Olaf Osten und der Horizont
Der aus Norddeutschland stammende und in Wien lebende Künstler und Grafiker Olaf Osten braucht Bewegung, Überraschungen und immer neue Horizonte. Im Herbst 2018 stellt er Arbeiten aus mehreren seiner Serien in der Großen Galerie der Alpen-Adria-Universität aus. Für ad astra unternahm er eine Bilderreise.
Olaf Osten ist viel unterwegs und nie ohne einen abgelaufenen Taschenkalender anzutreffen, den er im Falle eines vor ihm auftauchenden Motivs aufklappt und darin mit den auch immer parat gehaltenen Schwarzstiften das Motiv skizziert: Ich reagiere auf das, was mich anspringt. Sozusagen wie eine organische Kamera. Für eine Zeichnung benötigt er maximal drei bis fünf Minuten, solange muss er sich eine bestimmte Position merken. Die Details kommen erst im Atelier dazu.
Bislang sind in der Serie „Pendeln“ rund 250 verschiedene Zeichnungen entstanden. Was sie eint: Der alte Kalenderdruck und die früheren Einträge im Hintergrund stehen nun Kopf. Da sich die Heftchen durch Bindung und Kleinformatigkeit für Ausstellungen nicht gut eignen, verfertigt Osten Scans und lässt sie in einer begrenzten Anzahl drucken. Von jeder Doppelseite existieren fünf Foto-Editionen in verschiedenen Größen, die je nach den räumlichen Gegebenheiten ausgestellt werden.
Die Vergrößerung ist Teil seines Konzepts, weil sie Überraschungen bringt. Er spielt gerne mit Ausschnitten, die sich erst aus der Distanz erschließen. Je größer die Arbeit, desto interessanter. Gestische Zeichnungen wirken aus der Nähe fast ungegenständlich, mit etwas Abstand werden sie konkreter.
Das Bild Nachtzug („Pendeln 187 / Berlin-Wien, Nachtzug 2015“) entstand im Stehen in einem alten tschechischen Waggon während der Fahrt entlang der Elbe. Mehr als die Skizze und ein schnelles Handyfoto für die Details waren in der Geschwindigkeit nicht möglich: Wichtig ist der Schnappschuss, und dass alles steht. Wenn die Bewegung an sich im ersten Moment festgehalten ist, gibt es bei der Forstsetzung im Atelier keine Probleme, die Details zu ergänzen, ohne dass die Bewegung verloren geht.
Das Pendeln zwischen den Orten bezeichnet für Osten das Dazwischen, aber auch den Zustand seines physisch-statischen Seins in Ruhe und in Bewegung. Am Beginn der Serie Pendeln hat Osten konsequent nur in Wien und in Hamburg, Orte, die für ihn eine wichtige Rolle spielen, gezeichnet. Die Bilder von den Schauplätzen da wie dort zeigte er dann nebeneinander, bis sich beide Orte zu vermischen begannen: Diese Vermischung von lokalen Identitäten hat mich interessiert. Mittlerweile gibt es aber nicht mehr nur diese beiden Städte. Nach und nach hat sich die Serie örtlich und räumlich erweitert.
Eine andere Erweiterung brachten ihm Landkarten im Kalenderappendix, die er eines Tages auch zu überzeichnen begann: Mir wurde klar, dass kartographierter Raum genauso interessant ist wie die Arbeit auf der Zeitzone. Ich kann über Räume miterzählen. Seitdem sucht er explizit Atlanten und Landkarten und kauft gebrauchte, häufig veraltete Schulkarten oder auch neue. Die Produktionsart und die Farben der Karten sind für Osten wichtig.
Seine Genervtheit angesichts der aktuellen politischen Turbulenzen in Europa und weltweit spiegelt sich in seinen Überzeichnungen regelmäßig wider. Auf den politischen Landkarten besitzt jedes Land eine andere Farbe, doch die Grenzen haben keine Beständigkeit: Die EU-Grenzen waren schon einmal aufgelöst, nun sind sie wieder ein bisschen da. Was ist für wen identitätsstiftend? Die Möglichkeiten offen zu halten, das ist es für mich. Und das realisiert Osten auf der Karte.
Auf „Pendeln 192 / Europa, Draußen, 2015“ hat er die Namen der Länder gestrichen und nur die Städte belassen, denn diese sind beständiger als Länder. Die Stadt Lemberg etwa, wo die Bürgerinnen einer Generation drei Staatsbürgerschaften annehmen mussten. Diese Zugehörigkeitsproblematik gibt es bei Deutschen und Dänen genauso wie im Elsass, in Ungarn oder der Slowakei. Katalonien kennt jeder, weil es gerade aktuell war. Doch alles ist in Bewegung. Man muss sich ja auch als Mensch immer wieder neu verorten.
