das Aufkommen der Elektrizität erlaubte es, die Energie des fließenden Wassers flexibel zu nutzen, auch über die Grenzen des Flussgebiets hinaus, aber es brachte tiefgreifende Folgen sowohl für Ökosysteme als auch für menschliche Praktiken mit sich“, erläutert Schoder. Die technischen Experten zogen Trennlinien: zwischen moderner und vormoderner Technologie, zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen. Damit legitimierten sie den Landschaftswandel. Angelika Schoder schließt aus ihren Untersuchungen: „Ein genauerer Blick auf die längere Geschichte dieser Landschaften zeigt, dass solche Grenzen immer konstruiert sind.“ Schon früh herrschten Vorstellungen von rationeller und effizienter Ausbeutung der Naturkräfte bei technischen Experten vor. Am Beispiel der Kamp-Gewässerlandschaft zeigt sich, dass dort erst in den 1950er-Jahren ein „window of opportunity“ aufging, das die Umsetzung ehrgeiziger Pläne für die Transformation der Landschaft erlaubte. Schließlich stieß das Projekt des weiteren Ausbaus der Kampkraftwerke aber auf massiven öffentlichen Widerstand und wurde gestoppt. Heute koexistieren am Kamp drei größere Speicherkraftwerke mit zahlreichen Kleinwasserkraftwerken, die sich großteils an ehemaligen Mühlenstandorten befinden.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwandelten Ingenieure die österreichische Donau in eine beinahe ununterbrochene Kraftwerkskette. Beginnend mit dem Kraftwerk Jochenstein an der österreichisch-bayrischen Grenze, das 1956 fertig gestellt wurde, gibt es in Österreich insgesamt zehn große Elektrizitätswerke an der Donau. Angelika Schoder berichtet: „Lediglich zwei Lücken verbleiben, wo in einer Phase wachsenden ‚Umweltbewusstseins‘ Proteste den Bau von Wasserkraftwerken verhinderten – in der Wachau und östlich von Wien.“ An dem Beispiel der Donau würde sich zeigen, wie Eingriffe in die Flüsse langfristige Nebenwirkungen mit Wechselwirkungen zwischen Stromerzeugung, Schifffahrt und Naturschutz erzeugen.
für ad astra: Romy Müller
Zur Person
Angelika Schoder schließt gerade ihr Doktorat am Institut für Soziale Ökologie (vormals AAU, nun Universität für Bodenkultur Wien) ab. Sie hat davor Produktmarketing und Projektmanagement mit Schwerpunkt „Erneuerbare Energie und Rohstoffwirtschaft“ an der Fachhochschule Wiener Neustadt (Bachelor) sowie „Natural Resources Management und Ecological Engineering“ an der Universität für Bodenkultur (Master) in Wien studiert. Schoder erhielt für ihre Dissertation ein DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.