Monetik statt Ethik im Gesundheitssystem?
Arleta Franczukowska hat sich in ihrer Dissertation mit Korruption im österreichischen Gesundheitssystem beschäftigt. Das Ergebnis in Form einer Analyse der Erscheinungsformen, Ursachen und Auswirkungen von Korruption und dem daraus abgeleiteten zukünftigen Handlungs- und Forschungsbedarf liegt nun vor. Für das Doktorandenportrait hat Arleta Franczukowska ausgeführt, was getan werden kann, um der Korruption im Gesundheitssystem zukünftig entgegen zu wirken.
Wer hat die Primaria nicht schon einmal in der Privatordination aufgesucht, um schneller zu einem Operationstermin zu kommen? Und wer hat der Sprechstundenhilfe des Hausarztes nicht schon einmal ein Glas selbstgemachter Marmelade vorbei gebracht, um zukünftig ein wenig vorgereiht zu werden, wenn das Wartezimmer voll ist? Zwar mögen solche Maßnahmen auf den ersten Blick harmlos erscheinen, für die Betriebswirtin Arleta Franczukowska bedeuten sie allerdings: „Man erlangt einen Vorteil zum Nachteil eines anderen“. Wissenschaftlich definiert wird der Begriff Korruption als der Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen. „Dabei handelt es sich häufig um eine Win-Win-Loose Situation: Zwei gewinnen zu Lasten eines unbeteiligten Dritten.“ Obwohl das Gesundheitssystem aufgrund seiner Besonderheiten – enormer Geldmittelfluss in komplexen Finanzströmen, angebotsinduzierte Nachfrage, Intransparenz der Versorgungsprozesse, Informationsasymmetrien zwischen Patienten und Leistungserbringern – weltweit zu den korruptionsanfälligsten Bereichen gezählt wird, ist das Problembewusstsein für die Korruptionsthematik in Österreich noch vergleichsweise wenig ausgeprägt. Korruption im österreichischen Gesundheitssystem wird erst seit rund 10 Jahren intensiver diskutiert, die Thematik wurde insbesondere seitens des österreichischen Vereins zur Korruptionsbekämpfung „Transparency International – Austrian Chapter“ angeregt. Mögliche Erscheinungsformen von Korruption im Gesundheitssystem schließen unter anderem die Umgehung von Wartelisten bzw. ungerechtfertigte Vorreihungen, die Einflussnahme der (pharmazeutischen) Industrie auf MedizinerInnen und PatientInnen, informelle Zahlungen zur Erlangung einer „besseren“ oder „bevorzugten“ Behandlung („Kuvertmedizin“), den Missbrauch persönlicher Verbindungen und (höherrangiger) Positionen (Favoritismus, Drehtürkorruption), Abrechnungsbetrug, Überversorgung oder den Missbrauch von Nebenbeschäftigungen (z.B. Umleitung von PatientInnen in die eigene Privatordination) ein.
Wie groß genau der dadurch entstehende Schaden für das Gesundheitssystem ist, weiß man kaum. Franczukowska berichtet dazu: „International wird geschätzt, dass ca. 3 bis 10 Prozent der Gesundheitsbudgets durch Korruption verloren gehen. Überträgt man diese Prozentwerte auf die österreichischen Gesundheitsausgaben, wären dies 1 bis 3,7 Milliarden Euro. Eine aktuelle Studie hat vorsichtig 80 bis 130 Millionen Euro geschätzt; möge die Zahl auch geringer sein, es handelt sich dennoch um sehr viel Geld, das andernorts fehlt.“ Für Österreich gibt es kaum empirische Studien zur diesbezüglichen Thematik; Franczukowska ist mit ihrer Forschungsfrage also auf ein noch unbeackertes Feld gestoßen. Sie hat im Rahmen ihrer Dissertation eine explorative qualitative Studie durchgeführt und Experteninterviews mit PatientenanwältInnen, VertreterInnen der Krankenkassen, des Krankenanstaltenwesens und der ärztlichen Selbstverwaltung (Ärztekammer), aktiv tätigen Health Professionals (MedizinerInnen), GesundheitswissenschaftlerInnen, JournalistInnen, GesundheitspolitikerInnen, VertreterInnen der pharmazeutischen Industrie und GesundheitsökonomInnen geführt.
