Sich an den Besten messen
Hermann Hellwagner sieht sich selbst nicht als Spitzenforscher. Hin und wieder gelingt es seinem Team und ihm aber, „ein Tor in der Champions-League zu schießen“. Im Interview spricht er über Bedingungen und Indikatoren von Spitzenforschung.
Was sind Indikatoren für Spitzenforschung?
Bei uns in den technischen Wissenschaften haben rigorose Peer-Review-Prozesse bei Tagungen und Journals einen hohen Stellenwert. Jene Beiträge, die sich trotz Aufnahmequoten von 15 oder 20 Prozent durchsetzen, werden als hochwertig angesehen. Spitzenforschung orientiert sich also an den Besten, wird viel beachtet, hat einen hohen Impact und basiert meist auf starkem Wettbewerb. Außerdem haben Einladungen als Keynote-Speaker oder international anerkannte Preise viel Gewicht.
Wie erreicht man Spitzenforschung?
Ich glaube, man muss sich immer an den Besten orientieren. Im Wettbewerb muss man ein Thema finden, mit dem man international sichtbar werden kann. Dazu muss man – bei aller Konkurrenz – auch kooperieren können, wenn möglich mit den Besten. Nach dem mittelalterlichen Lehrling/Geselle/Meister-Wesen kann man im Windschatten die Meister ein Stück begleiten und davon auch profitieren. Irgendwann kann es dann gelingen, aus dem Windschatten zu treten und selbst Spitzenleistungen zu erzielen. Geschickte Leute nutzen diese Kooperationen sehr gut.
Wie stehen Sie zur Quantifizierung der Kriterien, wie beispielsweise dem Hirsch-Index?
Ich finde es sehr gefährlich, die Qualität wissenschaftlicher Arbeit auf diesen Indikator alleine zu reduzieren; solche Tendenzen gibt es aber derzeit. So ein Faktor gibt wenig Auskunft über die Gesamtpersönlichkeit und das Potenzial eines Forschers oder einer Forscherin, aber über seinen Impact in einem bestimmten Umfeld. Ich finde es wichtiger, Akzeptanzquoten von Zeitschriften, Konferenzen und Forschungsförderern heranzuziehen, wenn es um Quantifizierbarkeit von Forschungsqualität geht.
Gute Zeitschriften nehmen also rund 20 Prozent der Einreichungen als Spitzenforschungsergebnisse auf. Wie sind die anderen 80 Prozent einzuschätzen?
Bis zu einem Drittel ist mehr oder weniger nicht diskussionswürdig. Dann gibt es die breite Gruppe der inkrementellen Forschung. Das ist solide, gute Arbeit, bei der kleinere Weiterentwicklungen, aber keine großen Würfe und Denkansätze erzielt werden. Auch ein guter Teil meiner Arbeit fällt wohl darunter. Hin und wieder kann man aber „ein Tor in der Champions-League schießen“, also ein Spitzenforschungsergebnis erzielen.
Welche Rolle spielt das Einwerben von Drittmitteln?
Drittmittel sind aus vielerlei Gründen wichtig: Einerseits bekommt man so mehr Forschungsressourcen. Andererseits stellt man sich in hochkompetitiven Programmen auch einem Wettbewerb; bei EU-Projekten sind es rund 15 bis 20 Prozent der Anträge und bei FWF-Einzelprojekten rund 30 Prozent der Anträge, die akzeptiert werden. Angenommene Projekte tragen daher ein Qualitätssiegel, beim FWF nennen wir es Qualitätssignal.
Wie steht es um die Spitzenforschung in Österreich?
Derzeit ist es noch mehr oder weniger der Motivation einzelner ForscherInnen überlassen, Anträge bei hochkompetitiven Programmen wie dem FWF einzureichen. Oft geht es darum, mit mehr Forschungsressourcen und Personal einem Thema nachgehen zu können. Mittlerweile gibt es aber mehr institutionelle Bemühungen oder – anders gesagt – mehr Druck, dies zu forcieren, beispielsweise durch Aufnahme von Kriterien in die Qualifizierungsvereinbarungen. Die Institutionen sollten dabei auch etwas davon haben: Dies betrifft die Overheadkosten, die beim FWF derzeit nur bei Einzelprojekten an die Universität gehen. Fließt Geld auch an die Institution, würde das den Status der erfolgreichen Antragstellerin heben und die Universität unterstützen. Die Anzahl der Anträge beim FWF steigt derzeit deutlich an.
Wie ist es um die Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs bestellt?
Sehr positiv ist die Entwicklung von strukturierten Doktoratskollegs: Dort können junge Menschen gut vorankommen, miteinander kooperieren, sich aneinander messen, gemeinsam erste Gehversuche in der Scientific Community unternehmen und auch von besserer Betreuung profitieren. So etwas gab es früher nicht und wird derzeit auch in Österreich immer wichtiger.
