Leserinnen und Leser im Fokus: „Über was Gescheiteres reden als bloßer Smalltalk“
Von 1. bis 3. März 2017 findet an der Alpen-Adria-Universität die Tagung mit dem Titel „Literaturrezeption in Lesegemeinschaften. Social Reading face-to-face und online“ statt. Im Zuge dessen werden unter anderem die Ergebnisse eines demnächst abgeschlossenen FWF-Projekts zu Leserunden vorgestellt.
„Reading Groups kommen aus dem englischsprachigen Raum, werden aber im deutschsprachigen zunehmend populär“, erklärt Doris Moser, die das Projekt am Institut für Germanistik leitet. Sie hat gemeinsam mit Gerda Elisabeth Moser, Katharina Perschak und Claudia Dürr untersucht, wie Laiinnen und Laien in Lesegruppen über Literatur sprechen. Dazu wurden drei Leserunden ein halbes Jahr lang begleitet sowie Literaturforen im Internet analysiert.
Die Forschungsergebnisse zeigen einen entscheidenden Unterschied zwischen face-to-face-Gruppen und Online-Foren: „Während sich face-to-face-Gruppen häufig auch über Literatur hinausgehend miteinander beschäftigen, beispielsweise gemeinsam kochen oder Ausflüge unternehmen, konzentriert man sich in Online-Foren wesentlich stärker auf das Buch an sich“, erläutert Katharina Perschak.
Vielen Diskussionen von Laienleserinnen und –lesern sei eines gemeinsam: „Zentral ist, dass lebensweltliche Bezüge wichtiger als Literaturgeschichte, Arbeit am Text und Sprache sind“, fasst Gerda Elisabeth Moser zusammen. Aber es gehe nicht um identifikatorisches Lesen, sondern um Anregungen und Impulse. Für die Einordnung in die eigene Lebensrealität spielt neben Bildungsgrad und Beruf auch die Leseerfahrung eine entscheidende Rolle. Die Germanistinnen erklären sich die Popularität des Austauschs über Lektüren damit, dass „Lesen als Teil einer Identitätsarbeit“ und die Lesegruppe als ein geschützter Ort für die Beschäftigung mit Themen, die im Alltag keinen Platz finden, begriffen werden kann. Der Leserin bzw. dem Leser könne es anhand des Gesprächs über Bücher gelingen, die eigene Identität weiter auszubilden bzw. sie auszuleben. Der Einfluss der Gruppe auf das Leseverhalten ist erheblich, wie eine Befragung der Mitglieder zeigte: man lese bewusster, achte mehr auf Stil und Sprache, und man lese Bücher, auf die man ohne die Gruppe gar nicht gestoßen wäre. Im Allgemeinen grenze man sich gegenüber der literarischen Expertenkultur ab, so die Ergebnisse.
„Wir wollen Gescheiteres reden als bloßer Smalltalk“, so fasst ein Mitglied einer Lesegruppe die Bedeutung der Runde zusammen. Worüber in den Leserunden gesprochen wird, wird sorgfältig ausgewählt, wie Doris Moser erklärt: „Auf den Leselisten findet man zu 80 Prozent Werke renommierter AutorInnen und so genannter Shooting Stars, also literarisch anspruchsvolle Bücher. Eine wichtige Orientierungsfunktion übernehmen Preise, aber insbesondere Empfehlungen von Menschen, denen man vertraut.“
Tagung: „Literaturrezeption in Lesegemeinschaften. Social Reading face-to-face und online“
mit 23 internationalen Referentinnen und Referenten
1. bis 3. März 2017
Robert Musil-Institut der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Bahnhofstraße 50, 1. Stock
Programm
Ausführliches Interview mit Doris Moser