Sprachwissenschaft in der digitalen Welt
Der technologische Wandel und die damit einhergehende Digitalisierung bringen zahlreiche neue Entwicklungen für die Sprachwissenschaft, ermöglichen die neuen Techniken doch innovative Formen der (Sprach-)Datenverarbeitung und verändern sie das Untersuchungsobjekt Sprache an sich. Die Alpen-Adria-Universität hat Mitte Dezember zur 43. Österreichischen Linguistiktagung geladen, die im Zeichen der aktuellen Schwerpunktsetzung der AAU auf die Verbindung zwischen Sprachwissenschaft und Digital Humanities fokussierte. Tagungsleiterin Ursula Doleschal (Institut für Slawistik) berichtet im Interview über diesbezügliche neue Möglichkeiten und Erkenntnisse.
Warum ist die Entwicklung hin zu „Digital Humanities“ für die Sprachwissenschaften interessant?
Man kann aus zweierlei Perspektiven auf das Thema blicken, was sich auch bei unserer Tagung zeigte. Mark Richard Lauersdorf hat in seiner Keynote dahingehend argumentiert, dass uns diese Technologien nun etwas bieten, das wir ohnehin schon immer in ähnlicher Weise gemacht haben. Die Sprachwissenschaft hat schon immer mit Korpora gearbeitet, Daten verarbeitet und auch visualisiert. Die Möglichkeiten, mit denen wir dies tun, und das Ausmaß sind nun natürlich neu. Sebastian Kempgen hingegen hat sich in seinem Vortrag mehr an der Philologie orientiert und zum Beispiel gezeigt, wie uns heute verschiedene digitale Methoden dabei unterstützen können, Texte überhaupt erst auffindbar zu machen, beispielsweise mit Lasergeräten, die Inschriften auf Säulen lesbar machen. Die Technik unterstützt uns dabei, schriftliche Dokumente sichtbar und besser zugänglich zu machen. Das ist derzeit das Hauptdesiderat der Digital Humanities in den Philologien.
Welche Erleichterungen ergeben sich?
So manche alte Handschrift war beispielsweise früher nur in Bibliotheken einsehbar, zu denen man anreisen musste und für deren Betrachtung man um Genehmigung ansuchen musste. Solche Schriftstücke werden mehr und mehr digitalisiert und stehen heute im Internet allgegenwärtig zur Verfügung. Stärker linguistisch orientiert ist dann der Aspekt, dass diese alten Schriften auch für den Computer lesbar gemacht werden. Dies bedeutet eine Formalisierung, die nicht nur ein technisches, sondern gleichzeitig ein linguistisches Problem ist. Wir bekommen so neue Werkzeuge zur Hand, um Sprache zu analysieren. Eines davon sind auch die so genannten Sprachwolken, die es uns auf relativ einfache Weise erlauben, Schlüsselwörter aus Texten herauszuholen und griffig darzustellen. Dies ist als heuristisches Werkzeug interessant, mit dem man dann weiterarbeiten kann.
Digitalisierung ist also eine methodische Erleichterung für die Sprachwissenschaft. Gibt es auch Forscherinnen und Forscher, die sich dafür interessieren, wie die Digitalisierung Sprache verändert?
Das gibt es eindeutig, ja. Wir hatten dazu auch Vorträge und Workshops bei unserer Tagung, unter anderem einen Workshop unter dem Titel „Namen digital“, in dem man sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Namensgebung beschäftigte. Ein Beitrag untersuchte etwa die Namen von Computerwürmern. Gleichzeitig lässt die Digitalisierung auch neue Medien und neue Textsorten entstehen, die in den Blick genommen werden. Hier gilt es viele neue Phänomene zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit zu untersuchen.
Sie haben also allen Anlass, um optimistisch für die Sprachwissenschaft in die Zukunft zu blicken, oder?