Sind auch die wissenschaftlichen Karrieremodelle unterstützend?
Das ist schwer einzuschätzen, weil im hiesigen System noch nicht die optimale Balance zwischen Risiko, Sicherheit und Möglichkeiten gefunden wurde. Die zeitlich beschränkten Qualifikationsstufen erhöhen den Druck und tragen dazu bei, dass die Besseren weiterkommen. Gleichzeitig muss aber in einem fairen System auch Scheitern möglich sein, mit einem entsprechenden Angebot für Karriereabzweigungen.
Sind es bestimmte Charaktere, die in diesem von Wettbewerb und Kooperation geprägten System reüssieren?
Am wichtigsten ist es, für das eigene Thema leidenschaftlich „zu brennen“. Dann ist man bereit, viel Zeit zu investieren, die die regulären Arbeitszeiten meist weit übersteigt. Wichtig ist natürlich auch Inspiration, Geschick – und manchmal auch Zufall.
Warum „brennen“ Sie selbst für Ihre Forschungen?
Für mich ist bedeutend, dass ich selbstbestimmt daran arbeiten kann, wofür ich mich interessiere, und von einer Begeisterung getrieben werde, etwas Neues zu finden. Eine Rolle spielt dabei auch der Nutzen für die Gesellschaft: So versuchen wir derzeit in zwei Projekten, technische Maßnahmen und Hilfsmittel für Katastropheneinsätze zu entwickeln und zu erproben. Und natürlich ist auch Anerkennung ein wichtiger Motivator: Ich selbst freue mich über die Akzeptanz eines Papers oder eines Projektantrags, wie sich vergleichsweise ein Sportler über eine Medaille freut.
Haben SpitzenforscherInnen auch noch Zeit für die Lehre?
Für mich ist die Einheit von Forschung und Lehre keine leere Worthülse. Viele SpitzenforscherInnen sind auch gute Lehrende, weil sie Begeisterung weitergeben können. Andererseits ist gerade die Basislehre in hochfrequentierten Bachelorstudien ein zeitlicher Hemmschuh. Bei Masterstudien kann man insofern profitieren, als man die Saat für spätere DoktorandInnen säen kann. Und die Lehre auf Doktoratsebene ist natürlich das Sahnehäubchen, wo man auch für die eigene Forschung profitiert.
Kriterien für Spitzenforschung sind stark disziplinenabhängig. Wie ergeht es der trans- und interdiszplinären Forschung dabei?
Sie hat es in einer „Silo-Gesellschaft“ natürlich schwer, in der jede Disziplin ihre eigenen Publikationsorgane, Tagungen und Fördertöpfe hat. Ich glaube, dass viel Potenzial für Spitzenforschung zwischen den Disziplinen liegt, aber sich auch diese ForscherInnen einem Wettbewerb stellen müssen. Man sollte sich erst in einem „Silo“ bewähren, um sich davon ausgehend zu bewegen. Beim FWF berücksichtigen wir die Interdisziplinarität solcher Projekte und bestellen GutacherInnen der betroffenen Teilwissenschaften.
Können Sie ein Beispiel für Spitzenforschung zwischen den „Silos“ nennen?
Ein solcher Forscher ist der Informatiker Gerhard Widmer an der Universität Linz, der auch Pianist ist. Er beschäftigt sich etwa damit, was es bedeutet, wenn ein sehr guter Pianist ein Stück interpretiert. Dieses künstlerische Element der Interpretation versucht er quantitativ zu erfassen und zu modellieren, um danach auf diese Weise Musik mit einem automatischen Klavier menschenähnlich zu erzeugen. Seine Grundlage ist die Informatik, genauer die Künstliche Intelligenz. Er ist – unter anderem als Wittgenstein-Preisträger – hoch anerkannt.
Braucht es für Spitzenforschung auch Vorbilder wie ihn?
Ja, es braucht, wie auch der ehemalige FWFAufsichtsratsvorsitzende Dieter Imboden sagte, Leuchttürme. Das können einzelne Menschen, aber auch Institutionen sein. In der Schweiz gibt es zum Beispiel mit der ETH Zürich und der ETH Lausanne zwei Universitäten, die Leuchtturmfunktion haben. In Österreich gibt es Ansätze, eine stärkere Etablierung wäre aber wichtig. Auch die Exzellenzcluster in der FWF-Schublade könnten eine Maßnahme sein, mit Flagschiffprogrammen an Universitäten oder Standorten solche Funktionen zu erzielen.
Erschienen in UNIsono/März 2013