Psychologiestudierende auf den Umgang mit dem Tod vorbereiten
Sind Psychologiestudierende gut auf den Umgang mit dem Tod in professionellen Settings vorbereitet? Michael Wieser, Assistenzprofessor am Institut für Psychologie, hat in einem Erasmus+-Projekt gemeinsam mit Partnern in vier weiteren Ländern eine Lehrveranstaltung entwickelt, erprobt und evaluiert. Gemeinsam mit der Projektmitarbeiterin Alexandra Leitner und der Studierenden Hedi Rothes spricht er im Interview über die Erfahrungen aus dem Projekt.
Herr Wieser, wie entstand die Idee für dieses Projekt?
Michael Wieser: Mit der fast gleichen Projektgruppe habe ich bereits in einem früheren Projekt zusammengearbeitet, in dem es um Gewalterfahrungen von Frauen ging. An der Universität Padua, die auch dieses Projekt koordinierte, gibt es einen eigenen Masterlehrgang für Death Studies. Ich wurde dann von den Kolleg:innen angesprochen, ob wir in einem neuen Projekt mitwirken möchten, in dem es um die Entwicklung von Lehrmodulen zu dem Thema geht.
Gibt es in Österreich ein entsprechendes Angebot?
Michael Wieser: Wir haben schon 2019 eine Umfrage unter Psychologiestudierenden durchgeführt und dabei gemerkt, dass es einen Bedarf gibt, der bisher von den Universitäten nicht abgedeckt wird. Es gab nur Ausbildungen von Privatuniversitäten und von Non-Profit-Organisationen. Diese stellen aber nicht die Psychologie in den Vordergrund.
Wie ist das international einzuschätzen?
Michael Wieser: Wir haben auch in den anderen Partnerländern Israel, Rumänien und Polen kaum Angebote wie in Italien gefunden.
Universitäre Lehre basiert ja immer auf Forschung. Gibt es dazu mehr?
Michael Wieser: Ja, es gibt sogar auf Death Studies spezialisierte Journals beispielsweise in den USA. Diese werden aber hierzulande wenig rezipiert.
Welche Ansprüche hatten Sie an die gemeinsam konzipierte Lehrveranstaltung?
Michael Wieser: Wir wollten vor allem eine Einführung geben und Anknüpfungspunkte an die Entwicklungs-, Gesundheits- und Klinische Psychologie darstellen. Das sollte dann, verknüpft mit Psychodrama, auf eine breite Basis gestellt werden. Angeboten wurden das Seminar für Studierende im Masterstudium. Der Titel war „Palliative Psychologie“.
Was haben Sie sich von dieser Lehrveranstaltung als Studierende erwartet, Frau Rothes? Warum haben Sie sich angemeldet?
Hedi Rothes: Ich denke, sich mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen, ist für jede:n Psychologiestudent:in wichtig. Ich wollte mich für die Praxis besser vorbereitet fühlen und erhoffte mir von der Lehrveranstaltung, einen besseren Einblick in den Umgang mit diesem Thema in der Praxis zu erhalten.
Frau Leitner, Sie haben im Projekt als Mitarbeiterin mitgewirkt. Was haben Sie sich erwartet?
Alexandra Leitner: Ich habe bereits im Zuge meines Forschungspraktikums, welches ich bei Michael Wieser absolvieren durfte, miterleben dürfen, wie vielfältig und relevant die Thematik der Palliativpsychologie vor allem in der heutigen Zeit ist. Ich war gespannt darauf, an einem internationalem Teamprojekt teilzunehmen und mit anderen Forschenden zusammenzuarbeiten, um gemeinsam einen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt auf diesem Gebiet leisten zu können. Eine besondere Rahmenbedingung stellte die Corona-Pandemie dar, welche genau zu dem Zeitpunkt unseres Projekts auftrat. Somit mussten wir die Live-Unterrichtseinheiten sowie sämtliche Teambesprechungen auf ein Online-Format verschieben. Die Erwartungen an das „Death Education for Palliative Psychology“-Projekt waren von Anfang an sehr hoch, da kompetente und erfahrene Mitglieder aus unterschiedlichen Ländern Europas zusammenarbeiteten. In unserem Vorhaben strebten wir danach, die Unterrepräsentation der Palliativpsychologie im universitären Kontext zu identifizieren und durch wissenschaftliche Evidenz zu belegen. Zudem beabsichtigten wir, Ansätze für zukünftige Forschungsbeiträge zu entwickeln.
Wie haben Sie das Projekt evaluiert?
Michael Wieser: Wir wollten zu verschiedenen Zeitpunkten wissen, wie es den Studierenden damit ergeht. Dazu haben wir eine Vor- und Nacherhebung mit standardisierten Fragebögen gemacht. Außerdem gab es begleitende qualitative Erhebungen und eine Fokusgruppe.