Der Naturbezug war Osten immer schon wichtig. Er ist am Stadtrand von Lübeck auf dem Fahrrad, im Fluss und im Wald groß geworden. Als Kind mit allem versorgt, hat mir trotzdem etwas nicht Benennbares gefehlt. Das Fehlende hat ihn weggehen, zum Studium nach Hildesheim und Dublin und per Autostopp oder Rad durch die Welt reisen lassen. Schließlich ist er 1997 in Wien gelandet: An der Stadt hat mir gut getan, dass das kulturelle Interesse weiter in den Mainstream der Gesellschaft reicht, als etwa in Lübeck oder Hamburg.
Unweit seines Ateliers auf meinem Dorfplatz, dem Sobieskiplatz im 9. Bezirk, steht eine Platane mit einer riesigen Krone (Gebiet 06). Sie gibt Osten ein Gefühl des Nachhausekommens. Dorthin zieht er sich von der Arbeit zurück. Ich habe immer schon den Eindruck, dass dieser Baum mich beschützt. Es ist wohl kein Zufall, dass er in der Zeichnung das Format sprengt.
Bäume bilden innerhalb von Ostens Arbeit einen eigenen Werkblock. Bäume wechseln ihren Ort nie. Für Osten ist ein Baum ein gutes Mittel, um das Bleiben zu zeigen und die Stärke der Natur. Bäume bilden aber auch einen Raum und eine Bewegungssituation: Ich komme immer wieder darauf, dass dann doch alles mit Bewegung zu tun hat, auch wenn eine Situation zuerst einmal statisch wirkt. In Ostens Serie Pendeln lassen sich überall persönliche Referenzen finden. Er hat sich nach langen Jahren des Umherziehens für das Bleiben an einem Ort entschieden und eine Familie gegründet. Ich wollte anders reisen, wollte mit Kindern das Sehen neu lernen und für jemand da sein. Mir wurde klar, dass ich keinen fixen anderen Ort, sondern Überraschungen möchte. Und: Familie sei manchmal schwieriger als eine Wüstendurchquerung ganz alleine, sagt Osten. Dennoch möchte er Familie und Arbeit nicht trennen, sondern lieber in einem ganzheitlichen Weltbild leben.
Diese fixe, mittlerweile erweiterte Patchworkkonstellation mit zwei Kindern gibt ihm Stabilität. Ohne diese wäre meine Arbeit viel schwieriger. Vielleicht ist die Familie mein eigener Baum, den ich regelmäßig gieße.
Zurzeit entdeckt Osten das Malen wieder. Aus früheren Jahren existieren eine Handvoll Porträts, und viele Horizontbilder, klassisch in Öl gearbeitet. Der Horizont ist ein Kontinuum in seiner Arbeit, der malerischen wie der zeichnerischen und in seinen Filmen. Horizont gilt auch als Wortschöpfung, als ironischer Begriff, der sich durch Medien zieht. Osten, der für seine grafischen Kooperationen z. B. mit den Wiener Festwochen oder dem Impulstanzfestival auch viel am PC arbeitet, genießt das Offline-Sein und das Medium Ölfarbe: Es ist wieder da! Dieser Geruch, der Ölduft und die Straße als Motiv. Und das Bewusstsein, dass mir etwas gefehlt hat.
Die Ausstellung Olaf Osten – Pendeln wird vom 21. November bis 19. Dezember 2018 in der Großen Galerie der Alpen-Adria-Universität zu sehen sein.
für ad astra: Barbara Maier
Zur Person
Der 1972 in Lübeck geborene Künstler studierte Grafik-Design an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim und am Dun Laoghaire College of Art & Design in Dublin. Ostens Arbeiten sind unter anderem im Besitz des International Peace Institute, des Wien Museums und des österreichischen Bundeskanzleramts. Er ist als Zeichner regelmäßig interdisziplinär tätig. Zu seinen Projektpartnern zählen u. a. die Wiener Festwochen, das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien/mumok und das Impulstanz-Festival. 2012 erhielt er gemeinsam mit Ernst Logar den Staatspreis Schönste Bücher Österreichs. Olaf Osten ist Künstler der Wiener Galerie bäckerstraße4.