Mit einem Like die Welt retten?

Regenbogenfahnen und Friedenstauben auf den Profilbildern und eine Online-Kerze gegen Rassismus anzünden: Soziales Engagement geht auf den Social-Media-Kanälen leicht von der Hand. Wir haben mit der Kommunikationswissenschaftlerin Christina Peter darüber gesprochen, welche Rolle die Netzwerke für Bewegungen wie Fridays for Future oder #metoo spielen.

Als im Jahr 2010 der Arabische Frühling mit einer Reihe von Protesten und Aufständen in Erscheinung trat, meinte man, die Social Media könnten demokratiepolitisch neue Möglichkeiten für bisher Ungehörte bieten. Hat sich dies bestätigt?
Beim Arabischen Frühling boten die Social-Media-Kanäle eine Möglichkeit, an Bilder und Augenzeugenberichte aus der Region zu kommen. Für viele waren Social Media damals auch eine Möglichkeit, um sich vor Ort für die Demonstrationen zu vernetzen. Ähnliches haben wir bisher auch im Ukraine-Krieg gesehen, wenngleich hier auch die Kehrseite sichtbar wurde: Falschnachrichten. Die Informationen kommen in aufgewühlten Situationen wie diesen schnell, und sie kommen von nichtprofessionellen Stellen. Für den Nutzer oder die Nutzerin wird schnell unklar, was nun real und was gefälscht ist. Ein Beispiel für die hohe Professionalität der Deep Fakes waren die falschen Klitschko-Anrufe bei österreichischen und deutschen Bürgermeister*innen.

Kann heute jede*r mit jedem Anliegen auf Social Media Aufmerksamkeit gewinnen und eine Bewegung starten?
Ja, am Anfang stand wohl die Hoffnung, dass nun alle Marginalisierten eine Stimme haben könnten. Letztlich ist die Auswahl derjenigen, die diese Stimme erheben, aber eingeschränkt. Es muss der Zugang vorhanden sein, und es braucht Geschick, um Gehör zu finden. Wir beobachten aber eine Diversifizierung an Themen, die dann auch außerhalb der Social-Media-Plattformen Aufmerksamkeit bekommen.

Bisher waren klassische Medien Gatekeeper. Wer an ihnen nicht vorbeikam, erreichte keine große Öffentlichkeit. Bei Social Media ist das anders?
Ja, klassische Medien funktionieren nach klar definierten Kriterien, sogenannten Nachrichtenfaktoren: Relevanz, Schwere eines Ereignisses, Aktualität, Prominenz und so weiter. Es wird am Anfang viel berichtet, dann aber relativ rasch nicht mehr. Bewegungen wie Fridays for Future gelingt es, bestimmte Themen auch außerhalb der Medien konstant im Gespräch zu halten und damit auch immer wieder mit Aktionen und Veranstaltungen Rückkoppelungen in die Zeitungen, ins Fernsehen oder ins Radio zu erzeugen.

Wer sind diejenigen, die Social Media aktiv nutzen und dort für ihre Anliegen lautstark eintreten?
Wir wissen, dass die Lauten typischerweise eher männlich und extrovertiert sind und tendenziell eher eine extreme politische Einstellung haben. Die große Mitte äußert sich weniger. Bei Bewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter sehen wir, dass sich diejenigen miteinander vernetzen, die ohnehin schon überzeugt sind. Das funktioniert sehr gut.

Haben diese Bewegungen auch eine Chance, realpolitisch etwas zu verändern?
Ja! Das beste Beispiel dafür ist für mich Fridays for Future. Die Bewegung hat meiner Wahrnehmung nach auch einen Anteil daran, dass die Politik jetzt verstärkt die Klimakatastrophe in den Blick nimmt.

Gibt es auch andere Beispiele?
Ich glaube, dass die Politik oft nicht gut einschätzen kann, wie ein Stimmungsbild auf Social Media interpretiert werden muss. Nehmen wir als Beispiel die Corona-Maßnahmen. Im Frühjahr 2021  argumentierte die hiesige Politik damit, dass die Bevölkerung die Maßnahmen nicht mehr mittragen würde. Sichtbar wäre das beispielsweise durch die aufgebrachten Kommentare auf Facebook oder Twitter. Dabei wird übersehen, dass die Gegner*innen auf diesen Kanälen oft besonders laut sind, aber zahlenmäßig gar nicht so viele sind. Alle Umfragen haben  damals gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter den Maßnahmen steht. Social Media hatten also für ein Zerrbild gesorgt, das Auswirkungen auf die Politik hatte.

