Ohne Plan B in die Selbstständigkeit

Esther Planton lebt als freischaffende Musikvermittlerin und Kulturmanagerin in Wien und hat an der Universität Klagenfurt das Studium der Angewandten Musikwissenschaften absolviert. Neben ihren Vermittlungsprojekten vertritt die Kärntnerin im Vorstand der Interessensgemeinschaft Musikvermittlung Österreich die Interessen ihrer Branche.

Warum haben Sie sich dafür entschieden, an der Universität Klagenfurt zu studieren?

Ursprünglich wollte ich nach Wien gehen und dort Musical am „Performing Center Austria“ studieren. Einen komplett künstlerischen Beruf zu erlernen war jedoch mit Unsicherheit verbunden, zudem habe ich immer schon eine Vorliebe für die Wissenschaft und Universität gehabt, Kopfarbeit sozusagen. Als ein Jahr vor meiner Matura dann die Angewandte Musikwissenschaft als Studium an der Universität Klagenfurt gemeinsam mit dem Kärntner Landeskonservatorium – heute „Gustav Mahler Privatuniversität für Musik“ – eingeführt wurde, hat es mir vom Portfolio genau entsprochen: Die klassische Musikwissenschaft kombiniert mit künstlerischen Fächer in Kombination mit Inhalten aus dem Berufs- und Praxisfeld der Musik. Man musste also auch ein Instrument studieren, das war für mich die perfekte Kombi.

Welches Instrument spiel(t)en Sie?

Schon früh spielte ich mit meiner Mutter die ersten Kinderlieder am Klavier, so kam ich zum Instrument. Am Musikgymnasium Viktring ging es dann weiter. Während des Studiums habe ich das Instrument nicht nur lieben gelernt, sondern es sind neben Schweiß auch viele Tränen geflossen. Dass mein Weg mit dem Klavier weder auf die Konzertbühne noch an die Musikschule gehen wird, war mir bald klar. Nach dem Studium habe ich sogar aufgehört Klavier zu spielen. Durch das Studium hat sich der Weg dann in die Musikvermittlung entwickelt… heute habe ich durch diese meinen persönlichen Zugang zum Instrument neu gefunden, sodass ich mit Freude wieder in die Tasten greifen kann – sogar auf der Konzertbühne.

Wie war Ihr Alltag an der Universität Klagenfurt?

Ich kann von meiner Studienzeit nur schwärmen, weil sie fantastisch war. Wir waren ein kleines Studium mit wenigen Studierenden und einer richtigen 1-zu-1-Betreuung. Die Lehrenden haben mit uns praxisorientiert gearbeitet und wir haben Kulturprojekte mit realen Kooperationspartnern entwickelt und umgesetzt. Wir konnten uns so richtig ausprobieren. Musikvermittlung hat mir von Anfang an so sehr entsprochen, eben nicht nur Konzerte zu organisieren, sondern auch Inhalte bestmöglich zu vermitteln und einen Weg zu finden, um Menschen mit Kultur in Berührung zu bringen. Das war die Initialzündung für meine berufliche Karriere.

Können Sie erklären, was Musikvermittlung ist?

Musikvermittlung ist mehr als ein inszeniertes Konzert oder ein Musik-Workshop im Klassenzimmer, auch wenn das beliebte und wunderbare Konzertformate sind. Für mich ist Musikvermittlung eine Haltung und eine Praxis, die interaktiv, interdisziplinär und vielseitig Musik in einem gesellschaftlichen Gefüge, an einem Ort oder in einem bestimmten Kontext verstanden und erlebt werden kann. Diese Momente kreieren Musikvermittler:innen. Sie fördern einen Dialog zwischen Publikum und Musikensemble, Orchester oder Kulturbetrieb, wodurch etwas Neues, Kreatives und Künstlerisches entstehen darf. Das sehe ich als zentralen Baustein, oder fast als „die Mission“ der Musikvermittlung an.

Was ist Ihnen aus Ihrer Studienzeit an der Universität Klagenfurt am besten in Erinnerung geblieben?

Als Studentin erinnere mich an so viele Momente. Die alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen, jedoch erinnere mich gerne an die vielen Konzerte und Kultur-Events am Campus der Universität zurück, oft wurde bis abends gefeiert. Ich war auch sehr bei der ÖH engagiert, mir ist das Engagement für die Studierenden am Herzen gelegen. Wir haben viele Kulturprojekte für die Uni entwickelt, die mir in Erinnerung geblieben sind und mich geprägt haben. Wir experimentierten mit zeitgenössischen Musikkonzepten, was für die Universität sehr progressiv war. Das haben wir auch an Schulklassen vermittelt. Später im Studium habe ich gelernt, dass das bereits ein erster Schritt in die Musikvermittlung war. Man muss sich vorstellen, dass zu diesem Zeitpunkt Musikvermittlung noch gar keine Berufsbezeichnung war.

Ihre Karriere hat sich nach dem Studium rasch entwickelt. Welche Schritte waren besonders wichtig für Sie?

