Wissenschaftskommunikation auf neuen Wegen
In vielen Ländern, insbesondere in Österreich, gibt es eine Kluft zwischen Wissenschaft und der Bevölkerung. Um diese zu überbrücken, machen sich immer mehr Forscherinnen und Forscher neue Informations- und Kommunikationstechnologien zunutze und verbreiten wissenschaftliche Themen über YouTube, Facebook oder Blogs. Im Interview erzählt Soziologe Joachim Allgaier, welche Plattformen für Wissenschaftskommunikation nützlich sind und wie sie zum Einsatz kommen.
Herr Allgaier, in Ihren Publikationen und Lehrveranstaltungen widmen Sie sich der Populärkultur und ihren Kommunikationskanälen: Warum beschäftigen Sie sich damit?
Weil Popkultur als Übermittler zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit fungieren kann. Niemand kann sich im Alltag populärkulturellen Medienformaten entziehen. Sie werden natürlich auch gerne bewusst zur Unterhaltung oder Entspannung rezipiert. Zudem gehe ich davon aus, dass das Bild, das die Öffentlichkeit von wissenschaftlichen Themen hat, mittlerweile stark durch Populärkultur geprägt wird – wenn auch nicht so explizit wie durch Journalismus oder Bildung in der Schule.
Welche der angesprochenen Medienformate eignen sich, um Wissenschaft zu vermitteln?
Aus bisherigen Untersuchungen habe ich den Eindruck, dass Plattformen wie YouTube in Zukunft eine sehr große Rolle spielen werden. In vielen Ländern ist YouTube bereits die zweitbeliebteste Suchmaschine nach Google. Man gibt ein Thema ein und findet kurze Videos, die dieses Thema einfach und anschaulich erklären.
Was können Plattformen wie YouTube leisten?
Forschungen haben gezeigt, dass insbesondere bei komplexeren Themen aus Medizin oder Technik Menschen Schwierigkeiten haben, Texte zu lesen und zu verstehen. Sie beinhalten eine Vielzahl an Fremdwörtern und komplizierten Fachbegriffen. Viele verstehen Inhalte besser, wenn sie ein Video darüber sehen.
Besteht hier nicht auch die Gefahr, auf pseudowissenschaftliche Informationen zu treffen?
Ja, das ist sicherlich der Nachteil. Jeder kann ein Video hochladen, das heißt, diese Videos können auch sehr schlecht sein. Im Internet gibt es keine Instanz wie eine Chefredaktion, die Inhalte prüft und absegnet.
Gibt es wissenschaftliche Inhalte, die sich besser eignen, um über YouTube verbreitet zu werden?
Das ist schwer zu sagen. Ich kenne eine Forschungsgruppe aus der Robotik, die Videos dafür einsetzt, um die Funktionsweise ihrer Roboter zu zeigen. Das eignet sich besser als dies in Form eines Textes zu beschreiben. In Bereichen wie der Mathematik stelle ich es mir schwieriger vor, ein Video zu machen. Allerdings hat beim Wissenschaftsvideopreis „Fast Forward Science“ im letzten Jahr ein junger Musiker gewonnen, der über eine mathematische Formel gerappt hat. Auch das funktioniert.
Welche Themen kommen bei der Bevölkerung besonders gut an?
Menschen fühlen sich von Inhalten angesprochen, von denen sie betroffen sind. In der Wissenschaftskommunikation sind das traditionell Themen in Verbindung mit Medizin. Vor allem wenn es um eine Entwicklung geht, die einen medizinischen Durchbruch bedeutet, beispielsweise ein Medikament, um Krebs oder Demenz zu heilen. Das interessiert die Menschen, weil sie Familienmitglieder und Bekannte haben, die an diesen Erkrankungen leiden. Dennoch setzen noch wenige WissenschaftlerInnen diese neuen Medien ein.
Befürchten sie, als unseriös zu gelten?
Ich glaube nicht, dass es darum geht. Viele Forscherinnen und Forscher fühlen sich in ihren Formaten wohl. Sie wissen, wie man auf Konferenzen Ergebnisse präsentiert oder Aufsätze für anerkannte Journale schreibt. Sie wollen sich mit neuen Kommunikationskanälen nicht befassen. Ich denke, sie sollten auf jeden Fall mutiger werden und Neues ausprobieren, dennoch aber nichts machen, das nicht zur eigenen Persönlichkeit passt.
Sie plädieren also für mehr Kreativität in der Wissenschaftsvermittlung?
Ja, denn der Publikationsbetrieb läuft etwas außer Kontrolle. Es gibt immer mehr Journale, immer mehr Publikationen. Das Problem ist: das liest niemand mehr. Wenn man die Öffentlichkeit ins Boot holen möchte, muss man sich als WissenschaftlerIn einfach überlegen, was man machen kann, damit die Themen das Interesse der Bevölkerung wecken. Dann müssen vielleicht auch andere Kanäle genutzt werden, um mit den Menschen in Kontakt zu treten.
Aber nicht jeder Forschende sollte plötzlich rappen oder schauspielern?
Nein, auf keinen Fall. Es gibt eine Vielzahl an Personen aus dem kreativen Bereich, die Ideen haben, wie man Forschung und Wissenschaft interessant und unterhaltsam – z. B. in Form von Videos – darstellen kann. Auf diese Personen sollten WissenschaftlerInnen zurückgreifen, da es für viele schon allein aus Zeitgründen nicht möglich ist, auch noch Videos über ihre Arbeit zu machen.
Sie haben es bereits kurz angesprochen: Hilft die Populärkultur das Bild der ForscherInnen in der Bevölkerung zu verändern?