Was ist das Besondere an der Online-Demonstrationskultur?
Online demonstriert es sich recht bequem: Man klickt auf ‚Like‘, teilt einen Beitrag oder unterschreibt mit wenigen Klicks eine Petition. Wir nennen das slacktivism. Man kann sich auf diesem
Weg ohne Anstrengung für eine Sache aussprechen. Die Gefahr ist dabei: Man pinnt sich sehr schnell eine Friedenstaube ins Profilbild; letztlich brauchen wir als Gesellschaft aber Menschen, die sich mühevoll um Flüchtlinge kümmern oder spenden. Viele haben aber den Eindruck, mit dem Klick ihren Beitrag schon geleistet zu haben. Wenn wir auf den letzten G7-Gipfel in München blicken, erkennen wir: 20.000 haben sich online für eine Demonstration angemeldet, tatsächlich auf die Straße gingen aber nur 5.000 Menschen.

Kann man auf Social Media emotionaler kommunizieren als über andere Kanäle?
Grundsätzlich sehen wir, dass auch im Journalismus immer mehr Emotionalität einzieht. Eine Reportage ist heute ohne die Emotionen, die mit der Story eines Einzelfalls einhergehen, kaum mehr vorstellbar. Online ist aber der Augenzeugencharakter stärker ausgeprägt. Ich kann sagen: Mir ist dies oder jenes passiert. Wenn das viele tun und so Massen an Einzelberichten sichtbar werden, ist so etwas wie #metoo nicht mehr auszubremsen. In dem Fall ist es auch gut, dass es kein Gatekeeping durch Medien gibt, dass jede und jeder seine Stimme erheben kann. Andernorts da, wo Falschnachrichten verbreitet werden, haben wir ein Riesenproblem damit, dass niemand ein Auge auf den Realitätsgehalt der Geschichten hat.

Kann man als Einzelne*r eine Bewegung bewusst planen und umsetzen?
Ja, das kann gelingen, wie wir bei der Querdenkerszene sehen. Auch hinter Verschwörungstheorien stehen oft Einzelpersonen, die diese entwickelt haben und bewusst – durchaus mit großem Geschick – verbreiten. Nehmen wir als Beispiel ‚Birds are not real‘. Die Anhänger*innen gehen davon aus, dass Vögel nicht mehr existieren. Laut ihnen wurden sie durch Drohnen ausgetauscht, die uns überwachen. Die Regierungen mussten nun die Pandemie erfinden, weil den Drohnen die Energie ausging und daher die Batterien auszutauschen waren. Deshalb gab es Lockdowns, in denen wir zuhause waren. Diese Verschwörungserzählung wurde als Gag von einer Person ausgelöst und hat eine große Reichweite erreicht, wenngleich die meisten wohl den satirischen Charakter durchschauen. Es zeigt aber doch, wie leicht man im Netz für jeden Schmarrn Gleichgesinnte finden kann.

Man könnte ja auch sagen, die Geschichte hat einen gewissen Unterhaltungsfaktor.
Was zuerst lustig anmutet, kann aber leider gefährliche Konsequenzen haben. Unsere Demokratie braucht valide Informationen, die uns allen zur Verfügung stehen, und die wir auch als Fakten anerkennen. Wenn wir aber ins Postfaktische abgleiten, in dem alles Meinung ist und nichts mehr Information, ist das demokratiezersetzend. Besonders in unsicheren Zeiten liegt darin eine große Gefahr.

Wenn wir für unsere Anliegen die Social-Media-Kanäle nutzen, bewegen wir uns auf einer Infrastruktur, die in den Händen von US-amerikanischen, marktorientierten Unternehmen liegt.
Es ist unbestreitbar so: Viele dieser Aktionen, die sich auch gegen den Kapitalismus richten, nutzen die kapitalistisch ausgerichteten Social-Media-Kanäle. Es gibt zwar immer wieder lokale Initiativen, hiesige Kanäle aufzubauen. Der Mensch ist aber bequem; das sehen wir auch an den bescheidenen Nutzerzahlen der fairen Suchmaschinen. Letztlich landen wir immer wieder bei Google.

