Mit „self-awareness“ die Welt erkunden
Bernhard Rinner, Professor für Pervasive Systems am Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme, beschreibt die Faszination und die Herausforderungen eines hochaktuellen interdisziplinären Forschungsfeldes.
Selbstfahrende Autos, vernetzte Geräte im Internet der Dinge, Softwareprogramme wie „bots“ und der Rover Perseverance, der derzeit auf Mars den Jezero-Krater erkundet – all dies sind Systeme, die Informationen über ihren Zustand erfassen und daraus autonom ihr (zukünftiges) Verhalten ableiten. Wie biologische Systeme nutzen sie immer häufiger die Fähigkeiten „Propriozeption“ und „self-awareness“, um die Eigenwahrnehmung und die Verhaltensplanung zu verbessern. Einst in der Kognitionswissenschaft entwickelt, um die Funktionsweise biologischer Prozesse darzustellen, wurden diese Ideen nun auf technische Systeme übertragen.
So untersuchten Rinner und sein Team bereits 2010 im EU-Projekt EPiCS gemeinsam mit acht europäischen Partnern wie Computersysteme, die sich an ständige Änderungen anpassen müssen, mit „self-awareness“ realisiert werden können.
Das Prinzip lässt sich am Beispiel einer Drohne veranschaulichen: Über interne Sensoren (z.B. Batteriestand- oder Lagesensor) und externe Sensoren (z.B. Kamera- oder Lasersensor) sammelt die Drohne Daten und vergleicht diese mit gespeicherten Modellen, die das aktuelle Wissen über den Flugroboter in strukturierter Form beschreiben. Die Drohne vergleicht das mit den Sensoren beobachtete Verhalten mit dem durch die Modelle vorhergesagten Verhalten und kann Abweichungen erkennen. Liegt eine Diskrepanz vor, initiiert die „self-awareness“ der Drohne einen Lernprozess, der das aktuelle – noch nicht bekannte – Verhalten modelliert. Im Laufe der Zeit verfeinert die Drohne die bestehenden Modelle bzw. generiert neue Modelle.
Autonome Systeme müssen zeitgleich mehrere komplexe Aufgaben bewältigen. Beispielsweise muss eine Drohne über unbekanntem Terrain navigieren, Hindernisse erkennen und aufgenommene Sensordaten analysieren. Für jede Aufgabe werden eigene Modelle generiert, überprüft und verfeinert. Damit wächst die Komplexität und Anzahl der Modelle sowie das Wissen der Drohne über ihre Aufgaben und ihre Umgebung stetig an. Dafür stehen bewährte Verfahren aus dem Bereich des maschinellen Lernens zur Verfügung, die jedoch sehr rechenintensiv sind. An ressourcenschonenden Lernverfahren und der Reduktion der Modellierungskomplexität wird aktuell intensiv geforscht.
Eine weitere spannende Fragestellung ergibt sich aus der Anwendung dieses Konzepts auf Gruppen, Schwärme oder Netzwerke. Im Zusammenhang mit „collective self-awareness“ wird im Klagenfurter Forschungsschwerpunkt „Selbstorganisierende Systeme“ untersucht, wie einzelne Agenten direkt miteinander interagieren und sich daraus selbstständig ein Gruppen- oder Schwarmverhalten entwickelt.
Autonome Systeme sind für unterschiedliche Disziplinen von Interesse. So werden Entscheidungsprozesse in technischen, biologischen, wirtschaftlichen und sozialen Systemen intensiv erforscht, und durch eine disziplinenübergreifende Zusammenarbeit wird häufig wissenschaftliches Neuland betreten. Im Doktoratskolleg DECIDE wird das Entscheidungsverhalten im digitalen Zeitalter aus wirtschaftswissenschaftlicher, technischer und psychologischer Perspektive untersucht. Die Roboterethik befasst sich mit Moral und Verantwortung in Bezug auf selbstständig agierende Maschinen. Geisteswissenschaften wie die Soziologie beschäftigen sich zunehmend mit der Interaktion zwischen Mensch und autonomem System. Eine Herausforderung für Mensch und Maschine, da die zugrundeliegenden Entscheidungsprozesse immer komplexer und für den „anderen“ schwieriger vorauszusehen sind.
für ad astra: Karen Meehan