Vom Tun-Modus in den Sein-Modus wechseln – und dabei auch weiser werden?

Bernhard Wagner, Doktoratsstudent in der Psychologie, fragt sich: Gelangen Menschen, die Achtsamkeitsmeditation betreiben, auch zu mehr Weisheit? Wir haben mit ihm über seine bisherigen Erkenntnisse gesprochen.

Der Klinische Psychologe und Verhaltenstherapeut Bernhard Wagner arbeitet im Klinikum Klagenfurt und betreut dort nicht-psychiatrische Patient*innen bei der Bewältigung ihrer Erkrankungen. Dabei greift er auch immer wieder auf Methoden der Achtsamkeitsmeditation zurück, wie er uns im Interview erzählt. Er verweist darauf, dass insbesondere zur Behandlung von Depressionen und Angststörungen mittlerweile zahlreiche Studien vorliegen, die eine gute Wirksamkeit dieser Form der Meditation attestieren.

Eine Ausbildung zur so genannten „Achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie“ hat er am Oxford Mindfulness Center absolviert, wo diese Techniken entwickelt wurden. Bernhard Wagner hat insgesamt sieben Jahre lang in Großbritannien, unter anderem beim National Health Service, als Psychotherapeut gearbeitet und erzählt von dieser Zeit: „In England hat jede und jeder Zugang zu Psychotherapie, vor allem zu verhaltenstherapeutischen Ansätzen. Das hat den Vorteil, dass weite Teile der betroffenen Bevölkerung erreicht werden. Gleichzeitig sind diese Angebote auch kurzfristiger, und damit günstiger für das Gesundheitssystem.“ Nach Großbritannien ging er nach Abschluss seines Magisterstudiums der Psychologie in Graz und nach seiner Ausbildung zum Klinischen Psychologen. Dort schloss er dann noch weitere Studien – Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologie sowie Verhaltenspsychologie – ab.

Auch in der Arbeit im Krankenhaus kann Bernhard Wagner oft nur kurzfristige Interventionen bei seinen Patient*innen setzen, und dabei ist auch hierzulande die Achtsamkeitsmeditation oft hilfreich. Ein wichtiger Überschneidungspunkt mit der Weisheit sei, so erzählt er uns, das Konzept der „Selbsttranszendenz“, mit dem er sich in seiner Dissertation beschäftigt. Unter Selbsttranszendenz verstehe man eine Persönlichkeitseigenschaft von Menschen, die im Laufe ihres Lebens über sich hinauswachsen, indem sie Eigeninteressen zurückstellen und zu einem Fokus auf ein größeres Ganzes bzw. die Gemeinschaft, häufig auch spirituelle Werte, kommen. In der Weisheitsforschung wird dieses Konzept häufig als Komponente zur Beschreibung von weisen Menschen herangezogen. Bernhard Wagner sieht hier Bezüge zur Achtsamkeitsmeditation, die ähnliche Ziele erreiche.

„Die Achtsamkeitsmeditation bewirkt, dass man vom Denken wegkommt, und auch die Bezugnahme auf sich und seine Ziele in den Hintergrund rücken. Stattdessen geht es unter anderem um die Beziehungen zu anderen und ein Mitgefühl, das sich nicht nur für sich selber, sondern auch für andere Menschen steigern lässt. Das geht nur durch Übung und nicht durch Denken“, so Bernhard Wagner. Für seine Studie hat er nun Interviews mit Menschen geführt, die Achtsamkeitskurse belegt haben, und ihre Einschätzungen mittels Fragebögen erhoben. Diese Daten hat er quantitativ und qualitativ ausgewertet. Derzeit ist Bernhard Wagner in der Phase des Niederschreibens der Erkenntnisse.

Ein Zusammenhang wird für ihn dabei augenfällig: Manche Menschen, die Schlimmes erfahren und erlebt haben, gehen danach durch eine Phase „posttraumatischen Wachstums“. Sie wurden aus ihrem üblichen Selbstkonzept herausgerissen und können sich darauf basierend weiterentwickeln. Was als Merkmal von Weisheit beschrieben wird, könnte ähnlich auch für die Achtsamkeitsmeditation gelten, so Bernhard Wagner: „Sie eröffnet uns neue Erfahrungen. Wir kommen von dem Tun-Modus in den Sein-Modus, dürfen auch sein und können auch sein lassen. Daraus können Entwicklungsfortschritte, ähnlich dem posttraumatischen Wachstum, entstehen.“

Auf ein paar Worte mit … Bernhard Wagner



Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Psychologe geworden wären?
Am liebsten wohl Musiker oder Künstler. 😉

Wann arbeiten Sie an Ihrer Dissertation? Und wo?
Mit Vollzeitbeschäftigung und Familie fällt es nicht immer leicht Zeit zu finden. Meistens gelingt das nur an Wochenenden.

Was machen Sie im Büro morgens als Erstes?
Zuerst gibt es einen Kaffee, den ich trinke, während ich nachsehe, welche E-Mails und sonstige Nachrichten ich erhalten habe und welche Arbeit heute zu erledigen sein wird.

Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an Ihre Arbeit zu denken?
Ja, mit der Familie jedes Jahr in Italien und Großbritannien.

Was bringt Sie in Rage?
Wirklich in Rage gerate ich kaum einmal. Vielleicht hilft dabei auch die Meditation. Wenn mich etwas ärgert, dann ist es Ungerechtigkeit. Was ich auch nicht mag, sind zu einfache Erklärungen und Ursachenzuschreibungen. Dinge und Menschen über einen Kamm zu scheren.

Und was beruhigt Sie?
Zum Glück habe ich meine Familie, meine Kinder bringen mich schnell auf andere Gedanken. Meditation mache ich täglich abends für ungefähr eine halbe Stunde. Es hilft mir aber auch in die Natur hinaus zu gehen, Musik zu hören und Kunst zu genießen. Regelmäßiger Sport hilft mir meine Energien zu fokussieren.

Wovor fürchten Sie sich?
Dass jemandem in der Familie etwas zustößt.

Wer ist für Sie der*die größte Wissenschaftler*in der Geschichte und warum?
Als Erstes fallen mir dazu Menschen wie Albert Einstein oder Charles Darwin ein. In meinem Bereich der Psychologie würde ich mich aber für Aaron Beck entscheiden, den Vater der Kognitiven Therapie, den ich sehr bewundere. Er ist zwar kein Wissenschaftler der klassischen Psychologie, aber er hat mit seinen Konzepten und seiner Forschung u.a. zur Behandlung von Depression und Angststörungen verhältnismäßig viel bewirkt und das Leben unzähliger Menschen zum Positiven verändert. Er wird heuer im Juli 100 Jahre alt.