Von der Empörung über die Art, wie eine einzelne Art mit den anderen Arten umgeht
Wie viele Arten bleiben uns, wenn wir Land in einer bestimmten Weise nutzen und der Klimawandel voranschreitet? Zu dieser Frage forscht Iwona Dullinger in ihrer Dissertation am Institut für Soziale Ökologie. Mittlerweile weiß man, dass Landnutzung und Klimawandel die zwei wichtigsten Treiber für den Verlust von Biodiversität sind. Sie werden in der Forschung aber noch recht selten gemeinsam betrachtet. Diese Lücke möchte Dullinger nun schließen.
Iwona Dullingers Motivator ist der Naturschutz, also „die Empörung darüber, wie wir als Menschen, also eine einzelne Art, mit den anderen Arten umgehen“, erklärt sie. Landnutzung und Klimawandel sind menschengemacht und sie haben Auswirkungen auf die Vielfalt an Arten, die in der Natur leben können. Wie sie wirken, möchte sie am Beispiel eines Ausschnitts aus der oberösterreichischen und steirischen Eisenwurzen, einer langgestreckten Region von Enns bis Admont mit rund 20 Gemeinden, herausfinden. „Das Schöne an dieser Region ist, dass sie eine breite Palette an Formen der Landnutzung abdeckt: Im oberen Teil gibt es sehr flache Gebiete mit recht intensiver Landwirtschaft mit Fokus auf Ackerbau, im Süden wird es gebirgiger mit mehr Niederschlag, einer kürzeren Vegetationsperiode und mehr Wald- und Viehbetrieben.“ Die Eisenwurzen ist Teil eines Forschungsclusters und damit schon länger in sozialökologische Langzeitforschung eingebunden. Kooperationspartner wie Landwirtschaftskammer, Schulen oder Regionalmanager sind also schon an Bord, wenn es darum geht, gemeinsam partizipativ zu forschen. Die Einbindung der Region in die Forschungsarbeit hält Iwona Dullinger auch für wesentlich: „Nur dann können Erkenntnisse, die wir generieren, auch praktisch wirksam werden. Wir wollen für die Region neue Möglichkeitsräume eröffnen.“
Konkret arbeitet sie mit einem integrierten sozialökologischen Modell, das aus zwei Teilen besteht: Das eine ist ein agentenbasiertes Modell, mit dem Entscheidungen von Akteuren in der Region modelliert werden. LandwirtInnen, WaldbesitzerInnen, ForstwirtInnen, Nationalparks etc. sind solche Akteure, deren Verhalten durch Daten aus der Region und Interviews modelliert werden soll. „Das Verhalten beispielsweise von LandwirtInnen hängt von vielerlei ab: Was wollen sie selbst? Womit lässt sich Geld verdienen? Welche klimatischen Möglichkeiten habe ich?“ Das andere ist ein Artenverteilungsmodell: Damit möchte das Team errechnen, welche Pflanzen unter einem bestimmten Landnutzungsverhalten in welcher Anzahl existieren werden. Die Basis dafür sind bereits vorhandene Vegetationsaufnahmen und eigene Erhebungen im Freiland.
Derzeit ist Iwona Dullinger, gemeinsam mit KollegInnen, dabei, das agentenbasierte Modell aufzubauen: LandwirtInnen und ExpertInnen wurden befragt, diese Informationen werden nun verarbeitet. Bis Ende des Jahres möchten sie dann das Zukunftsmodell errechnen können. Gefragt nach der übergreifenden Hypothese, die ihrer Arbeit zugrunde liegt, antwortet sie: „Wir vermuten natürlich, dass ein Nachhaltigkeitsszenario mit Regionalentwicklung, Direktvermarktung und biologischer, sanfter Landwirtschaft besser für die Artenvielfalt ist. Aber wir wollen uns fragen: Inwiefern sind die Effekte des Klimawandels schon so stark, dass kaum mehr was zu machen ist?“ Die bisherigen Gespräche zeigten, dass der Klimawandel für die Landwirtinnen und Landwirte kaum eine Rolle spielt, Extremwetterereignisse aber schon. „Die Vegetationsperiode wird länger. Man hat mehr Erträge. Viele sehen sich oft auch als Gewinner des Klimawandels.“ Weil Klima über einen längeren Zeitraum wirkt, ist es schwer greifbar.
Iwona Dullinger arbeitet an der Schnittstelle zwischen Natur- und Sozialwissenschaft. Die Ökologin schätzt das Praxisnahe, das Angewandte, das In-der-Natur-Sein und das Teilhabende an der Forschung in der Region, die das Team sehr positiv aufgenommen hat. Wenn ihre Arbeiten dort und ihre Dissertation in Wien erst mal abgeschlossen sind, würde sie sehr gerne in der Wissenschaft bleiben. Als Realistin sagt sie aber auch: „Das ist etwas, das ich nicht anstreben kann. Ich möchte in Wien bleiben, das passt aber nicht zu den klassischen Anforderungen im Wissenschaftsbetrieb. Vielleicht habe ich aber Glück.“ Auf alle Fälle möchte sie, die nebenher auch Biologie-Schulbücher lektoriert, in dem Fach bleiben. Bio ist Leben und ihr Leben ist bio: „Ich achte darauf, was ich esse und womit ich mich kleide und fortbewege. Niemand ist perfekt, aber ich bemühe mich sehr.“
Auf ein paar Worte mit … Iwona Dullinger
Was würden Sie derzeit machen, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin wären?
Ich wäre wohl Bestatterin oder Buchhändlerin.
Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
Nur ganz grob.
Was machen Sie im Büro morgens als erstes?
Kaffee! Und Mails checken …
Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an die Arbeit zu denken?
Ja, da habe ich in diesem Beruf Gott sei Dank überhaupt keine Schwierigkeiten. Ich kenne das „Nicht-Abschalten-Können“ aber von anderen (früheren) Tätigkeiten.
Was bringt Sie in Rage?
Respektlosigkeit, Unfreundlichkeit
Und was beruhigt Sie?
Bücher und das Meer
Wer ist für Sie die größte WissenschaftlerIn in der Geschichte und warum?
Es ist nicht einfach unter den vielen hellen Köpfen einen auszusuchen. Aufgrund ihrer Tragweite für unser Weltbild würde ich aber Kopernikus und Darwin wählen.
Wofür schämen Sie sich?
Das kommt ganz auf den Kontext an: Manchmal zum Beispiel dafür, zu laut und emotional zu sein, ein andermal dafür, zu schüchtern zu sein.
Wovor fürchten Sie sich?
Vor dem Tod meiner Liebsten
Worauf freuen Sie sich?
Auf alles, was kommt