Vom Zufall in Literatur und Film
Matthias Klestil kam aus Bayreuth nach Klagenfurt, um hier als Postdoc-Assistent am Institut für Anglistik und Amerikanistik zu forschen. Aktuell interessiert er sich für Stoffe aus Literatur und Film, die sich um Versionalität und Zufall drehen. Wir haben mit Matthias Klestil darüber gesprochen, welche Wege ihn nach Klagenfurt geführt haben und was ihn an den USA fasziniert.
Matthias Klestils Großvater, ein Österreicher, kam während des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland, lernte seine spätere Frau kennen und blieb im Rheinland, nahe Mönchengladbach, wo Matthias Klestil zur Welt kam.“ Klestils Vater ist noch österreichischer Staatsbürger, Matthias Klestil selbst ist Deutscher. Fragt man nun – im Sinne von Versionalität, Zufall, Kausalität und Determinismus – was wäre, wenn, könnte man auf die Frage stoßen: Wäre Matthias Klestil das Stelleninserat der Universität Klagenfurt ins Auge gestochen, hätte er nicht selbst einen Österreichbezug in seiner Familiengeschichte? Das Habilitationsprojekt, das Matthias Klestil nun in Angriff nimmt, beschäftigt sich unter anderem genau mit solchen „Was wäre, wenn“-Geschichten in Literatur und Film, wie sie beispielsweise in den Blockbustern „Butterfly Effect“, „Inception“ oder in Paul Austers neuem Roman „4321“ behandelt werden.
Fragt man Matthias Klestil danach, wie es nun kam, dass er Amerikanist wurde, kann er zwar kein konkretes Ereignis nennen, das eine Verkettung weiterer Entscheidungen auslöste, er kann aber mit seiner glühenden Begeisterung für die Grundidee des US-Amerikanischen anstecken. „Die USA wurden aus der Aufklärung heraus gegründet und sie stehen seither im täglichen Diskurs mit dem, was sie ursprünglich als Unabhängigkeitserklärung oder Verfassung ihrem Staat zugrunde gelegt haben.“ Das sei das Besondere an den USA, wie er weiter ausführt: „Wir haben auf der einen Seite Gründungsdokumente, die die absolute Menschenwürde deklarieren, auf der anderen Seite sehen wir aber, dass diese nie erfüllt werden konnten. Man ist in der Geschichte der USA immer wieder Schritte gegangen, um einer Realisierung der Grundgedanken näher zu kommen. Der Prozess schlägt im Sinne eines Pendels aber immer wieder auch in die andere Richtung aus. Das ist ein nie endender Prozess.“ Die Nation, die gegründet von Immigranten zu deren Beginn auf Sklaverei und Rassentrennung setzte, verhandelt ihre inneren Konflikte in einer durchaus reichen kulturellen Vielfalt immer wieder neu. Für den Literatur- und Kulturwissenschaftler bietet das Streben nach der Erfüllung der Grundwerte und die diskursive Verhandlung in der Gesellschaft ein reichhaltiges Beschäftigungsfeld, das auch viel, „aus dem wir lernen können“, zutage fördern soll.
Matthias Klestils Interesse galt schon früh der Literatur, umso glücklicher schätzt er sich, in dieser Form nun auch seinen beruflichen Werdegang beschreiten zu können. Er studierte an der Universität Bayreuth Amerikanistik und Germanistik und verbrachte ein Auslandsjahr an der englischen University of Warwick sowie ein halbes Jahr an der Library of Congress in Washington DC. Seine Dissertation beschäftigte sich mit dem Zusammenspiel von Mensch und Natur und warf im Sinne von umweltorientierter Literatur- und Kulturwissenschaft eine ökokritische Perspektive auf primär afroamerikanische Texte. Am 9. November wurde er für diese Arbeit mit einem Dissertationspreis der Stadt Bayreuth ausgezeichnet.
Literatur ist für Matthias Klestil kein abgeschlossenes System, vielmehr interessiert er sich für die „Verstrebungen, was das Geschriebene mit anderen diskursiven Gegebenheiten anzustellen vermag.“ Und er erklärt weiter: „Literatur ist extrem kreativ. Sie kann so viel miteinbeziehen und sie hat eine große Macht zu transformieren. Wir können uns nicht nur fragen: Was macht sie mit den Menschen? Sondern auch: Was macht sie mit den Strömungen und den menschlichen Entwicklungsprozessen?“ Dies liege, so vermutet er, wahrscheinlich daran, dass Literatur Komplexität in einzigartiger Weise darstellen kann. „Sie ist ja auch nur tief, wenn sie die Dinge nicht nur einfach sagt, sondern mehr damit macht.“ Matthias Klestil will in den nächsten Jahren hier in Klagenfurt in die Tiefe von Literatur und Kultur blicken. Die Literatur stellt Fragen. Wie und mit welchen Konsequenzen sie fragt, darauf möchte Matthias Klestil Antworten finden.
Auf ein paar Worte mit … Matthias Klestil
Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?
Musiker, vielleicht Pianist.
Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
Großenteils ja, sie lesen manchmal sogar die Bücher, zu denen ich forsche.
Was machen Sie im Büro morgens als erstes?
Kaffee – mit viel Milch, ohne Zucker.
Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an die Arbeit zu denken?
Ich denke ja, manch anderer sagt nein. Da ich auch in der Freizeit gerne lese, hat manch anderer in dem Fall vielleicht recht. Mal richtig abschalten kann ich aber auf jeden Fall.
Was bringt Sie in Rage?
Dass Donald Trump mich manchmal nicht mehr so in Rage bringt wie zu Beginn. Diese Normalität ist gefährlich.
Und was beruhigt Sie?
Natur und Musik.
Wer ist für Sie der „größte“ Wissenschaftler bzw. die größte Wissenschaftlerin der Geschichte und warum?
Schwierige Frage. Für mich persönlich war vor allem Michel Foucault eine große Inspiration, da er zu kreativem Denken „gegen den Strich“ anregt. Genereller würde ich etwa Leonardo da Vinci, Albert Einstein oder Marie Curie zu den „größten“ WissenschaftlerInnen zählen, da ihre Ideen und Entdeckungen die Wissenschaft und die Welt maßgeblich veränderten und bis heute prägen.
Worauf freuen Sie sich?
Langfristig vor allem darauf, mein neues Projekt zu verwirklichen und darauf, neue Menschen kennenzulernen, unbekannte Orte auszukundschaften, sowie generell auf neue Eindrücke und Einflüsse. Kurzfristiger: Auf ein schönes Wintersemester und Weihnachten.