Unangenehme Wahrheiten in Zeiten des Misstrauens gegenüber Wissenschaft: Wie kann Nachhaltigkeitskommunikation gelingen?
Die Kommunikationswissenschaft hat die Aufgabe, aktuelle Themen aufzugreifen und zu einer verantwortungsvollen gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen. In diesem Sinne wird die Nachhaltigkeitskommunikation zu einem immer bedeutenderen Feld. Denise Voci und Matthias Karmasin, beide Kommunikationswissenschaftler:innen an der Universität Klagenfurt, haben nun in einer großen Literaturstudie untersucht, auf welche Stakeholder die Nachhaltigkeitskommunikation trifft und wie diese möglichst erfolgreich anzusprechen sind. Das Paper, das im Journal of Communication Management erschien, ist der meist heruntergeladene sowie einer der Top-3 meist zitierten Artikel des renommierten Journals im letzten Jahr.
„Nachhaltigkeit bzw. die damit einhergehenden Fakten zu kommunizieren, ist alles andere als einfach“, so Denise Voci. Zwei Besonderheiten seien besonders evident: So ließe sich erstens Nachhaltigkeit aus einer „sonnigen“ oder einer „regnerischen“ Perspektive erzählen. Die sonnige Seite stelle positive Aspekte wie wirtschaftliches Wachstum, technologischen Fortschritt, grüne Jobs oder erneuerbare Energien in den Mittelpunkt, während die regnerische Seite auf die Narration einer unbequemen Wahrheit fokussiere, die auch mit Einschränkungen für das Individuum einher gehe. Zweitens sei Nachhaltigkeit im Zentrum von bewussten Missinformationskampagnen, in denen Unsicherheit hergestellt und Zweifel über die Ziele der Nachhaltigkeitskommunikation gesät werden.
Denise Voci und Matthias Karmasin haben nun für Ihre Studie 473 wissenschaftliche Artikel einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen, um die wichtigsten Stakeholder der Nachhaltigkeitskommunikation sowie deren Charakteristika zu eruieren. In der Folge wollten sie für jede Gruppe spezifisch wissen, mit welchen Kommunikationsstrategien diese zu erreichen wären.
Dabei haben sich vier Typen herauskristallisiert: Die science deniers sind eine große Herausforderung für die Gesellschaft, weil sie wissenschaftliche Erkenntnisse bestreiten, Missinformation propagieren und Evidenz nur akzeptieren, wenn sie mit den eigenen Haltungen übereinstimmt. Die adaption skeptics leugnen nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern verhalten sich skeptisch. Vor allem gegenüber den Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zeigen sie eine zweifelnde Haltung. Die whitewashers hingegen akzeptieren und unterstützen vollauf wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf Nachhaltigkeit, fokussieren dabei aber vollständig auf positive Aspekte wie neue Technologien, die ein Leben mit Klimawandel ermöglichen sollen. Dabei lassen sie weniger wünschenswerte Aspekte aus dem Blick. Die letzte Gruppe sind die world saviors, die stärker als Kommunikator:innen selbst als als Rezipient:innen von Nachhaltigkeitskommunikation zu begreifen sind. Sie haben oft eine extreme, normative, idealistische und kritische Grundhaltung. Wut ist oft Teil der Überzeugungstaktik in ihren Kommunikationsstrategien.
Basierend auf diesen Analysen schlagen Denise Voci und Matthias Karmasin Ansätze vor, wie diese Gruppen kommunikativ erreicht werden können. „Unsere Ergebnisse zeigen zahlreiche Vorschläge, die die Nachhaltigkeitskommunikation verbessern können. Dazu gehören die Förderung des Dialogs und die Einbindung von Stakeholdern, der Einsatz von Framing- und Storytelling-Techniken, die Verwendung verschiedener emotionaler Appelle, um mit dem Publikum in Kontakt zu treten, sowie die Förderung von Transparenz und Offenheit bei der Diskussion von Unsicherheit und komplexen, schwierigen Themen“, erklärt Matthias Karmasin. Denise Voci betont: „Eines ist klar: Ein ‚Einheitsansatz‘ ist für die Nachhaltigkeitskommunikation nicht ratsam. Was die eine Person motiviert und anspricht, kann bei einer anderen zu Selbstschutz und Ablehnung führen. Daher sollten Stakeholder-Orientierung und eine differenzierte Kommunikationsstrategie als Grundvoraussetzung für eine effektive Nachhaltigkeitskommunikation angesehen werden.“
Voci, Denise and Karmasin, Matthias (2024). Sustainability communication: how to communicate an inconvenient truth in the era of scientific mistrust, Journal of Communication Management, Vol. 28 No. 1, pp. 15-40. https://doi.org/10.1108/JCOM-05-2022-0060