Medien in der Coronakrise: Auf dem Weg von der Verlautbarung zum kritischen Blick
Die Medien, darunter auch die öffentlich-rechtlichen Sender, haben turbulente Wochen hinter sich. Larissa Krainer, außerordentliche Professorin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, beobachtet momentan einen Wandel in der Berichterstattung. So werde zunehmend weniger Verlautbarungsjournalismus und wieder mehr kritischer Journalismus betrieben.
Das Interview wurde am 7. Mai 2020 geführt und am 13. Mai 2020 veröffentlicht.
Mitte März saßen wir fast jeden Vormittag vor dem Fernseher und sahen die Pressekonferenzen der Regierung in der ORF-Liveübertragung. Man hatte den Eindruck, der ORF würde direkt die Plattform für die Regierungskommunikation bereitstellen. Wie nahmen Sie diese Phase war?
Während einer Krise wie dieser gehört es zur Rolle der Medien, Informationen aus den Regierungskreisen zu verlautbaren, weil das Allgemeinwohl von diesen Informationen abhängig war. Es gehört auch zu den Pflichten der Bürgerinnen und Bürger, in einer akut auftretenden Gefahrensituation wie etwa einem Erdbeben die Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender aufzudrehen.
Ist die Situation nach wie vor gleich akut?
Wir sehen in den letzten Wochen eine deutliche Entwicklung hin zu einem kritischeren Journalismus. Als Beispiel möchte ich den missglückten Ostererlass nennen. Zu diesem Zeitpunkt fragte Armin Wolf in der ZIB2 kritisch nach, wie es möglich sei, fünf haushaltsfremde Personen bei sich zu empfangen, wenn selbige ihren Haushalt für diesen Zweck eigentlich gar nicht verlassen durften. Meiner Wahrnehmung nach hat man rund um diesen Zeitpunkt wieder begonnen, auch aus der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger nachzufragen.
Wie schätzen Sie derzeit die Rolle der Medien ein?
Sie haben zwei Funktionen zu erfüllen: Einerseits müssen sie zentrale Informationen sorgfältig transportieren, andererseits aber auch hinterfragen, wie sinnvoll diese Informationen sind und wie sie auch einer kritischen Beobachtung standhalten können.
Derzeit ist aber eine Unsicherheit allgegenwärtig, das betrifft auch die scheinbare Sicherheit von wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Ja, Virolog*innen stehen derzeit in den Medien hoch im Kurs, gleichzeitig merken wir aber auch, dass diese selbst vor vielen Rätseln stehen und zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Ich denke, dass es in einer so unsicheren Zeit in der Rolle der Medien liegt, möglichst viele Perspektiven einzufangen und auch den wissenschaftlichen Klärungs- und Diskussionsprozess darzustellen. Problematisch finde ich, wenn man nur den einen hat, der vorgibt, die eine Wahrheit zu kennen.
Die YouTube-Kanäle der Allwissenden erfreuen sich momentan aber eines großen Zulaufs.
In den Sozialen Medien kann sich in einer solchen Krise leicht eine Gegenbewegung formieren, die Heilsversprechen propagiert oder die fatalen Auswirkungen des Virus leugnet. Dort werden häufig auch alle möglichen Schuldigen, von den Labors in China bis hin zu Bill Gates, gesucht. Es ist eine wichtige Funktion der Medien, diese Meinungsblasen wahrzunehmen und deren Thesen einzuordnen bzw. einem Faktencheck zu unterziehen. Bei der Erfüllung dieses Auftrags sehe ich beim ORF noch Luft nach oben.
Sind unsere Medien gut genug ausgestattet, um diese vielen Aufgaben zu erfüllen?
Die aktuelle Krise schlägt sich natürlich auch auf die Medien nieder. Viele stecken in gröberen Problemen, Journalist*innen sind in Kurzarbeit und die Anzeigen sind massiv eingebrochen. Die Regierung hat auch Hilfen gewährt, aber damit überproportional den Boulevard bedient. Es fehlen Gelder und häufig wird bei den Jungen gespart, die vielleicht eher dazu prädestiniert wären, die Stimmung in den Sozialen Medien wahrzunehmen und darauf basierend zu recherchieren. Für große, internationale Themen wird es vielleicht auch mehr Rechercheverbünde geben müssen, um Synergien zu nutzen.
Wird uns am Ende der Krise eine wissenschaftsaffine Öffentlichkeit und damit eine bessere Grundlage für Wissenschaftskommunikation bleiben?
Das wäre zumindest eine große Chance. Ich würde hoffen, dass Wissenschaftler*innen derzeit mehr Kontakte mit Journalist*innen knüpfen und auch schnell lernen, wie man im Kontakt mit Medien kommuniziert. Wenn es uns gelingt, Forschende bekannt zu machen und entsprechende Tools an Wissenschaftler*innen zu vermitteln, kann die Wissenschaftskommunikation auch längerfristig von der aktuellen Situation profitieren.
Zur Person
Larissa Krainer ist außerordentliche Professorin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft und vertritt dort das Querschnittsthema „Medienethik“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind darüber hinaus Kommunikationsethik, Interventionsforschung, Wissenschaftstheorie und Methodologie der transdisziplinären Forschung, kulturelle Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitskommunikation. Sie ist Vorsitzende des Senats der Universität Klagenfurt.