Norbert Wohlgemuth

Warum man Energiemärkte nicht sich selbst überlassen kann

Norbert Wohlgemuth forscht im Bereich Energieökonomik. ad astra führte mit ihm ein Gespräch über Marktversagen in Energiemärkten und zur Frage, warum man Windkraft in Kärnten hinterfragen sollte.

Herr Wohlgemuth, was kann ich mir unter Energieökonomik vorstellen?
Ökonomik ist die Lehre vom bestmöglichen Einsatz knapper Ressourcen. Bestmöglich bedeutet häufig, dass wir mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen möglichst viel erreichen möchten. In der Energieökonomik erfolgt die Anwendung ökonomischer Prinzipien im Bereich Energie, deren kontinuierliche Verfügbarkeit für unser Leben von zentraler Bedeutung ist.

Was ist jetzt nun das Besondere von Energiemärkten, was unterscheidet sie von anderen Märkten?
Märkte für Energie, vor allem jene für Elektrizität, kann man nicht ohne weiters sich selbst überlassen, weil sie durch Marktversagen charakterisiert sind, d. h. das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage funktioniert oft nicht gemäß der „Unsichtbaren Hand des Marktes“.

Welche Folgen hat dieses Marktversagen?
Es besteht beispielsweise die Gefahr von verzerrten Energiepreisen oder einer exzessiven Umweltverschmutzung. Ein typischer Fall von Marktversagen sind externe Effekte. Wenn z. B. ein Betreiber von Kohlekraftwerken die Umwelt verschmutzt, für den daraus resultierenden Umweltschaden aber nicht haften (d. h. bezahlen) muss, nennt man das einen externen Effekt. Der Schaden entsteht der Gesellschaft als Ganzes und nicht dem konkreten Verursacher. Damit ist der Marktpreis für die umweltschädigend erzeugte Elektrizität zu niedrig, weil die Kosten der Umweltverschmutzung im Preis nicht inkludiert sind. Die Folge ist ein zu niedriger Elektrizitätspreis, der die Konsumenten zu einem zu hohen Verbrauch anregen könnte. Damit sind wiederum Alternativen – umweltschonende Formen der Elektrizitätserzeugung – weniger attraktiv.

Was kann man in so einem Fall tun?
Instrumente, um dieser Problematik zu begegnen, sind z. B. die Einführung von Umweltsteuern oder Emissionshandelssystemen. Auch Vorgaben zur Erhöhung der Energieeffizienz sind denkbar. Es ist dabei jedoch sehr wichtig, dass man sich mögliche „unerwünschte Nebenwirkungen“ von solchen Maßnahmen genau überlegt. So kann z. B. eine höhere Energieeffizienz wegen des Reboundeffekts Einsparpotenziale zunichtemachen.

Welche Rolle spielen Monopolisten in Energiemärkten?
Ein Monopol ist ein weiterer Klassiker unter den Fällen von Marktversagen. So genannte natürliche Monopole treten überall dort auf, wo es aus ökonomischen Gründen oft nur einen Anbieter geben kann. Häufig ist das der Fall, wenn Leitungsnetze zur Erbringung von Dienstleistungen benötigt werden, z. B. bei Elektrizität, Erdgas, bei Schienennetzen und der Wasserver- und -entsorgung. Einfach gesagt: Ein Monopolist kann Konsumenten das Geld aus der Tasche ziehen. In solchen Fällen muss man dem Monopolisten auf die Finger klopfen, d. h. ihn regulieren, z. B. indem man ihm vorgibt, welchen maximalen Preis er verlangen darf. So wurde kürzlich der Kärnten Netz GmbH eine Erhöhung der Durchleitungstarife für Elektrizität bewilligt. Stark dezentralisierte Formen der Elektrizitätserzeugung und des -handels, vielleicht basierend auf der Blockchain-Technologie, könnten jedoch den bisherigen Monopolisten das Leben schwer machen.

Wie sieht es im Bereich der erneuerbaren Energieträger aus?
Erneuerbare werden gefördert, damit sie sich in absehbarer Zeit am Markt durchsetzen und auch ohne Subventionen bestehen können. Die ökonomische Rechtfertigung dafür sind beispielsweise die Klimaerwärmung, die Problematik erschöpfbarer Ressourcen oder Aspekte der Energieversorgungssicherheit.

