Stürmische Zeiten – auch in Irland! Ein friedensbewegter Reisebericht aus studentischer Perspektive

Engagiert unterstützt Selina Manneck die Arbeit des ZFF. Mit großem Einsatz hat sie auch das Erweiterungsstudium ‚Transdisziplinäre Friedensstudien‘ erfolgreich abgeschlossen. Das vergangene Wintersemester hat die Psychologiestudentin der AAU an der Universität Cork in Irland verbracht – und dabei bemerkenswerte Eindrücke auch in Fragen von Krieg und Konfliktbearbeitung, Friedensarbeit und sozialen Bewegungen gesammelt.

Ihren spannenden Erfahrungsbericht können Sie hier lesen:

Stürmische Zeiten – auch in Irland!

Mein Name ist Selina Manneck und ich bin Studienassistentin am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung. Ich studiere neben dem Erweiterungsstudium Transdisziplinäre Friedensstudien hauptsächlich Psychologie an der Universität Klagenfurt. Das Wintersemester 2024/25 habe ich als Joint-Study Aufenthalt am University College Cork in Irland verbracht und möchte hier davon aus einer Friedensperspektive erzählen.

Irland ist nicht nur meteorologisch stürmisch, auch gesellschaftlich steht der Wind nie still. Irland ist eins der reichsten Länder in Europa, und trotzdem sieht man schon beim Ankommen einige Probleme des Landes. Direkt vor dem Bahnhof sah ich Schilder an der Mauer mit der Aufschrift „Everyone should have a home. Enough offices, we need homes.“ Die Wohnungskrise macht es nicht nur Studierenden äußerst schwer, eine Unterkunft zu finden, es wurde auch dieses Jahr wieder der Rekord bei der Obdachlosigkeitsrate gebrochen[1].

Cork als zweitgrößte Stadt Irlands wird auch „Rebel City“ genannt, historisch bedingt aufgrund der langen und intensiven Rebellion gegen den Kolonialismus von Großbritannien und heute unter anderem im Protest gegen Dublin, zum Beispiel auf bemalten Stromkästen, auf denen Cork als wahre Hauptstadt dargestellt wird. Darüber hinaus sieht man die Protestkultur in großen Graffitis wie „Cork for racial justice“ oder einem riesigen Banner direkt gegenüber dem Rathaus mit der Botschaft „Ceasefire now“.

In ganz Irland ist nicht zu übersehen, dass das Land eine völlig andere Perspektive auf den Krieg in Palästina/Israel hat als die meisten Menschen in Österreich und Deutschland. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht eine Ähnlichkeit zwischen der Besetzung von Großbritannien in Irland und jener Israels in Palästina und fühlt sich daher verbunden mit den Palästinenser*innen. Das sieht man an fast jeder Ecke an Palästinaflaggen, Menschen, die in verschiedenen Veranstaltungen oder alltäglichen Gesprächen offenkundig ihre Solidarität mit Palästina aussprechen, oder zum Beispiel in Cork an den wöchentlichen Palästinademonstrationen mit 200-400 Teilnehmenden. Besonders in Nordirland wird der Vergleich sichtbar, denn noch heute gibt es vom Nordirlandkonflikt in Belfast katholische (die für die Republik Irland stehen) und protestantische (britische) Stadtteile, die man auch daran erkennt, dass in den katholischen Stadtteilen Palästinaflaggen wehen und in den protestantischen Stadtteilen Israelflaggen.

Die Spuren des Nordirlandkonflikts konnte ich in den verschiedenen Denkmälern in Belfast sehen. Je nachdem, von wem sie aufgestellt wurden, gab es klare Unterschiede in der Darstellung des Konflikts. Auch das Ulster Museum in Belfast stellt die Geschichte Irlands sehr anders dar als es ein Museum in der Republik Irland machen würde. Zum Beispiel wurde die große Hungersnot von 1845-1852 (Great Famine) nur am Rand erwähnt, während es dazu eine große Aufarbeitung und Erinnerungskultur in der Republik Irland gibt.

