Livia Hofstätter – Das Meer voller Erinnerungen.

Livia Hofstätter

Das Meer voller Erinnerungen

 

Die Sonne brannte ihr auf der Haut. Dieses Gefühl, vollkommen von der Wärme umhüllt zu sein, hatte sie schon lange nicht mehr. Sie hatte es vermisst, die Sonne, das Meer und das Gefühl nicht alleine zu sein. Sie hatte ihre Augen geschlossen und genoss dieses Gefühl, das ihr so sehr gefehlt hatte. Als Kind war sie oft hier, mit ihrer ganzen Familie. Ihre Mutter hatte diesen Ort geliebt. Sie liebte es zu tauchen und von den Klippen ins Meer zu springen. Sie lag gern im Schatten der großen Olivenbäume und hörte den Möwen zu, wie sie kreischend über das Meer flogen. Sie schwärmte gerne Stunden lag davon, wie schön es sein musste, ein Vogel zu sein. Man könnte über die ewigen Weiten des Meeres schweben, der Sonne entgegen und nichts und niemand würde einen aufhalten. Auch sie hatte es geliebt, das Tauchen mit ihrer Mutter. Sie liebten es beide, wenn man beim Tauchen nach oben an die Wasseroberfläche schaute und sehen konnte, wie die Sonne an der Oberfläche glitzerte und sich die Sonnenstrahlen nach unten in die unendlichen Weiten des Meeres erstreckten. An den niedrigen Stellen des Meeres konnte man sogar am Boden des Meeres beobachten, wie das Licht flackerte und tanzte. Es hatte etwas so unglaublich Zauberhaftes für die beiden, sodass sie sich stundenlang darin verlieren hätten können. Ihr fiel ein, wie sehr sie sich immer darauf freute, das Meer zu riechen. Sie liebte diesen salzig süßen Duft. Und wenn man das Meer auch nur kurz schon aus dem Fenster ihres kleinen Busses sehen konnte, hatte sie sofort diesen Duft in der Nase, auch wenn es noch gedauert hätte, bis sie es wirklich riechen konnte.

Ihre Mutter hatte eine Leidenschaft für die Malerei und zeichnete mit Vorliebe die Natur. Doch was sie liebte zu malen, war das Meer. Sie sagte immer, wenn sie ein Element wäre, wäre sie ohne Zweifel Wasser und am liebsten ein großer, unendlich großer Ozean, denn das Wasser ist immer in Bewegung, aufschäumend und wild. Doch hat es auf der anderen Seite etwas so Beruhigendes, man könnte stundenlang zusehen, wie das Wasser auf die Felsen schlägt und sich ineinander verschlingt. Stunden war sie damit beschäftigt, das Meer zu malen.

Sie schaute ihrer Mutter gerne dabei zu und hoffte, das Meer eines Tages auch so malen zu können wie sie, denn sie schaffte es all die Ausdrücke, die sie mit dem Meer verband, auf dem Papier zu einem Bild zu formen. Sie lag da, noch immer, auf dem heißen Sand. Sie hasste es früher im Sand zu liegen, vor allem wenn sie nass war. Doch jetzt wollte sie die ganze Pracht dieses Ortes erleben und dazu gehörte auch der goldige Sand, der sie früher immer unter den Füßen kitzelte. So lange war sie nicht mehr hier gewesen, seit dem Tod ihrer Mutter. Sie hatte Angst davor, diesen Ort ohne ihre Mutter zu besuchen. Sie hatte Angst davor, die Erinnerungen würden sie überrollen. Als sie hier an diesem Ort ankam, kam es ihr schon ein wenig seltsam und ungewohnt vor, doch sie spürte auch, dass es ihr vielleicht helfen würde, den Schmerz zu lindern. Sie dachte an ihre Mutter und sie fühlte sich nicht traurig, sondern vollkommen geborgen, so als wäre ihre Mutter bei ihr. In gewisser Weise war sie das vielleicht ja auch, denn sie verband ihre Mutter schon immer mit dem Wasser und dem Meer, da ihre Mutter es so geliebt hatte. Und so fühlte sie sich ihr nah, hier an der Stelle, wo das Meer voll mit Erinnerungen war.

Sie öffnete ihre Augen und die Sonne schien ihr ins Gesicht. Sie hielt sich die Hand über die Augen, um etwas sehen zu können. Ihr Blick fiel zu den großen Klippen. Als Kind hatte sie sich nie getraut, von den Klippen ins Wasser zu springen. Sie kamen ihr immer so riesig und unüberwindbar vor. Sie bewunderte jeden, der den Mut aufbrachte, sich von ihnen aus in die Wellen zu stürzen.

Sie stand am Rand der Klippe und blickte auf die Weiten des Meeres bis an den Horizont, der ihr so nah erschien, als könnte sie ihn, wenn sie sich ausstrecken würde, berühren. Die Sonne brachte gerade noch letzte Kraft auf und färbte das Meer und den Himmel in Gold- und Rottöne, bevor sie unter gehen würde. Sie ging einige Schritte nach hinten, um Anlauf zu nehmen. Sie rannte auf das Ende der Klippe zu, wo es nach unten gehen würde, ins Meer. Und sie sprang ohne Angst oder Zweifel und während sie sprang, konnte sie ihre Mutter lachen hören, so als würde sie neben ihr von der Klippe springen. Auch sie schrie und lachte zu gleich. Sie fühlte sich frei und unbeschwert, sie fühlte sich ihrer Mutter so nah wie schon lange nicht mehr.