Und wie steht es um die Windkraft in Kärnten?
Die aktuelle Diskussion ist ein sehr interessantes Beispiel. Auf den ersten Blick könnte man Windkraftwerke in Kärnten aus obigen Gründen positiv sehen. Bei ökonomischer Denkweise sind aber auch andere Dimensionen relevant, nämlich wie mit einem eingesetzten Förder-Euro ein maximaler Effekt erzielt werden kann. Immerhin handelt es sich bei den Subventionen um Geld der Elektrizitätskonsumenten, das ihnen in Form der Ökostromumlage abgenommen wird. Wenn (Wind)kraftwerke schon subventioniert werden müssen, dann sollte zumindest sichergestellt sein, dass man deren Betreibern nicht zu viel Geld hinterherwirft, sie also nicht überfördert.

Wie kann man mit dieser möglichen Problematik umgehen?
Die gegenwärtigen Fördermechanismen berücksichtigen den Aspekt der möglichen Verschwendung noch zu wenig. Es gibt fixe Einspeisungstarife für jede Kilowattstunde. Aber im Osten Österreichs kommt es billiger, Windstrom zu erzeugen als in Kärnten, das nun einmal kein „Windland“ ist. Das würde bedeuten, dass ein Betreiber von Windkraftwerken im Burgenland oder in Niederösterreich mit weniger Subvention auskommen müsste als einer in Kärnten. Eine ökonomisch effizientere Vorgangsweise besteht in Ausschreibungsverfahren: derjenige Anbieter erhält den Zuschlag, der den geringsten Förderbedarf anmeldet. Damit wäre die Windkraft in Kärnten vom Tisch. Aber Kärnten hat Vorteile bei anderen Technologien, z. B. bei der Photovoltaik, der Wasserkraft und der Biomasse.

Elektrizitätsmärkte sind grenzübergreifende, internationale Märkte. Welche Rolle spielt das?
Eine wichtige. Wenn es einen einheitlichen europaweiten Elektrizitätsmarkt gäbe, wäre eine Konvergenz der regionalen Großhandelsstrompreise zu erwarten. Das ist aber nicht der Fall, vor allem weil es nicht genügend Übertragungskapazitäten gibt. Diese Engpässe stellen eine gewichtige Barriere bei der Umsetzung der Energiewende dar, die dadurch unnötig teuer wird.

Welche übergeordneten Ziele werden mit der aktuellen Energiepolitik verfolgt?
Primäres Ziel ist die Senkung der Treibhausgas-Emissionen. Eine Vorgabe der EU ist, dass das Energiesystem bis zum Jahr 2050 weitestgehend dekarbonisiert, d. h. von fossilen Energieträgern unabhängig, werden soll. Das ist aber eine äußerst anspruchsvolle Herausforderung, die Maßnahmen in vielen Bereichen erfordert. Um bei den Erneuerbaren zu bleiben: Die Energieerzeugung durch Windkraft und Photovoltaik ist von Umweltbedingungen abhängig. Ohne entsprechende Speicherkapazitäten kann also eine 100%ige Versorgung mit „Ökostrom“ nicht sichergestellt werden. „Erneuerbar“ darf auch nicht mit „nachhaltig“ gleichgesetzt werden. Je größer nun der Anteil der erneuerbaren Energieträger am gesamten Energiemix ist, desto wichtiger sind fossile Energieträger, die das Backup für diejenigen Phasen bereitstellen, in denen es nicht genügend Sonne und Wind gibt. Das ist das Paradoxe an dieser Situation. Man könnte auch sagen, die Erneuerbaren sind das Opfer ihres eigenen Erfolgs. Ein großes Angebot an Wind- und Sonnenenergie drückt den Preis, und das macht sie weniger wettbewerbsfähig. Die Energiewende kommt also sehr viel teurer als ursprünglich erwartet – weil Energiepolitiker oft mehr auf Lobbyisten als auf Energieökonomen hören.

für ad astra: Annegret Landes

 

Zur Person

Norbert Wohlgemuth ist außerordentlicher Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre. Seit Juni 2016 leitet er das Kärntner Institut für Höhere Studien und wissenschaftliche Forschung (KIHS). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wirtschaftspolitik, in den institutionellen Veränderungen in Energieindustrien, Energie und Entwicklung und in den gesellschaftlichen Auswirkungen von Innovationen im Energiebereich.