Sportereignisse sind unsere letzten Lagerfeuer

Sport wird zunehmend professioneller und kommerziell bedeutender – damit wird auch die Kommunikation über Sport wichtiger. Der Kommunikationswissenschaftler Jörg-Uwe Nieland erklärt im Interview, welche Funktionen Sportgroßereignisse haben und wie Sportler*innen von Kommunikationsprofis in ihrer Imagepflege unterstützt werden bzw. ihre Heldenerzählungen geschrieben werden.

Welche Rolle spielen Sportgroßereignisse wie die Ski-Weltmeisterschaft oder der Super Bowl in unserer Gesellschaft?
Sportler*innen sind Figuren, hinter denen sich viele von uns versammeln. Einige von ihnen haben eine beeindruckende Strahlkraft, egal ob als Legenden, als skandalgebeuteltete Antihelden oder als Newcomer. Wir verlagern viel von dem, was in unserem Alltagsleben fehlt, in die Medien, und damit auch in die Sportberichterstattung. Ich meine, dass die Übertragungen von Sportgroßereignissen unsere letzten Lagerfeuer sind, um die wir uns versammeln. Es wird zwar auch über die Trauerfeier für die britische Königin auf mehreren Sendern über mehrere Stunden übertragen, aber Sportgroßereignisse fesseln dann noch einmal mehr. Sie finden jedes Jahr oder alle vier Jahre statt. Und im Fall der kommenden Ski-Weltmeisterschaft ist die Identifikation mit den österreichischen Sportler*innen besonders groß – auch aufgrund der Erfolgsaussichten. Sportgroßereignisse sind Hochzeiten nicht nur für die Sportler*innen, sondern auch für das Publikum.

Sie erwähnten die Held*innengeschichten, die uns heute erzählt werden. Was braucht ein*e Sportler*in, um zur medial transportierten Held*in zu werden?
Grundvoraussetzung ist natürlich eine herausragende sportliche Leistung. Darüber hinaus geht es darum, sich auch als Sportler*in zu positionieren – eine eigene Geschichte zu erzählen. Aufgebaut und gepflegt wird das Image als bad girl/guy oder als good girl/guy. Viele Sportler*innen gehen in Konfrontation nicht nur mit den Gegner*innen, sondern auch mit den Medien, andere sind zugänglich und geben auch Persönliches preis. Tatsächlich haben einige Sportler*innen einen hohen Unterhaltungswert, treten wie Popstars auf.
Inzwischen ist zu beobachten, dass Sportler*innen versuchen, die Hochheit über die Kommunikation und die mediale Darstellung zu bekommen und zu behalten. Sie bespielen die verschiedenen Social-Media-Kanäle, geben andererseits nur wenigen Journalist*innen Interviews. Die professionelle Medienarbeit ist für Sportler*innen heute ein absolutes Muss Und diese Entwicklung ist ein interessanter Forschungsgegenstand sowie ein spannendes Betätigungsfeld – auch für unsere Studierenden der Medien- und Kommunikationswissenschaft.

Das Verhältnis zwischen Sportler*innen und Medien ist ja nicht immer einfach. Welche Rolle spielen dabei die Verbände?
Die Vereine und die Verbände – allen voran die FIFA oder das IOC – haben mittlerweile umfassende Reglements aufgestellt, was ein*e Sportler*in äußern darf und was nicht, beispielsweise hinsichtlich Politik. Viele Vereine und Verbände schotten die Sportler*innen von Journalist*innen ab, was deren Arbeit erschwert: eine bedenkliche Entwicklung, da so die kritische Betrachtung des Sports verhindert wird. Gerade die FIFA-Fußballweltmeisterschaft in Qatar hat doch gezeigt, wie wichtig eine kritische Begleitung der Verbände und der (Sport-)Politik ist.

