Von der Fliege im Fliegenglas: Neue Einsichten zur Denk- und Arbeitsweise von Ludwig Wittgenstein
„Was ist dein Ziel in der Philosophie? – Der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zeigen.“ So heißt es in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen, §309. Wie er die Metapher genau verstanden haben wollte, wurde aus seinen publizierten Texten nicht in derselben Weise klar, wie dies nun anhand der Mitschriften der „Whewell’s Court Lectures“ (1938-1941) deutlich wird. Die Wittgenstein-Forscher Volker Munz und Bernhard Ritter haben die Vorlesungsmitschriften redigiert, mit Einleitungen und Verweisen auf publizierte Schriften versehen und zeitlich eingeordnet. Nun ist das Buch dazu erschienen, das viel Erhellendes zu Wittgensteins Denken bereithält.
„The fly catcher. The fly gets in but can’t get out. The stronger the wish to get out, the harder it is for it to get out. (It is fascinated by one way of trying to get out.) If we put the fly in glasses of shapes and shades different to this one, where it was easier for it to get out, where it was less fascinated by the light, etc., and we trained it to fly out of these, it might fly out of this one also.” Diese Zeilen hat der Schüler und enge Freund Wittgensteins Yorick Smythies im Sommertrimester 1938 am Campus des Trinity College in Cambridge notiert. Sie und andere Notizen geben Volker Munz und Bernhard Ritter (beide Institut für Philosophie der AAU) Aufschluss über die Metapher: Die Fliege sei gefangen in ihrer Art, den Ausweg zu suchen. Sie strebt dabei der Faszination des Lichts entgegen und übersieht, dass es die Option gäbe, die Fliegenfalle wieder so zu verlassen, wie sie hineingeraten ist. Die Aufgabe der Philosophie könnte es nun sein, das Glas abzudecken, sodass die Faszination weg fällt, und die Fliege den Weg erkennt. „Äquivalent könnte man das Diskutieren über philosophische Begriffe sehen. Es gibt Termini, die haben die Faszination des in die Irre führenden Lichts. Man wendet sich einem anderen, weniger aufgeladenen Begriff zu, der dann als Modell dient, den ersten Begriff zu verstehen“, erläutert Bernhard Ritter dazu.
Das Beispiel der Fliege im Fliegenglas zeigt, wie die nunmehr bearbeiteten mehr als 2.000 Seiten an Manuskripten und Typoskripten dazu beitragen können, die Verfahrensweise und das Denken eines des bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts besser zu verstehen.
Besonders schwierig war die Datierung der Mitschriften: „Sie war eine der größten Herausforderungen, da in den meisten Fällen jeder direkte Hinweis fehlte“, so Volker Munz. Dass es dennoch gelungen ist, jede einzelne Mitschrift mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Jahr und Trimester einzuordnen, sei jedoch besonders lohnend.
Das Ergebnis der Aufarbeitung ist kürzlich unter dem Titel „Wittgenstein’s Whewell’s Court Lectures, Cambridge 1938-1941“ im Verlag Wiley-Blackwell erschienen. Die Forschungsarbeit wurde vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF unterstützt.