Anhand des Einflusses der pharmazeutischen Industrie lässt sich auch das komplexe Zusammenspiel im Gesundheitssystem veranschaulichen: Ärztinnen und Ärzte sind zur Fortbildung gesetzlich verpflichtet. Die vergleichsweise hohen Kosten hierfür müssten sie aber selbst tragen, was für, vor allem junge SpitalsärztInnen, eine große Belastung darstellt. Die pharmazeutische Industrie sponsert größtenteils die Kosten für ärztliche Fortbildungsveranstaltungen, im Rahmen derer natürlich nicht nur industrielle Produkte vorgestellt werden, sondern gelegentlich auch Einfluss auf die Fortbildungsinhalte genommen wird. Arleta Franczukowska berichtet dazu: „Mehrere Studien auf internationaler Ebene zeigen, dass die Bemühungen der Pharmaindustrie fruchten. Solche Fortbildungen werden oftmals in eine produktgetriebene Richtung gelenkt und wirken sich letztlich auf die Verschreibungspraxis aus.“ Nicht immer muss den Patienten und Patientinnen dadurch ein direkter Schaden in gesundheitlicher oder finanzieller Hinsicht entstehen, sehr wohl aber den Krankenkassen, denen häufig die Kosten für Medikamente umgehängt werden, die es mit gleichen Wirkstoffen auch günstiger gäbe. Ähnlich agiert die pharmazeutische Industrie auch gegenüber Selbsthilfegruppen: Engagiert sie sich dort, kann sie Patientinnen und Patienten für ihre Produkte gewinnen und falsche, unnötige oder teure Patientenbegehrlichkeiten wecken, die dann von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten eingefordert werden. Nun gibt es zwar seit Juli 2017 eine öffentliche, zentrale Datenbank („Euros für Ärzte“), über die die offen gelegten Zuwendungen der Industrie an Ärztinnen und Ärzte eingesehen werden können, Franczukowska fügt aber einschränkend hinzu: „Meist werden diese Daten in aggregierter Form offen gelegt, da oftmals die aus datenschutzrechtlichen Gründen erforderliche Zustimmungserklärung der MedizinerInnen für eine namentliche Offenlegung nicht vorliegt. Nicht einmal ein Drittel der Ärztinnen und Ärzte wird namentlich genannt. In anderen Ländern geht man damit viel offener um.“
Was könne man nun dagegen tun? Arleta Franczukowska sieht in der Aufklärung und Bewusstseinsschaffung gegenüber der Korruptionsthematik sowie in der Transparenzschaffung einen der wichtigsten Ansatzpunkte: „Sowohl PatientInnen als auch ÄrztInnen müssen wissen, was korrupt ist und was nicht. Sie müssen auch mehr über den Schaden für das Gesundheitssystem aufgeklärt werden. So mancher hält sich für unbeeinflusst, blickt aber jemand von außen auf ihn, schätzt er ihn durchaus manipuliert ein.“ Für Franczukowska liegt das Hauptproblem für Korruption im Gesundheitssystem vor allem auf der Makroebene: „Es gibt zu viele fehlgeleitete finanzielle Anreizmechanismen. Ziehen wir die ärztliche Fortbildung heran, deren Kosten seitens der öffentlichen Hand nicht übernommen werden, wodurch MedizinerInnen regelrecht in die finanzielle Abhängigkeit von der Industrie und somit deren willkürliche Einflussnahme gedrängt werden. Wenn wir weiters auf die Sonderklassen in den Spitälern blicken, dürften diese eigentlich nur Vorteile in Bezug auf die Service- und Hotelkomponente bringen, tatsächlich manifestiert sich hier aber eine Zwei- oder Mehr-Klassen-Medizin, indem Sonderklassepatienten aus finanziellen Gründen (zusätzliche Einnahmen für MedizinerInnen aus Sonderklassegebühren) häufig ‚bevorzugt‘ oder ‚im Übermaße‘ behandelt werden. Mit der Crux: Nicht immer profitiert man von der Zusatzversicherung, weil man mitunter auch überversorgt und damit auch fehlversorgt werden kann.