Gab es auch praktische Anteile im Seminar?
Hedi Rothes: Ja, wir hatten die Möglichkeit, ein mobiles Hospiz für Krebskranke in Bologna zu besuchen. Im Rahmen dieses Projekts kommen Ärzt:innen und Pfleger:innen zu den Kranken nach Hause. Eine kleine Gruppe von Studierenden konnte das medizinische Personal dabei begleiten. Ich war auch Teil dieser Gruppe.
Wie erging es Ihnen dabei?
Hedi Rothes: Ich empfand größten Respekt für die Menschen, die jeden Tag diese wichtige Arbeit leisten und konnte mir aus dem Umgang mit den Patient:innen auch einiges abschauen. Einerseits habe ich mich etwas bedrückt gefühlt in Hinblick auf die Tatsache, dass man den Patient:innen nur noch helfen, sie aber nicht mehr heilen kann. Andererseits habe ich mich über den vertrauten Umgang des Pflegeteams und der Familienmitglieder gefreut. Man konnte die Dankbarkeit der Menschen deutlich spüren. Insgesamt habe ich durch das Projekt, sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene sehr viel gelernt und konnte mich persönlich weiterentwickeln. Ich hoffe, dass die Lehrveranstaltung palliative Psychologie weitergeführt werden kann.
Frau Leitner, welche Erkenntnisse haben Sie aus der Begleitforschung gewonnen? Haben die Studierenden in der von Ihnen intendierten Weise vom Seminar profitiert?
Alexandra Leitner: Bereits zu Beginn der Lehrveranstaltungen wurde das deutliche Interesse an Palliativpsychologie durch die umfangreiche Anzahl von Anmeldungen erkennbar. Während des Kurses erhielten wir kontinuierlich Rückmeldungen von den Studierenden über ihre Identifikation mit dem Thema und die Wertschätzung der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben. Die abschließenden Ergebnisse der Evaluierung zeigten deutlich, wie sich die Einstellungen der Teilnehmenden zum Leben und Tod im Verlauf der Veranstaltungen veränderten. Insbesondere das Ausfüllen von Zufriedenheitsfragebögen, die Präsentation von Fotografien, Rollenspiele und die Visualisierung individueller sozialer Atommodelle wurden von den Studierenden als besonders effektive Methoden zur Selbstreflexion wahrgenommen. Nahezu alle Teilnehmenden bestätigten den persönlichen Nutzen aus der Lehrveranstaltung „Palliative Psychologie“.
Herr Wieser, Psychologiestudierende sind ja so etwas wie Multiplikator:innen. Was aber lässt sich aus Ihren Projekterfahrungen auf Laien im Umgang mit dem Tod rückschließen?
Michael Wieser: Es würde uns wohl allen guttun, sich mehr mit dem Tod zu beschäftigen. Die Medizin kann heute zwar viel leisten, um das Leben zu verlängern, aber letztlich gibt es bei jedem irgendwann den palliativen Zustand: Dann kann man nicht mehr heilen, nur noch lindern. Wenn man eine andere Einstellung zum Tod gewinnen kann, hat man auch die Chance, anders auf das Leben zu blicken.
Zu den Personen
Michael Wieser ist Assistenzprofessor am Institut für Psychologie. Er koordinierte das Erasmus+-Projekt unter dem Titel „Death Education for Palliative Psychology“ an der Universität Klagenfurt. Partneruniversitäten waren die University of Haifa (IS), University of Padua (IT, Coordinator), ANT Foundation (IT, NGO), Lucian Blaga University of Sibiu (RO) und die The John Paul II Catholic University of Lublin (PL). Die Projektergebnisse werden aktuell publiziert, unter anderem in:
Wieser, M.A. & Leitner, A. (2023). Impact of Teaching Palliative Psychology with Psychodrama and Arts Therapies on Psychology Students in Klagenfurt. Behav. Sci., 13 (11): 931. https://doi.org/10.3390/bs13110931
Alexandra Leitner war als Projektmitarbeiterin am Erasmus+-Projekt “Death Education for Palliative Psychology” tätig. Sie verfasste ihre Masterarbeit zum Thema “Inwiefern besteht an der Universität Klagenfurt ein Bedarf an Palliativer Psychologie in der Lehre?”. Aktuell ist sie Doktorandin am Institut für Psychologie an der Universität Klagenfurt zum Thema “Selbstfürsorge bei Pflegefachkräften im palliativen Setting”.
Hedi Rothes besuchte das im Projekt entwickelte Seminar als Studentin. Sie schloss ihre Masterarbeit zu “Weisheit und wahrgenommene Kontrolle beim Lösen eines sozialen Problems” im Jahr 2024 ab.