Landnutzungstrends in Deutschland trotz drastischer politischer Änderungen seit 1883 sehr stabil
Zwei Weltkriege, die Trennung zwischen Ost- und Westdeutschland, die Mitgliedschaft bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der EU-Beitritt waren drastische sozio-ökonomische und institutionelle Änderungen für Deutschland im 20. Jahrhundert. „Welchen Einfluss haben diese politischen Änderungen auf die Landnutzung?“, fragte ein Forscherteam rund um Karlheinz Erb vom Institut für Soziale Ökologie der Alpen-Adria- Universität Klagenfurt im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts. Das eben in Global Environmental Change veröffentlichte Ergebnis zeigt, dass die seit der Industrialisierung laufend fortschreitende Landnutzungsintensivierung dominiert und erstaunlich wenig durch politischen Wandel beeinflusst wird.
Als Methode für die Studie wurde der sozial-ökologische Indikator HANPP (Human Appropriation of Net Primary Production) gewählt, der dazu dient, Änderungen in der Landnutzung festzustellen. Dabei wurde gemessen, wie viel von der jährlich durch Pflanzenwachstum neu gebildeten potenziell möglichen Biomasse durch Ernte in der Land- und Forstwirtschaft und durch die Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen in natürliche Lebensräume angeeignet wurde. Die Studie zeigt einen starken Anstieg der Erntemengen trotz sinkender landwirtschaftlicher Flächen in Deutschland zwischen 1883 und 2007. Gleichzeitig aber nahmen Produktivitätsverluste deutlich ab, was insgesamt sogar zu einer Abnahme der menschlichen Aneignung von Biomasse im 20. Jahrhundert von 75 Prozent auf 62 Prozent der potenziell möglichen Biomasse führte.
„Nur Langzeitbeobachtungen können uns dabei helfen die Ursachen und Triebkräfte von Landnutzungsänderungen in ihrer Wichtigkeit und im Zusammenspiel zu verstehen“, meint Erstautorin Maria Niedertscheider. Die Nachwuchswissenschaftlerin der Universität Klagenfurt arbeitet an ihrer Dissertation und hat mit dieser hochrangigen Publikation, die in Zusammenarbeit mit einem Forscherteam rund um Tobias Kümmerle und Daniel Müller (Humboldt Universität Berlin) entstand, einen großen Schritt geschafft.
Die Ergebnisse zeigen Erstaunliches: Die Änderung der Landnutzung verlief im gesamten Jahrhundert stetig und zeigt damit ein hohes Maß an Beharrungsvermögen gegenüber drastischen politischen Umbrüchen. Es gibt überraschend ähnliche Veränderungen in Ost- und Westdeutschland (1945-1989), trotz entgegengesetzter politischer und ökonomischer Bedingungen. Einzige Ausnahme war der Fall der Sowjet-Union, der im Jahre 1989 einen Bruch mit den Langzeittrends in Ostdeutschland bewirkte.
Laufende Landnutzungsintensivierung als Ergebnis von Industrialisierung und ökonomischer Optimierung konnte als dominanter Trend über den gesamten Zeitraum beobachtet werden. Diese Entwicklung war so mächtig, dass sie sogar komplett unterschiedliche politische und sozio-ökonomische Rahmenbedingungen überlagerte.
Aus der Sicht des Forscherteams waren die Verfügbarkeit von neuen Technologien, der massive Einsatz von Düngemitteln und fossiler Energie, sowie der Strukturwandel in der Wirtschaft generell, entscheidende Triebkräfte für die Intensivierungstrends in Ost- und Westdeutschland. Industrialisierung war somit der gemeinsame Nenner beider politischer Systeme und ein genereller Trend im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Der Zusammenhang zwischen politischen Ereignissen und Landnutzugsänderungen ist hoch komplex und noch wenig beforscht. Laut Maria Niedertscheider könnten zukünftige Studien zu Ländern, die noch keine Industrialisierung erfahren haben, weitere wichtige Einblicke liefern.
Maria Niedertscheider, Tobias Kümmerle, Daniel Müller, Karl-Heinz Erb
Exploring the effects of drastic institutional and socio-economic changes on land system dynamics in Germany between 1883 and 2007
Global Environmental Change (2014), pp. 98-108, DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2014.06.006
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0959378014001113
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