„Man darf sich nie von der Stereotypisierung aufhalten lassen“
Lorena Gril absolvierte an der Universität Klagenfurt das Masterstudium Mathematics und erhielt in ihrer jungen Karriere zahlreiche Stipendien und Preise, wie z.B. das Klagenfurt-Stipendium oder den Frauenförderungspreis für Digitalisierung und Innovation. Mit uns spricht die ausgezeichnete Mathematikerin über die Relevanz von Stipendien für Jungakademiker:innen, über Frauen in der Technik und ihr derzeitiges Forschungsprojekt an der Freien Universität Berlin.
Frau Gril, wollten Sie immer schon Mathematikerin werden? Wie kam es, dass Sie sich nach der Matura für ein Studium in Klagenfurt entschieden?
Ich fand es schon in der Schule spannend, Dinge zu beobachten und komplexe Zusammenhänge zu erkennen. Viele Instrumente kannte ich damals noch nicht, aber heute weiß ich, dass das schon Statistik war. In die Welt der Mathematik bin ich über mein Lehramtstudium mit den Fächern „Mathematik“ und „Geografie“ gerutscht. Beim Inskribieren war ich mir noch unsicher, was mich wirklich interessiert. An der Universität Klagenfurt konnte man sich aber gut orientieren, da eine große Vielfalt an Studien angeboten wird. Die Mathe-Kurse haben in meinem Fall rasch überhandgenommen, daher bin ich auf das Bachelorstudium „Technische Mathematik“ umgeschwenkt.
Wie haben Sie Ihre Studienzeit an der Universität Klagenfurt erlebt? Was ist Ihnen besonders gut in Erinnerung geblieben?
Ich liebe die Aula der Universität Klagenfurt! Man trifft dort Leute, kann zusammensitzen, etwas essen oder gemeinsam lernen. Das ist nicht überall so. Auch an den FUNktionenraum, welcher zwischen Nord- und Zentralgebäude liegt und von Mathematikstudierenden als Gruppenraum genutzt werden kann, kann ich mich gut erinnern. Wir gingen dort gemeinsam den Vorlesungsstoff durch oder berechneten Übungsbeispiele – mit anderen Bachelor- und Master-Studierenden oder begleitet von Studienassistent:innen. Dadurch entstand ein Gemeinschaftsgefühl.
Am Institut für Statistik waren Sie auch als Studienassistentin tätig. Wie würden Sie Ihre Tätigkeit beschreiben?
Einerseits lehrreich, weil die Aufgabenbereiche sehr unterschiedlich waren und ich überall viel „mitnehmen“ konnte. Andererseits war die Studienassistenz für mich richtungsweisend, darauf komme ich bei meiner Masterarbeit nochmal zurück. Und ich habe sie sehr flexibel in Erinnerung, da mich meine Professoren die Zeit frei einteilen ließen. Das hat mir gefallen.
Sie haben auch ein Auslandssemester an der Universität Borås absolviert. Warum fiel die Wahl auf Schweden?
Von Schweden habe ich immer Positives gehört und gelesen, insbesondere im Bildungsbereich. Daher wollte ich mir in „live“ ansehen, ob die Skandinavier auch nur mit Wasser kochen. Der Unterricht an der Universität war sehr interaktiv und viel angewandter als bei uns. Beispielsweise wurde in den BWL-Lehrveranstaltungen – ich studierte ja auch Betriebswirtschaft – immer zuerst die Theorie vorgestellt, danach folgten praktische Beispiele und Anwendungen auf Unternehmen oder gesellschaftliche und kulturelle Auswirkungen. Apropos Kultur: In Schweden haben die Menschen auch ein enormes Umweltbewusstsein, weshalb es dort sauberer ist als bei uns in Österreich bzw. in Berlin.
Im Zuge ihres Studiums haben Sie neben dem Digitalisierungsstipendium auch das Klagenfurt-Stipendium erhalten. Wie wichtig sind Förderprogramme für Jungakademiker:innen, wie Sie?
Durch das Klagenfurt-Stipendium hatte ich die Zeit, mich voll und ganz auf das Studium zu konzentrieren. Es war schon eine Erleichterung. Natürlich sind Förderprogramme auch ein Anreiz, gute Leistungen zu erbringen oder, für manche, überhaupt ein Studium abzuschließen – denn sie haben einen verpflichtenden Charakter. Förderprogramme nehmen Studierenden auch finanzielle Sorgen, denn ein Studentenleben kostet Geld und das Leben wird immer teurer. Mir war es beispielsweise eher möglich, teure Literatur für mein Studium zu kaufen.
Ihre Masterarbeit ist in Kooperation mit dem Joanneum Research entstanden und beschäftigt sich mit der Erhöhung der Sicherheit in kollaborativen Arbeitsräumen zwischen Menschen und Robotern in industriellen Anwendungen. Wie kam es dazu?
Durch meine Tätigkeit als Studienassistentin am Institut für Statistik habe ich Prof. Pilz kennengelernt. Dieser war mit dem Joanneum Research in Austausch und fragte mich eines Tages, ob ich Interesse an einer Masterarbeit, einschließlich Praktikum beim Joanneum Research im Lakeside Park hätte. Da habe ich nicht lange nachgedacht. Denn an der Uni lernt man, welche Methoden man auf Daten wie anwendet, aber so richtige Datensätze in der Hand zu haben und größere Projekte zu programmieren ist doch eine andere Liga als Übungsaufgaben zu lösen – wobei mich die Universität darauf gut vorbereitet hat!
Können Sie uns mehr über Ihre Abschlussarbeit erzählen?