Natürlich. Je mehr kommuniziert wird, desto mehr kann man als Sprachwissenschaftlerin untersuchen. Und der Mensch im digitalen Zeitalter kommuniziert – vor allem schriftlich dokumentiert – mehr als bisher. Für die Sprachwissenschaft und ihren Gegenstand, die Sprachen, ist die Digitalisierung gut. Auch die Sprachenvielfalt kann durch die Digitalisierung gewinnen, wie einzelne Beiträge bei der Tagung gezeigt haben. Nur von wenigen gesprochene Sprachen können durch den Austausch in den digitalen Medien wieder mehr Raum gewinnen, regionale Sprachformen können sich schriftlich präsentieren und auch dazu genutzt werden, sich im Internet zu verständigen. Die Möglichkeiten reichen bis hin zu Sprachkursen im Internet.
Gleichzeitig ist das Englische durch das Internet aber stärker geworden, oder?
Ich würde bestreiten, dass das am Internet liegt. Verantwortlich dafür ist wohl die Globalisierung insgesamt, aber auch der Zusammenbruch der Sowjetunion. Wahr ist aber, dass das Internet dem Englischen noch breiteren Raum gibt.
Wenn mehr digitale Technologien zur Auswertung von Sprache zum Einsatz kommen, braucht die Sprachwissenschaft auch einen stärkeren Dialog mit den Technischen Wissenschaften. Wie ergeht es ihr dabei?
Wir brauchen die Informationstechnik schon lange. Ich habe keine Angst, dass die Technik der Sprachwissenschaft hier etwas wegnimmt; im Gegenteil: Es kommt zu einer verstärkten Zusammenarbeit, die vieles leichter macht. Man muss in der Sprachwissenschaft nicht mehr selber so tief in die Technik eindringen, wie das vor 20 oder 30 Jahren notwendig war, um Computerlinguistik zu betreiben. Für die Philologie ist das allgemein sicher gut. Ich glaube aber auch, dass die Technikerinnen und Techniker die Sprachwissenschaft brauchen, um gewisse Probleme, auf die sie selber stoßen, zu bearbeiten. Bei der Künstlichen Intelligenz zum Beispiel gibt es hier schon sehr lange eine Zusammenarbeit.
Gibt es Projekte, die Sie betreiben, wo Sie an der Schnittstelle zu den Digital Humanities arbeiten?
Ja, wir untersuchen gemeinsam mit der Volksschule Hermagoras in Klagenfurt den sprachlichen Lernfortschritt der Kinder in einer zweisprachigen Lernumgebung. Die Texte der Schülerinnen und Schüler werden eingescannt und mit entsprechenden Programmen weiterverarbeitet, um sie automatisch lesbar zu machen und einer Auswertung zuzuführen. Dabei handelt es sich um ein klassisches Beispiel für die Sprachwissenschaft in den Digital Humanities, wegen der Zweisprachigkeit aber dennoch um eine Herausforderung.
Zur Tagung
Die 43. Österreichische Linguistiktagung wurde als Gemeinschaftsprojekt der Institute für Slawistik, Anglistik, Germanistik, Romanistik und des SchreibCenters organisiert. Insgesamt haben rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Vorträgen und Workshops an drei Tagen teilgenommen. Einen Rückblick finden Sie unter https://www.aau.at/blog/43-oesterreichische-linguistiktagung/.
Zur Person
Ursula Doleschal ist seit 2003 Universitätsprofessorin am Institut für Slawistik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und seit 2004 wissenschaftliche Leiterin des SchreibCenters. Sie habilitierte 2000 an der Wirtschaftsuniversität Wien und erlangte so die Venia legendi in slawischer Sprachwissenschaft. Dort war sie auch als Universitätsassistentin und später als außerordentliche Universitätsprofessorin tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Sprache und Geschlecht, Wissenschaftliches Schreiben, Mehrsprachigkeitsforschung, Feministische Linguistik, Grammatiktheorie und Morphologie.