Inwiefern spielt dies eine Rolle für diese Bewegungen?
Ich glaube nicht, dass mehr Menschen am Diskurs teilnehmen würden, wenn der Staat ein soziales Netzwerk betreiben würde. Betrachten wir dies aber auf einer demokratiepolitischen Ebene, kann das Thema größere Implikationen haben. Ich habe als Staatsbürgerin kein Recht auf einen Account, das heißt, ich könnte vom Diskurs auch ausgeschlossen werden, wenn dies vom Unternehmen entschieden wird. Noch problematischer sehe ich, dass diese Plattformen bis jetzt nicht hinreichend gegen Falschinformationen und Hate Speech vorgehen. Wir beobachten, dass Facebook, YouTube und Co. auch lieber Strafzahlungen in Kauf nehmen, als an schlagkräftigen Instrumenten dagegen zu arbeiten.

In welche Richtung werden sich Social Media Ihrer Meinung nach entwickeln?
Ich denke, dass es eine noch stärkere Ausdifferenzierung geben wird. Ursprünglich war Facebook ja für alle da. Heute ist Facebook die Plattform der ‚Älteren‘. Hinzu gekommen sind Instagram und TikTok als Plattformen für die Jungen, die stärker auf den Wohlfühlfaktor setzen und weniger mit Anfeindungen und Hass konfrontiert sind als zum Beispiel Diskussionsnetzwerke wie Twitter. Wir sehen auf diesen Feelgood-Plattformen aber die Problematik des positivity bias. Dort ist alles lustig und schön, jede*r ständig gut gelaunt und auf Urlaub, Sport treibend oder vor einem guten Essen sitzend. Auch das macht etwas mit uns. Auf Twitter diskutiert die Elite über Politik, Medien und Gesellschaft. Ich glaube, dass es in diesem Sinne immer stärker generationsspezifische Angebote geben wird.

Auf TikTok und Instagram dominieren Bilder. Kann man – fast ohne Text – überhaupt ernste Themen platzieren?
Wir haben kürzlich Influencer*innen dazu interviewt. Für sie ist Instagram noch immer die wichtigste Plattform für das Aufbauen einer Gemeinschaft: Hier macht man Umfragen, man kommuniziert mit seinen Follower*innen und veröffentlicht auch einzelne Nachrichten. TikTok verfügt über den derzeit am schnellsten lernenden Algorithmus. Die Plattform funktioniert über Humor und arbeitet rein mit der Aufmerksamkeitslogik. Für die Influencer*innen ist TikTok hilfreich, weil man Informationen weit streuen kann und man so schnell zu vielen Klicks kommt. Aber es gibt auf TikTok auch richtig gute Nachrichtenangebote, die sich an eine junge Zielgruppe richten.

Wenn das Angebot ausdifferenzierter wird, wird es dann auch mehr Mark Zuckerbergs auf diesem Markt geben?
Ich glaube, dass in dem Feld auch verstärkt Blockchains eine Rolle spielen werden. Die zentralen Player könnten so zukünftig vielleicht stärker in den Hintergrund rücken. An ihre Stelle treten Datenbanken, in denen die Verantwortung und Aufgaben auf sehr, sehr viele verteilt sind. Das wäre auch eine Chance, die Netzwerke demokratischer zu organisieren. Aber ob das so kommt, bleibt abzuwarten.

Werden wir für Social Media auch bezahlen?
Derzeit sind die Kanäle für uns zwar auf den ersten Blick „kostenlos“, in Wirklichkeit bezahlen wir aber mit unseren Daten. Das finden die meisten Nutzer*innen auch in Ordnung, weil sie keine Nachteile sehen, selbst wenn sie personalisierte Werbung angezeigt bekommen. Ich glaube, dass es einen sichtbaren Nachteil braucht, damit wir bereit sind, woanders hinzugehen und dort auch Bezahlmodelle zu akzeptieren. Wir sehen bei den Paywalls der klassischen Medien, dass immer weniger Menschen bereit sind, die Kreditkarte zu zücken.

für ad astra: Romy Müller

Zur Person



Christina Peter ist seit Oktober 2021 als Universitätsprofessorin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft tätig. Sie studierte Kommunikationswissenschaft und Politische Wissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2009 bis 2015 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München, wo sie 2014 promovierte. Nach ihrer Promotion war sie Assistenzprofessorin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München. Gastprofessuren führten sie an die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (2017-2018) und an die Universität Wien (2018).
Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Digitalisierung und digitale Kommunikation, politische Kommunikation sowie Medienpsychologie. In ihren Forschungen widmet sie sich der Nutzung sozialer Medien und deren Wirkung insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene, der Verbreitung und Widerlegung von Falschinformationen sowie Hass und Anfeindungen im Netz.