Um die Bewegungsdaten zu erhalten, haben wir uns im Labor spezielle Westen, die von Sensoren erkannt werden, angezogen. Mittels Opti-Track-System werden dann Arbeitsabläufe in industriellen Settings erfasst, wie z.B. beim Zusammenbauen von Autokomponenten in einer Fertigungsanlage. Überall wo Menschen und Maschinen zusammenarbeiten, ist der Mensch die größte Unsicherheitsquelle. Dies liegt einerseits daran, dass Menschen Bewegungen nicht exakt wiederholen können und andererseits an „abnormalen“ Bewegungen, wie z.B. das Kratzen am Kopf. Anstelle vom häufig angewandten Machine-Learning-Methoden haben wir uns für den tensorbasierten Regressionsansatz entschieden: Vier Sekunden der Vergangenheit sagen eine Sekunde der Zukunft voraus, also ein prädiktives Modell. Dadurch entstand ein Vorhersagemodell, das gefährliche Kollisionen zwischen Menschen und Robotern prognostizieren kann.
Sie haben für Ihre Abschlussarbeit nicht nur den Roland-Mittermeir-Preis erhalten, sondern wurden heuer im März auch beim Frauenförderungspreis für Digitalisierung und Innovation ausgezeichnet. Gratulation! Was bedeutet es Ihnen, ausgezeichnet zu werden?
Was zählt ist, dass ich das Projekt gerne gemacht habe. Wenn die Arbeit in Form eines Preises auch gewürdigt wird, freut einen das natürlich! Der Moment, wenn das E-Mail oder der Anruf kommt, dass man gewonnen hat, war für mich schon besonderes. Eine kleine Reise mit dem Camper nach Norwegen ist sich glücklicher Weise mit dem Preisgeld auch ausgegangen.
Der Frauenförderungspreis richtet sich an junge Frauen mit herausragendem Talent in Bereichen der Technologie, Digitalisierung und Innovation. Wie lassen sich aus Ihrer Sicht noch mehr junge Frauen für Technik begeistern?
Dies muss schon in der Schule oder im Elternhaus geschehen. In der Regel werden junge Menschen dort gefördert, wo sie Interesse zeigen – mir haben beispielsweise die Fächer Physik, Chemie und Mathematik immer viel Spaß gemacht. Man darf sich dabei nie von der Stereotypisierung, dass Frauen nur „Frauenberufe“ machen sollen, aufhalten lassen. Umgekehrt gilt dies für Männer. Da ist sicher noch viel Kommunikationsarbeit in der Öffentlichkeit erforderlich. Ich glaube, viele denken bei einem Mathe-Studium nur an MINT-Berufe oder stellen sich Mathematiker:innen als introvertierte, eher nerdige Menschen vor. Dabei ist die Welt der Mathematik total kreativ!
Was kann man mit „Mathematik“ alles machen? Wie vielfältig ist Ihr Studium?
Ein Mathematikstudium ist sehr vielseitig einsetzbar. Das fängt damit an, dass an der Universität Klagenfurt sowohl im Bachelor als auch im Master drei Vertiefungen angeboten werden: Diskrete Mathematik, Analysis und Statistik. Anschließend folgen weitere Spezialisierungen, die natürlich auch im (späteren) Berufsleben Anwendung finden. Ob im Versicherungsbereich als Aktuar, in der Wirtschaft bei einer Bank, in der Industrie oder Agrarökonomie, in den Geowissenschaften oder in verschiedenen Forschungsinstituten – die Karrieremöglichkeiten sind sehr unterschiedlich. Das sieht man auch, wenn man einen Blick auf die Berufsbilder von Kommiliton:innen wirft.
Derzeit sind Sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin beschäftigt. Wie war es für Sie, von Kärnten wegzugehen?
Ich habe Kärnten mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen. Die Familie, die Freunde und insbesondere die Landschaft vermisse ich schon ein wenig. Aber es ist wichtig, die Komfortzone zu verlassen und andere Menschen und Kulturen kennenzulernen. Berlin ist eine Großstadt mit vielen tollen Eindrücken, die auch nach über einem Jahr manchmal überfordernd sein kann. Trotzdem lebe ich gerne in Berlin, genieße die Anonymität, die Freizeitangebote und die vielfältige Kulinarik.
In welche Richtung geht ihre aktuelle Forschung?
Derzeit forsche ich zur Modellierung von anonymisierten georeferenzierten Daten. Der Aspekt der Anonymität ist insbesondere für die Veröffentlichung hochsensibler Daten, d.h. Steuerdaten, von Bedeutung. Nun stellt sich aber die Frage, ab wann solche Daten nicht mehr nützlich sind, da zu viel Information verloren geht. Hierfür werden sogenannte Kerndichtemethoden sowie Small-Area-Verfahren verwendet.
Eine abschließende Frage, Frau Gril… gibt es in der Welt der Mathematik etwas, dass Sie nie verstanden haben?
Ja, natürlich. Mein „Lieblingskurs“ war Algebra, darin drehte sich alles um die Galoistheorie. Ich habe den Kurs erfolgreich bestanden, aber aus dem Stegreif könnte ich heute nicht mehr sagen, um was es genau geht.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Gril.
Wordrap mit … Lorena Gril
- Ein neuer Tag beginnt für mich mit? Kaffee im Bett.
- Ein:e besondere:r Mathematiker:in für mich ist … mein Freund.
- Mein schönster Platz an der Universität Klagenfurt? Der FUNktionsraum.
- Am wissenschaftlichen Arbeiten reizt mich … das Testen.
- Meine Lieblingszahl ist … 16.
- Von Kärnten wegzugehen war für mich … das Verlassen der Komfortzone.
- Mathematik bedeutet für mich … kreativ zu sein.
- Die Universitäten in Berlin und Klagenfurt haben gemeinsam, dass … sie wesentlich zur Wissenschaft beitragen.
- In 10 Jahren bin ich? Glücklich, hoffentlich.