“ Auch die Auslastung der MRT-Zentren gelte es für Franczukowska zu hinterfragen: „Bisher gab es eine Kostendeckelung der Krankenkassen. Alle MRT-Termine, die nicht mehr durch die Versicherungen getragen waren, wurden privat und somit auf Kosten der Patientinnen und Patienten vergeben. Nun wird diese Deckelung bald abgeschafft und man wird sehen, wie sich die Lage weiterentwickelt. Ich frage mich aber auch: Braucht wirklich jeder Patient, der sich ein MRT wünscht, eines? Reiche es nicht aus, wenn wir „nur“ das Richtige für die richtigen Patientinnen und Patienten zur Verfügung stellen würden?“ So gebe es für sie hier einen Bedarf für einen einheitlichen Kriterienkatalog, der auch Ärztinnen und Ärzte (Rechts-)Sicherheit bei der Überweisung oder Nicht-Überweisung bietet. Abgesehen von der Beseitigung fehlgeleiteter finanzieller Anreizmechanismen wären zukünftig auch eine Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmechanismen sowie Änderungen auf juristischer Ebene (u.a. Schaffung eines eigenständigen Antikorruptionsgesetzes im Gesundheitssystem und eines Whistleblower-Schutzgesetzes) für eine nachhaltige Korruptionseindämmung vonnöten. Ebenso gehöre die Gesundheitskompetenz der PatientInnen („Health Literacy“) und die wissenschaftliche Kompetenz der MedizinerInnen zukünftig gestärkt, um deren Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit von Dritten und somit deren Korruptionsanfälligkeit zu reduzieren.
Arleta Franczukowska hat sich, so erzählt sie, schon früh für Korruption interessiert. Nach ihrem Studium der Angewandten Betriebswirtschaft in Klagenfurt hat sie sich gleich in ihre Dissertation gestürzt und zwei Jahre intensiv zu Korruption in Indonesien recherchiert. Aufgrund eines Personalwechsels in der Abteilung stieg sie dann auf das Thema „Korruption im Gesundheitssystem“ um. Arleta Franczukowska, die auch über das Institut für Krankenhausorganisation der Karl Landsteiner Gesellschaft in ein Forschungsprojekt eingebunden ist, möchte weiter zu dem Thema wissenschaftlich arbeiten. Die Defensio steht in den nächsten Wochen an.
Auf ein paar Worte mit … Arleta Franczukowska
Was würden Sie derzeit machen, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin wären?
Meine Flugangst überwinden und die Welt bereisen.
Verstehen Ihre Eltern, woran Sie arbeiten?
Ja, zumindest im Groben.
Was machen Sie im Büro morgens als erstes?
Kaffee aufsetzen und meine KollegInnen begrüßen.
Machen Sie richtig Urlaub? Ohne an die Arbeit zu denken?
Daran bin ich schon mehrmals erfolgreich gescheitert.
Was bringt Sie in Rage?
Ungerechtigkeit.
Und was beruhigt Sie?
Musik.
Wer ist für Sie die größte WissenschaftlerIn in der Geschichte und warum?
Marie Curie … und das nicht, weil sie auch polnische Wurzeln hat oder mehrfache Nobelpreisträgerin ist, sondern weil sie unaufhaltsam ihre Ziele verfolgt hat.
Wofür schämen Sie sich?
Scham ist nur die Angst vor der eigenen Unvollkommenheit.
Wovor fürchten Sie sich?
Vor Spinnen und schwindelerregenden Höhen.
Worauf freuen Sie sich?
Auf die Zukunft.