Ich habe schon während des Studiums begonnen, einzelne Projekte zu initiieren und im Musik- und Kulturmanagement tätig zu werden. Erste Praxiserfahrungen ermöglichte mir auch das Studium, da es Kooperationen mit regionalen Kulturinstitutionen gab, wo wir arbeiten und erste Erfahrungen sammeln konnten. Während meines Masterstudiums bin ich nach Wien gezogen, obwohl ich mich in Kärnten ganz gut etabliert hatte. Dort begann ich im Radio-Symphonieorchester Wien und anschließend im Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, wo ich die Abteilung für Musikvermittlung leiten durfte. Das habe ich vier Jahre lang gemacht. Es war eine Wahnsinnschance, noch während des Abschlusses meines Masterstudiums in eine leitende Position in einem Berufsorchester zu gelangen.

Was waren die größten Herausforderungen als Musikvermittlerin im Orchester?

Die größte Herausforderung war es, den vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten im Orchester gerecht zu werden, denn bei 100 Orchestermusiker:innen gibt es 100 unterschiedliche Meinungen. Man muss sehr resilient sein und lernt, für sich und seinen eigenen Bereich einzustehen. Nicht jedes Projekt oder Konzertformat gelingt, auch das gehört dazu. Auch ist die Musikvermittlung in vielen Institutionen personell klein besetzt, Musikvermittler:innen arbeiten alleine für einen großen Bereich, tragen viel Verantwortung und werden oft nicht gut bezahlt. Das ist ein großes Problem. Der Wunsch nach neuem Publikum oder neuen Formaten ist aber sehr groß. Kulturinstitutionen wollen sich neu erfinden, wollen neue Wege ausprobieren und „modern“ werden. Die Musikvermittlung ist ein wesentlicher Teil in diesem Prozess. Ich finde es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, warum wir Kulturprogramm machen und warum uns Kultur wichtig ist.

Warum ist Kultur also wichtig? Was wäre Ihre Antwort auf diese Frage.

Eine Antwort alleine wäre zu wenig, aber ich kann es versuchen: Kultur ist lebensnotwendig. Ich glaube auch, dass sich Kunst und Kultur nicht erklären müssten, da sie etwas Natürliches sind, das immer da war. Ich würde mir eher die Frage stellen: Was macht Kunst und Kultur mit uns Menschen? Musik ist eine wunderbare Form, um sich nonverbal auszutauschen, Musik löst sogar Schwingungen im Körper aus. Das Lernen eines Instruments steigert die Gehirnleistung und fördert unsere Konzentration, es gibt so viele positive Aspekte, warum eine künstlerische Tätigkeit wertvoll für den Menschen ist. Kunst gibt uns Menschen eine Ausdrucksform und eine Stimme, das ist lebensnotwendig. Wenn jeder von uns künstlerisch tätig wäre, hätten wir vermutlich keine Kriege. Ich bin davon überzeugt, dass uns Kunst und Kultur zu besseren Menschen macht. Sie verbindet uns, fördert die Kommunikation und den Dialog und hält uns den Spiegel vor. Eines ist mir als Kultur- und Musikvermittlerin wichtig, Kultur in das Zentrum der Gesellschaft zu bringen, es tut uns allen einfach gut.

Wie sind Sie schließlich in die Selbstständigkeit gelangt?

Der damalige Chefdirigent, Yutaka Sado, wusste von meiner Tanzausbildung und ermöglichte es mir, in einem Familienkonzert als Tänzerin auf der Bühne aufzutreten. Als ich den Tanzboden auf der großen Bühne in Grafenegg unter meinen Füßen spürte, habe ich gewusst, ich bin zuhause. In meinem Beruf inmitten von Planung und Budgetierung fehlte mir plötzlich etwas ganz Wesentliches: die kreative, künstlerische Arbeit. Ich habe versucht, die beiden Bereiche zu vereinen, aber es war unglaublich schwierig, meinen Bedürfnissen und jenen des Orchesters gerecht zu werden. So habe ich den sicheren Job in einem renommierten Orchester aufgegeben und bin ohne Plan B in die Selbstständigkeit gewechselt. Geklappt hat alles, weil ich mit viel positiver Energie ausgestattet bin und immer fest daran glaube, dass meine Vision und Idee der künstlerischen Musikvermittlung aufgehen wird… dass ich frei und kreativ arbeiten kann!

Wie war es für Sie, von der Heimat aus Kärnten wegzugehen und in der Großstadt neu anzufangen?

Bei meinem Umzug nach Wien damals bin ich dem Herzen gefolgt, der Liebe sozusagen. Ich wollte der Großstadt eine Chance gegeben und bin ein ganzes Jahr zwischen Klagenfurt und Wien gependelt, da mein Masterstudium noch nicht abgeschlossen war. Um in Wien ganz anzukommen, musste ich jedoch meine Zelte in Kärnten abbrechen… das war für mich ein Meilenstein: Lernen loszulassen! Jedoch mit der Idee, mit beruflichen Projekten nach Kärnten zurückkommen zu können.  Ob Kärnten oder Wien, ein funktionierendes Netzwerk ist in der Selbstständigkeit natürlich wichtig. Viele Kontakte aus meinem heutigen beruflichen Netzwerk sind tatsächlich in der Studienzeit entstanden. Unsere Professor:innen haben uns damals eingeprägt, stets miteinander zu arbeiten und Kontakte gut zu pflegen – das habe ich beherzigt, das war für mich der Schlüssel.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag heute aus, Frau Planton?

