Von den handschriftlichen Karteikarten hin zu electronic health records: Wie akzeptiert sind elektronische Gesundheitsakten?
Was sind die Gründe, warum viele Ärzt:innen und Patient:innen bei Systemen wie ELGA (Elektronische Gesundheitsakte) skeptisch sind, und welchen Ländern ist es gelungen, erfolgreiche Systeme einzuführen? Anna Griesser hat kürzlich ihre Dissertation an der Universität Klagenfurt (Institut für Unternehmensführung) abgeschlossen und dafür untersucht, welche förderlichen und hemmenden Faktoren die Akzeptanz der elektronischen Gesundheitsakte beeinflussen.
Seit wann gibt es ELGA in Österreich und wie war die Stimmung bei der Einführung?
Das System wurde 2015 durch die entsprechende gesetzliche Grundlage eingeführt. Von Anfang an hat man in vielen Arztpraxen große Plakate gesehen, die die Patient:innen davor gewarnt haben, ihre Daten in diesem System speichern zu lassen. Die größten Sorgen waren Datenschutz- und Sicherheitsbedenken. Der Ausrollungsplan sah eine wesentlich größere Geschwindigkeit vor; vieles davon konnte nur mit einiger Verzögerung in die Tat umgesetzt werden. Heute fehlen noch immer einige Settings, wie beispielsweise der ambulante Bereich in den Krankenhäusern oder die Privatärzt:innen.
Wie viele Österreicher:innen sind Teil von ELGA?
Wir haben ein Opt-out-System, das heißt, alle Personen sind per se registriert und müssen sich für ELGA abmelden, wenn sie das nicht möchten. Derzeit spricht man in Österreich von Abmeldungsraten im Ausmaß von drei Prozent pro Jahr.
Hat man anderswo auf andere Wege gesetzt?
Ja, in Frankreich, für das ich Vergleiche mit Österreich angestellt habe, gibt es das Opt-In-System. Jene Personen, die dort Teil der elektronischen Gesundheitsakten sein wollen, müssen sich bewusst anmelden. Wir sehen, dass auf diesem Weg weit weniger Französ:innen daran teilhaben. Interessant ist das Beispiel Australien: Hier hat man von einem Opt-In- zu einem Opt-Out-Ansatz gewechselt. Mit Begleitmaßnahmen ist es gelungen, 90 Prozent der Australier:innen so für die Teilnahme zu gewinnen.
Welche Begleitmaßnahmen waren das?
Viele Patient:innen haben ja die Sorge, dass ihre Daten missbraucht werden. Bei dem australischen System bleibt man insofern „Herr“ oder „Frau“ über die eigenen Daten, als man einzelne Bereiche löschen oder „verstecken“ kann. Dadurch wurde deutlich mehr Akzeptanz geschaffen.
Sie haben bereits erwähnt, dass viele Personen aus den Gesundheitsberufen, also die Ärzt:innen oder Pfleger:innen selbst, skeptisch sind. Warum?
Meine Befragungen haben gezeigt, dass auch hier Datenschutzbedenken eine wichtige Rolle spielen. Außerdem wollen viele, vor allem ältere Ärzt:innen, nicht von ihrem etablierten Karteikartensystem weg und ein neues IT-System in der Ordination etablieren. Hinzu kommt auch eine gewisse Angst, dass einem andere Kolleg:innen auf die Finger schauen könnten, wenn sie Diagnosen und Behandlungen über ELGA nachvollziehen und auch in Frage stellen können.
Was sind neben den Datenschutzbedenken die Hemmschuhe bei den Patient:innen?
Eine wichtige Rolle spielen die Hausärzt:innen, die für viele Patient:innen wichtige Vertrauenspersonen darstellen. Unterstützen sie ELGA, hat das positive Effekte; zeigen sie sich reserviert, wirkt sich das negativ auf die Akzeptanz aus. Auch digitale Kompetenzen bzw. die Funktionsfähigkeit der Systeme spielen eine Rolle. Mit der ID-Austria gibt es derzeit viele Probleme, was auch abschreckend wirkt.
Welches System bewirkt mehr Akzeptanz – das freiwillige Zumelden in Frankreich oder das automatische Zugemeldet-Sein und Abmelden in Österreich?
Unsere überraschende Erkenntnis aus den Studien ist: Es gibt keinen Unterschied. Auch wenn man meinen würde, dass die Skepsis bei der Opt-Out-Variante wie in Österreich größer sein könnte, bestätigt sich das in unseren Daten nicht. Hingegen wissen wir aus den Best-Practice-Beispielen aus Australien, dass eine bewusste Stärkung der Sicherheitsregelungen zum Datenschutz bzw. zum Schutz der Privatsphäre und eine gewisse Handhabe im System sich positiv auf die Akzeptanz auswirken. Auch die Vorteile müssen offensichtlich sein, damit die Akzeptanz steigt. Dafür braucht es aber eine breite Abdeckung über alle Settings hinweg, damit die Patient:innen davon profitieren, nicht mehr Zettel von A nach B tragen zu müssen.
Zur Person
Anna Griesser hat das Bachelorstudium Gesundheitsmanagement an der FH Kärnten in Feldkirchen und das Masterstudium Public Management an der FH Kärnten in Villach abgeschlossen. 2024 beendete sie ihr Doktoratsstudium mit einer kumulativen Dissertation an der Universität Klagenfurt, betreut von Sonja Bidmon (Abteilung für Marketing und Internationales Management). Währenddessen war sie im Management bei Humanomed/Althofen bzw. Krankenhaus Barmherzige Brüder/St. Veit tätig. In St. Veit war sie unter anderem für den Aufbau einer Terminambulanz/Aufklärungsambulanz für endoskopische Untersuchungen zuständig. Seit vier Jahren ist sie bei der Stadt Villach als IT-Projektleitung tätig.
Zum Weiterlesen
Griesser, A., & Bidmon, S. (2022). A process related view on the usage of electronic health records from the patients’ perspective: a systematic review. Journal of Medical Systems, 47(1), 2. Link zum Volltext: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10916-022-01886-0.pdf
Griesser, A., & Bidmon, S. (2023). A holistic view of facilitators and barriers of electronic health records usage from different perspectives: A qualitative content analysis approach. Health Information Management Journal, 18333583231178611. Link zum Volltext: https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/18333583231178611
Griesser, A., Mzoughi, M., Bidmon, S., & Cherif, E. (2024). How do opt-in versus opt-out settings nudge patients toward electronic health record adoption? An exploratory study of facilitators and barriers in Austria and France. BMC Health Services Research, 24(1), 439. Link zum Volltext: https://link.springer.com/content/pdf/10.1186/s12913-024-10929-w.pdf