Das Image der WissenschaftlerInnen ist in der Öffentlichkeit oft schlecht. ForscherInnen werden als ernste und gehemmte Personen wahrgenommen. Es gibt aber auch genügend Menschen, die ein „normales“ Leben führen und trotzdem gute Arbeit in der Wissenschaft leisten. Hier können populäre Medien auf jeden Fall helfen, ein realistisches Image aufzubauen. Es gibt auch Forschung dazu, wie sich die Stereotype von Forschern und Forscherinnen in den letzten 50 Jahren verändert haben. Bis Ende des 20. Jahrhunderts war die Darstellung sehr negativ. ForscherInnen waren hier oft verwirrte, der Gesellschaft fernstehende Menschen. Dies hat sich in den letzten Jahren stark verändert.
Auch aufgrund von sozialen Medien?
Auf jeden Fall! Es schadet nicht, wenn man der Bevölkerung zeigt, dass man als WissenschaftlerIn auch mit Spaß bei der Sache sein kann. Hier haben populäre Medien und Facebook-Seiten wie „I fucking love science“ (IFLS) gewiss einen positiven Effekt auf das Bild der Wissenschaft.
Fast 20 Millionen Menschen folgen dieser Facebook-Seite. Worin liegt Ihrer Meinung nach der Erfolg von IFLS?
Die Seite hat eine sehr humorvolle Herangehensweise an Forschung und Wissenschaft. Ich finde solche Initiativen begrüßenswert, weil es für die Wissenschaft eine gute Sache ist. Die Betreiberin der Seite ist selbst Wissenschaftlerin und schafft es, Forschung unterhaltsam zu verpacken, und zwar so, dass die Wissenschaft in ein gutes Licht gerückt wird und die Menschen sich das gerne anschauen. Das ist nicht so einfach, wie man vielleicht meinen würde.
Sie befassen sich auch mit der Vermittlung von Wissenschaft mithilfe von Musikvideos.
Es gibt mittlerweile unzählige von Forscherinnen und Forschern selbst gemachte Musikvideos. Einige sind reine Parodien von bekannten Popsongs, beim Großteil stehen aber Forschungsthemen im Mittelpunkt. Zum Teil nutzen sie diese Lieder, um auf aktuelle Thematiken wie den Klimawandel aufmerksam zu machen und die Leute zum Handeln zu motivieren.
Welche anderen Formate befassen sich noch mit Wissenschaft?
Vor allem Fernsehserien sind gerade ein riesiger Markt, besonders in den USA.
Können Sie uns ein aktuelles Beispiel nennen?
Bei „Breaking Bad“, einer US-amerikanischen Serie über einen krebskranken Chemielehrer, der sich sein eigenes Drogenlabor einrichtet, ist Chemie gerade ein gefragtes Thema.
Wie „wissenschaftlich“ sind diese Serien?
Die meisten größeren Ärzte- oder Krimiserien haben bereits wissenschaftliche BeraterInnen, auch um sich nicht zu blamieren, indem sie falsche oder unrealistische Tatsachen abbilden. Die National Academy of Sciences in den USA hat außerdem eine Initiative gegründet, um aktiv auf Drehbücher von Serien und Hollywood-Filmen einzuwirken. Wissenschaft soll korrekt und realitätsnah dargestellt werden. Bei Medizinserien ist die Auswirkung nämlich sehr groß, vor allem bei der Darstellung von Krankheiten oder Heilmethoden. Das Publikum und vor allem Betroffene nehmen das sehr ernst. Deshalb ist hier Vorsicht geboten, wenn man plötzliche Wunderheilungen und Ähnliches zeigt, da die Zuseherinnen und Zuseher glauben, dass das die Realität sei.
Wecken solche Serien generell das Interesse an Wissenschaft?
Es gab vor ein paar Jahren den so genannten „CSI-Effekt“. Als diese Forensiker-Serien sehr populär wurden, hat es geheißen, dass das Interesse insbesondere bei jungen Frauen größer wurde, diese Fächer zu studieren. Es ist aber nicht eindeutig belegt, ob es wirklich einen kausalen Zusammenhang gab. Fakt ist aber, dass man aktiv versucht der Bevölkerung zu vermitteln, dass Wissenschaft ein interessantes und spannendes Feld ist.
Das waren durchwegs positive Beispiele von populärer Wissenschaftskommunikation, es gibt aber sicher auch weniger gelungene.
Selbstverständlich. Wenn es nur mehr darum geht, lustig zu sein, dann kommt die Wissenschaft meist zu kurz. Bei einzelnen Projekten wie „Science Slams“ oder „Dance your PhD“ wird manchmal Forschung so trivialisiert, dass sie nur mehr für einen Lacher gut ist. Hier wird das Bild der Wissenschaft meines Erachtens eher beschädigt.
Welche Kanäle nutzen Sie persönlich?
Alle! Research Gate ist sehr hilfreich, um nach Artikeln und Themen zu recherchieren oder um Leute zu kontaktieren. YouTube setze ich auch immer wieder in der Lehre ein, wenn ich ein gutes Video finde, um etwas kurz und spannend zu erklären. Bei den Studierenden kommt es sehr gut an.
Erschienen in UNIsono/April 2015
Zur Person
Joachim Allgaier ist Soziologe und Medien- und Kommunikationsforscher. Er ist seit Juni 2014 am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der AAU in Klagenfurt als Senior Scientist tätig. Er interessiert sich für die interne und externe Wissenschafts- und Technikkommunikation sowie für die Repräsentation von Wissenschaft und Technik in den Medien, dem Internet und der Populärkultur.