Jeder Tag ist anders. Mein Kalender ist sehr voll und bunt, manchmal würde ich mir fast mehr Routine wünschen. Aber dann stellt sich Routine ein und dann wird mir schnell fad. Im Creative Cluster in Wien ist meine Basis – ein kreativer Raum, in dem 120 Künstler:innen in einem Haus zusammenkommen. Dort verfasse ich am Schreibtisch Texte und Regiebücher, konzipiere meine Projekte, schreibe Noten am Klavier oder denke mir Geschichten aus. Dort stehen auch meine Requisiten und Instrumente und so anderes buntes Zeug herum. Andererseits bin ich auf der Bühne als Musikerin, Sängerin und Tänzerin tätig oder moderiere Veranstaltungen. Für Konzerthäuser, Schulklassen oder Kindergärten leite ich Musik-Workshops, wo es darum geht, Musik interaktiv erfahrbar zu machen. Mein Wissen und meine Erfahrungen gebe ich in Form von Coachings weiter, inzwischen auch als Gastvortragende an Universitäten in Österreich – seit diesem März bin ich fixe Lehrende an der Gustav Mahler Privatuniversität für Musik in den Fächern „Musikvermittlung“ und „Kulturmanagement“, das freut mich auch sehr.

Sie setzen sich im Vorstand der Interessensgemeinschaft Musikvermittlung Österreich auch für die Interessen von Musikvermittler:innen in der Musik gegenüber Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit und Medien ein. Welche Herausforderungen gibt es in der Branche? Was brauchen Musikvermittler:innen?

Die Interessensgemeinschaft Musikvermittlung Österreich ist aus der Notwendigkeit entstanden, mehr Unterstützung hinsichtlich der beruflichen Rahmenbedingungen für Musikvermittler:innen zu erhalten und die Sichtbarkeit des Berufsbildes zu erhöhen. Es geht zum Beispiel um eine bessere Bezahlung, einen möglichen Kollektivvertrag oder das aktive Mitgestalten in der Kulturpolitik. Die meisten in der Branche sind Frauen zwischen 25 und 35 Jahre und hören nach ca. fünf Jahren in der Musikvermittlung auf, weil sie ausgebrannt sind, schlichtweg keine Aufstiegsmöglichkeiten haben oder es keine Teilzeitanstellungen gibt, was vor allem für Frauen mit Kindern ein großes Thema ist. Das ist eine prekäre Situation, die wir ändern wollen und müssen!

Was würden Sie heutigen Musikstudierenden mit auf den Weg geben?

Dass sie die Augen und Ohren offenhalten und das im Studium Gesagte und Gelehrte immer auch für sich selbst prüfen und reflektieren sollen. Die Studienzeit ist eine wunderbare Zeit, um kritisch zu sich und anderen zu sein. Daher finde ich, dass die zentralen Fragen des  unbedingt diskutiert werden müssen: Warum ist Kunst und Kultur wichtig? Wer ist eigentlich unser Publikum? Welche neuen Formate braucht es um Menschen für Kultur zu gewinnen? Es reicht leider nicht mehr aus, nur ein Instrument gut zu spielen, da braucht es mehr – verschiedene Standbeine, den Blick über den Tellerrand und vor allem eine innere Haltung. Die Musik- und Kulturvermittlung öffnet den Raum für diese Themen.

Frau Planton, Ihr Leben dreht sich um Musik. Würden Sie uns abschließend verraten, welche Musik Sie zuhause am liebsten hören?

Ich höre täglich Musik, Musik ist für mich omnipräsent. Welche Musik das ist, hängt stark vom Setting ab – beim Zugfahren läuft zum Beispiel eine andere Musik als zuhause oder beim Laufen, oder wenn ich einen Text verfasse. Ich höre Querbeet von klassischer Musik, über Punk, Singer-Songwriter-Musik bis hin zu Musical oder Jazz – da kann und will ich mich gar nicht festlegen.

Wordrap mit… Esther Planton

  • Aus Ihrer Studienzeit besitzen Sie nochdie Rolle vom Festakt.
  • Ein:e besondere:r Musiker:in für mich istLeonard Bernstein.
  • Mein Lieblingsort in Kärnten istder Weißensee.
  • Im Karriereweg inspiriert hat mich (wer)? Viele unterschiedliche Menschen, besonders aber Constanze Wimmer.
  • Ein unvergesslicher Moment an der Universität KlagenfurtIndia meets Austria – die Party schlechthin.
  • Wäre ich nicht Musikvermittlerin geworden wäre ich? Schauspielerin.
  • Selbstständig zu sein bedeutetFreiheit.
  • Mein Studium zusammenfassen würde ich mit drei Worteninspirierend, wegbereitend, perfekte Kombination.
  • Was ich jetzt als Nächstes mache: In Millstatt ein Herzensprojekt verwirklichen.