Mehr digitale medizinische Angebote
In der aktuellen Coronavirus-Krise verlegen wir viele Bereiche des öffentlichen Lebens in die digitale Sphäre. Kyra Borchhardt ist habilitierte Fachärztin für Innere Medizin und arbeitet aktuell – angebunden ans Institut für Innovationsmanagement und Unternehmensgründung – an einer Plattform, die eine videounterstützte Begegnung zwischen Ärzteschaft und Patient*in ermöglicht. Wir haben mit ihr über die aktuelle Lage und E-Medizin gesprochen.
Dieses Interview wurde am 11. März 2020 geführt und am 12. März 2020 veröffentlicht.
Frau Borchhardt, wie geht es Ihnen dieser Tage?
Österreich hat großes Glück, dass die erste Infektionswelle in Europa nicht hier ausgebrochen ist, sondern in Italien. Unser Gesundheitssystem hatte jetzt schon einige Tage bzw. Wochen Zeit, um sich gut für die kommende Zeit vorzubereiten. Ich bin optimistischer als viele andere, weil wir aktuell noch keinen Toten und nur eine Handvoll ernsthaft Erkrankter haben. Uns fehlen aber auf vielen Ebenen die Vergleichswerte, um die Entwicklung der Infektionen über einen längeren Zeitraum hinweg realistisch einschätzen zu können.
Die Medizin scheint aktuell einem Wandel in der öffentlichen Debatte unterworfen: Während vor wenigen Wochen noch viel Skepsis die Diskussion prägte, blickt momentan die Öffentlichkeit hoffnungsvoll auf die medizinische Forschung. Wie nehmen Sie diesen Wandel wahr?
Ich glaube, dass uns die aktuelle Diskussion vielfach auch später nützlich sein kann, etwa wenn es darum geht, die Impfgegner*innen ins Boot der wissenschaftlich fundierten Medizin zu holen. Wir können anhand des Coronavirus zeigen, dass Vorsichtsmaßnahmen getätigt werden, nicht primär, um die Jungen zu schützen, sondern um gefährdete Teile der Bevölkerung wie Immungeschwächte oder ältere Menschen vor einer Infektion zu bewahren.
Ist unser Gesundheitssystem Ihrer Wahrnehmung nach gut für die Herausforderungen gerüstet?
Wir leben in einem Land mit einem hohen Lebensstandard und die meisten Menschen haben einen guten Immunstatus. Wir haben – noch – freien Zugang zu sämtlichen Gesundheitsleistungen. All das sind gute Voraussetzungen dafür, dass so ein Virus nicht so gut Fuß fassen kann. Eine wichtige Säule ist dabei auch die Primärversorgung. Auch wenn vieles sehr gut läuft, könnte diese Krise aber auch eine Chance sein, um zu fragen: Was könnten wir noch besser machen? Dies betrifft meiner Meinung nach viele Digitalisierungsmöglichkeiten, die es noch zu entwickeln und einzusetzen gibt. Sie könnten einen noch leichteren Zugang zu Gesundheitsleistungen, auch am Land, ermöglichen.
Sie arbeiten an einem Produkt im Bereich E-Health. Was soll die Innovation anbieten können?
Wir erarbeiten eine Plattform, die automatisiert Videosprechstunden mit Patient*innen organisiert, bucht und die gesamte Administration erledigt. Das System lässt sich über Smartphones und Laptops mit Kamera verwenden. Die Patient*innen werden – auch unabhängig von ihrem Aufenthaltsort – mit einer Reihe von vertrauten Ärzt*innen verbunden, die dann freie Sprechstundenslots anbieten können. Das ist auch der besondere Clou der Sache: Wir wollen keine anonymen Callcenter, die für medizinische Beratung oft nicht hinreichend geeignet sind, sondern eine Kommunikationsplattform mit vertrauten Personen.
Unabhängig von Ihrer Innovation: Bereitet das Gesundheitssystem hierzulande mehr digitale Angebote vor?
Ja, als Beispiel könnte man die elektronischen Rezepte nennen, die derzeit gelauncht werden. So wäre es nicht mehr nötig, sich selbst oder Verwandte in überfüllte Praxen zu schleppen, sondern – zum Beispiel auch über Videokonsultation empfohlene – Medikamente könnten aus der Ferne verordnet werden. Diese Verschreibungen können direkt an Apotheken weitergegeben oder auf das Smartphone des Patienten bzw. der Patientin übertragen werden. All das sind Maßnahmen, um die Ansteckungsgefahr in den Ordinationen zu verringern.
Zur Person
Priv.-Doz. Dr. med. Kyra Borchhardt ist Privatdozentin und Fachärztin für Innere Medizin. Ihr medizinisches Forschungsgebiet sind Kalzium- und Phosphatstoffwechselstörungen bei Nierenkranken. Borchhardt ist auch Entrepreneurin im Bereich E-Health und Telemedizin. Aktuell arbeitet sie im vom Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds (KWF) geförderten Projekt „Panakaia – der Online Arztbesuch“ am Institut für Innovationsmanagement und Unternehmensgründung.