Krank zur Arbeit: Wie kommt die Forschung dem Präsentismus und seinen Folgen auf die Spur?
Die Grippewelle hat Österreich und Europa wieder im Griff, und damit einher geht für viele Berufstätige die Frage: Wann gehe ich (noch oder wieder) zur Arbeit und wann bleibe ich besser zuhause? Welche Folgen entstehen für mich und für meine*n Arbeitgeber*in mit Blick auf Produktivität, Kosten und Zusammenarbeit? Studien zeigen, dass rund ein Drittel der Arbeitnehmer*innen auch krank zur Arbeit gehen. Heiko Breitsohl forscht an der Abteilung Personal, Führung und Organisation zum so genannten „Präsentismus“. In einer aktuellen Übersichtsarbeit kommt er gemeinsam mit Kolleg*innen zum Schluss: Wir wissen zu wenig über das „Phänomen Präsentismus“ und seine Bedeutung und Folgen werden gravierend unterschätzt.
Präsentismus hat viele Ursachen, wie Heiko Breitsohl berichtet: „Viele Menschen arbeiten heute in prekären Beschäftigungsverhältnissen und haben daher die oft berechtigte Sorge, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.“ Die Untersuchungen zeigen aber auch andere Gründe auf: „Viele haben das Gefühl, dass sonst die Arbeit liegen bleibt und später umso geballter auf einen zukommt, oder sie haben ein starkes Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer beruflichen Tätigkeit. In manchen Unternehmen gibt es auch Regelungen, die vorsehen, dass es sich lohnt, nicht in Krankenstand zu gehen. Dies sind beispielsweise Boni, die dann bezahlt werden, wenn man unter einer gewissen Anzahl an Krankenstandstagen bleibt.“ Oft sei es aber die Arbeitskultur in einem Team oder in einem Betrieb, die – eher unausgesprochen und zwischen den Zeilen – vermittelt, wie man sich zu verhalten hat. Orientierungshilfe bietet da häufig die Führungskraft: „Geht sie krank arbeiten, hat das Einfluss auf das eigene Verhalten“, führt Heiko Breitsohl aus.
Die Frage, wie sich Präsentismus auf die Leistungsfähigkeit von Unternehmen auswirkt, steht nun zunehmend im Fokus der Forschung. Offensichtlich ist, so Heiko Breitsohl: „Für die Organisationen ist Präsentismus mit Produktivitätsverlusten und damit entstehenden Kosten verbunden, da Arbeitnehmer*innen, die krank zur Arbeit gehen, nicht ihre normale Produktivität aufrechterhalten können. Auf individueller Ebene führt Präsentismus zu einer Verschlechterung der Gesundheit und zu darauf folgenden längeren Ausfallzeiten.“
Im Detail ist die Sache aber noch komplizierter, insbesondere ist es schwierig, die Folgen des Präsentismus konkret zu messen: „Präsentismus ist zum Teil ein unsichtbares Phänomen.“ In ihrer Arbeit „To work, or not to work, that is the question – Recent trends and avenues for research on presenteeism” zeigen Breitsohl und seine Kolleg*innen verschiedene Wege auf, wie sich Präsentismus und der damit einhergehende Produktivitätsverlust messen lassen können. Insbesondere sei es kritisch zu sehen, wenn die Höhe der Kosten des Präsentismus geschätzt werden. „Wir plädieren für einen sehr differenzierten Blick auf das Phänomen: In welchen sozialen und kulturellen Kontexten tritt das Phänomen wie auf? Wie können wir die Palette kontextueller Unterscheidungen noch breiter aufstellen? Um dem Präsentismus auf den Grund zu gehen, brauchen wir die aktive Zusammenarbeit vieler – auch disziplinärer – Perspektiven“, fasst Heiko Breitsohl zusammen.
S. A. Ruhle, H. Breitsohl, E. Aboagye, et.al. (2019) “To work, or not to work, that is the question” – Recent trends and avenues for research on presenteeism, European Journal of Work and Organizational Psychology, DOI: 10.1080/1359432X.2019.1704734
Lesen Sie dazu auch den Artikel „Warum gehen Menschen krank zur Arbeit„. Der Westdeutsche Rundfunk hat ein Radiointerview mit Heiko Breitsohl (ab Minute 29) zum Thema geführt.