Wie kam es, dass die Sportkommunikation zu Ihrem Forschungsfeld wurde?
Drei Gründe möchte ich nennen. In der Vergangenheit war Sportkommunikation in der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaft lediglich ein Nischenthema. Mitzuarbeiten, diese Forschungslücke aufzufüllen, empfand ich als sehr lohnend. Auch deshalb, weil vieles von dem, was wir in der Sportkommunikation und im Mediensport beobachten können, wertvolle Rückschlüsse auf die Entwicklung und Rezeption der Medien sowie die enorme Bedeutung der Medien für unsere Gesellschaft erlaubt. Inzwischen haben wir eine Forschungsgruppe etabliert, die sich mit den zahlreichen Facetten der Sportkommunikation beschäftigt. Zweitens ist Sport in unserer Kommunikation allgegenwärtig: Wenn wir in der Kneipe oder im Zug mit jemandem plaudern:  Über die Leistungen von Sportler*innen oder Vereine, die Quantität und Qualität der Sportberichterstattung oder die sportpolitischen Aspekte von Sportgroßereignissen wie bei der WM in Qatar: Menschen kommen über Sport ins Gespräch. Auch das interessiert mich als Kommunikationswissenschaftler. Der dritte Grund ist persönlich: Ich interessiere mich für Sport, aktiv und passiv. Ich habe im Nebenfach Sport studiert. Und ich verbringe viel Zeit damit, Sport in den Medien aber auch live zu verfolgen. Darunter sind auch US-amerikanische Sportereignisse, die ich wegen der Zeitverschiebung nicht selten bis spät in die Nacht verfolge.

Ist es nicht schrecklich einsam, Spiele nachts im Fernsehen zu schauen?
Nein, im Gegenteil! Ich fühle mich als Teil der (mitunter weltweiten) Gemeinschaft von Fans einer Mannschaft. Zusätzlich habe ich eine WhatsApp-Gruppe, in der ich mich mit Freund*innen über das Erleben austausche. Passiver Sportkonsum bietet viel: Man fühlt sich unterhalten, man freut und ärgert sich, lenkt sich ab, analysiert das Gesehene, empfindet es ästhetisch, oder gerade nicht. Wichtig ist zudem das Überraschungselement: Man weiß nie, wie es ausgeht.

Sport im Fernsehen oder online zu verfolgen, wurde in den letzten Jahren zunehmend teurer. Wie wirkt sich das auf den Konsum aus?
Der Zugang zur Liveberichterstattung hat sich enorm verteuert. Viele Zuseher*innen protestieren daher; das reicht bis hin zu Boykotten. Manche wenden sich sogar von ihren Lieblingsmannschaften ab und interessieren sich eher für kleinere Vereine, die denen die Kommerzialisierung noch nicht so extrem ist. Ich glaube, mit der WM in Qatar sind wir an einem Kipppunkt angekommen, an dem wir erleben, dass das Interesse des Medienpublikums zurückgeht. Diese Entwicklung führt zu der medienpolitisch brisanten Frage, ob sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk am Ankauf immer teurer werdender Übertragungsrechte noch beteiligen soll.

Neben Sportkommunikation ist die politische Kommunikation Ihr Steckenpferd. Was haben die beiden gemeinsam?
Zunächst ist daran zu erinnern, dass „die Politik“ den Sport instrumentalisiert und versucht vom positiven Image des Sports zu profitieren. Sport wird zunehmend zu einem wichtigen Thema der Politik. Ein Beispiel wäre der Bau des Alpen-Adria-Sportbades in unmittelbarer Nähe zur Universität. Sport und Tourismus ist gerade für Kärnten ein Thema. Für diesen ist es hierzulande wichtig, Bilder von strahlend weißen Hängen und blauem Himmel in die Welt zu schicken: Gleichzeitig wird angesichts des Klimawandels in Frage gestellt, ob Schifahren noch zeitgemäß ist. Ähnliche Debatten gibt es beispielsweise auch zum Mountainbikefahren. An solchen Debatten sind verschiedene Akteure von der Politik über Hoteliers bis zum Alpenverein beteiligt. Diese Entwicklung ist für die Sportkommunikation wie die politische Kommunikation eine Herausforderung – und somit für die Medien- und Kommunikationswissenschaft.

 

Zur Person



Seit Oktober 2022 ist Jörg-Uwe Nieland als Senior Scientist am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft tätig. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft (mit den Nebenfächern Geschichtswissenschaft, Philosophie und Sportwissenschaft) an den Universitäten Duisburg, Bochum und Berlin lehrte und forschte er unter anderem an der Deutschen Sporthochschule Köln (2009 – 2016), der Universität Münster (2017 – 2019) sowie zuletzt an der Zeppelin Universität Friedrichshafen (2019 – 2021). Seine Forschungsschwerpunkte sind: Medialisierung und Medienentwicklung; Politische Kommunikation, Medienpolitik und Medienstrukturen; Sportkommunikation und Sportpolitik sowie Populärkultur (u.a. Fanforschung). Seit 2014 ist er in der Fachgruppe „Mediensport und Sportkommunikation“ in der DGPuK aktiv (bis 2021 als Sprecher bzw. stellvertretender Sprecher). Zudem ist er Vorstandsmitglied der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V.