Zurück in Cork, habe ich erst in meiner letzten Woche zufällig einen Umweltaktivisten getroffen, der allein jeden Freitag für Fridays for Future vor dem Rathaus streikt. Dieser hat mir von der Anti-Kriegsbewegung in Cork erzählt und von Protesten gegen die Firma Collins Aerospace, die in Cork Waffentechnologien weiterentwickelt. All diese Protestgruppen sind ganz selbstverständlich mit der Palästina-Solidaritätsbewegung verbunden, sogar auf der Transgender-Pride im September war ein Stand der Palästinabewegung vertreten.

Eine Gemeinsamkeit Österreichs und Irlands ist, dass beide sich als ‚neutrale‘ Staaten bezeichnen. Trotzdem habe ich zwischen beiden Ländern sehr unterschiedliche Meinungen der Mehrheitsbevölkerung und politischen Akteur*innen zu friedenspolitischen Themen bemerkt. Protestgruppen in beiden Ländern, die sich für die Neutralität ihres Staates aussprechen, haben sehr unterschiedliche Forderungen.

Beim Thema LGBTQIA*-Rechte denkt man auf den ersten Blick, Irland sei Vorreiter*in, da es unter anderem 2015 als erstes Land gleichgeschlechtliche Ehe per Volksabstimmung auf Nationalebene legalisiert hat. Queerness wird öffentlich gelebt, und es gibt viele kleine Communities, wie zum Beispiel die Gruppe „Queer Bike Rides Cork“ oder das „Cork Queer Nature Collective“. Wenn man genauer hinschaut, sieht man jedoch, dass es noch viel Verbesserungsbedarf gibt oder teilweise Rückschritte bei Queer-Rechten, zum Beispiel in Debatten in Bezug auf Unterricht über Transgender an Grundschulen, Vorfälle von Gewalt gegen queere Personen in der Öffentlichkeit und dass die Gesundheitsversorgung für Transgender Personen sehr prekär ist.

Das University College Cork war hingegen sehr inklusiv und ich habe noch nie vorher eine Bildungsinstitution gesehen, die so sehr Rücksicht auf neurodivergente Personen und Menschen im Autismus-Spektrum nimmt. Innerhalb der Stadt Cork habe ich mich am Campus am wohlsten gefühlt, es ist ein sehr grüner Campus (im Gegensatz zum autozentrierten Irland und viel Stau in der Stadt ist er eine Wohlfühloase), Einwegbecher sind verboten und das zentrale Gebäude erinnert an Hogwarts, die Zauberschule aus dem Harry Potter Universum. Sowohl die Mitarbeitenden als auch die Studierenden sind sehr freundlich, nehmen Rücksicht aufeinander und es gibt viele Unterstützungsangebote für Studierende. Mit doppelt so vielen Studierenden wie an der Universität Klagenfurt, sehr strikten Prüfungsrichtlinien und wenig Flexibilität bei der Länge des Studiums sind diese Angebote und der Umgang mit den Studierenden jedoch auch besonders wichtig für eine Universität. Auch die Vielfalt an Societies und Veranstaltungen für Studierende, um sich zu engagieren ist bemerkenswert.

Ich hoffe ich kann meine Erfahrungen und mein Wissen aus dem Auslandsaufenthalt für mein weiteres Studium und die Friedensforschung nutzen und vielleicht auch Ihr/Dein Interesse an Irland wecken. Go raibh maith agat agus slán! („Danke und auf Wiedersehen“ auf Irisch)

[1] Holland, K.. Homelessness in Ireland hits record high of 14,760 people. The Irish Times. https://www.irishtimes.com/ireland/housing-planning/2024/10/25/homelessness-in-ireland-hits-record-high-of-14760-people/ [25.10.2024]