Katastrophenkommunikation | Foto: Africa Studio/Fotolia

Kommunikation, die Leben rettet

In Katastrophenfällen wie bei Erdbeben bricht häufig die Kommunikationsinfrastruktur zusammen. Gleichzeitig sind Informationen aus dem  Katastrophengebiet essenziell für die Einsatzkräfte, um wirksam und rasch helfen zu können. Forscherinnen und Forscher arbeiten an Werkzeugen,
die diese Lücke schließen. Dazu wurde ein EU-Projekt mit dem Titel „BRIDGE“ abgeschlossen.

Zerstören Erdbeben, Hurrikans oder Tsunamis die Kommunikationsinfrastruktur wie Funkmasten, erschwert dies die Arbeit von Einsatzkräften, gilt es doch, sich möglichst rasch und verlässlich ein Bild über das Ausmaß der Katastrophenfolgen zu machen. Doch auch wenn Masten noch funktionieren, sind die Netze häufig überlastet. An diesem Punkt setzte die Forschungsarbeit von Hermann Hellwagner (Institut für Informationstechnologie) und seinem Team in den letzten Jahren an: „Uns ging es darum, eine Adhoc- Netzwerk-Infrastruktur aufzubauen, die in solchen Fällen den Datenaustausch zwischen Katastrophenopfern und Helfern innerhalb und auch zu Einsatzkräften außerhalb des betroffenen Gebiets ermöglicht.“ In den letzten Monaten wurden zahlreiche Ergebnisse aus dem Projekt vorgestellt, die Ansatzpunkte für weitere Entwicklungen in dem Bereich liefern könnten.

WLAN als Ersatz-Netzwerke
Brechen nun im Katastrophenfall die Mobilfunknetze zusammen, muss man auf lokal organisierte Ad-hoc-Netzwerke umrüsten. Die Herausforderung dabei: Auch wenn nun Einsatzkräfte mobile WLAN-Router dabei haben oder ihre eigenen Smartphones zu WLAN-Hotspots werden, muss man bei dieser Form der Versorgung damit rechnen, dass es zu Unterbrechungen, Überlastungen oder schlechten Verbindungen kommen kann. Diesem Problem widmete sich Christian Raffelsberger mit seiner Dissertation: Er hat das so genannte unterbrechungstolerante Routing eingesetzt und weiter entwickelt, das in diesem Fall eine verlässlichere Datenübertragung ermöglichen soll. Versucht nun ein Retter vergeblich, ein Bild an die Einsatzzentrale zu senden, sucht der Algorithmus nach anderen Geräten innerhalb des Helferteams, um die Informationen so zu verbreiten. Steht gar kein verfügbarer Empfangsknoten zur Verfügung, kommt es zu einer zwischenzeitlichen Speicherung der Daten, um sie später neu zu verschicken. So gelangen die Daten schrittweise zur Einsatzzentrale.

Text, Bilder und Videos aus den Sozialen Medien
In Ergänzung zur direkten Kommunikation der HelferInnen und Hilfsorganisationen können Daten aus Sozialen Medien wie Twitter und Youtube aus dem Katastrophengebiet die Einsatzkräfte dabei unterstützen, das Ausmaß der Situation aus der Ferne besser einzuschätzen. Hellwagner erläutert dazu: „Es kann aber niemand alle Fotos, Tweets und Videos persönlich ansehen und dahingehend analysieren, inwiefern diese für eine Gesamteinschätzung nützlich sein können.“ Daher brauche es ein Tool, das eine automatische Analyse solcher Daten im Zusammenspiel mit anderen Live-Daten vornehmen kann. Die Erstellung eines Gesamt-Situationsberichts müsse besonders schnell erfolgen. In der Dissertation von Daniela Pohl, die ebenfalls am Projekt mitgearbeitet hat, ist es gelungen, Verfahren und Werkzeuge zu entwickeln, die wichtige Ereignisse oder betroffene Orte (halb-)automatisch aus Aktivitäten in Sozialen Medien erkennen und etwa der Einsatzleitung präsentieren können. Relevante von irrelevanten Daten zu unterscheiden, lernt das System dabei mit Unterstützung des Feedbacks der NutzerInnen.

Systeme im Test
Beide Technologien wurden bereits getestet: Daniela Pohl hat die Social-Media- Daten, die im Rahmen des Hurrikan Sandy 2012 entstanden, für ihre Analyse herangezogen. Der Hurrikan versetzte New York in Ausnahmezustand. Während ein Großteil der Infrastruktur über mehrere Tage hinweg ausfiel, wurde von Seiten der Bevölkerung intensiv über Twitter kommuniziert. Mit Hilfe dieses Datenmaterials konnte sie zeigen, dass das eigenständige Lernen des Algorithmus funktioniert: Aus dem Feedback der Nutzerinnen und Nutzer schließt das Programm, welche Informationen als relevant eingeschätzt werden, und nutzt dies für künftige Entscheidungen. Der WLAN-Routing-Algorithmus von Christian Raffelsberger konnte gemeinsam mit anderen Technologien, die im Rahmen von BRIDGE entwickelt wurden, bei einer Übung in Norwegen mit über 100 Einsatzkräften erprobt werden. Man simulierte dabei einen terroristischen Anschlag auf einen Hafen.

Großprojekt abgeschlossen
Die Arbeiten und Ergebnisse beider DoktorandInnen wurden hochwertig und vielseitig publiziert. Das EU-FP7-Projekt BRIDGE lief über vier Jahre mit einem Finanzvolumen von rund 18 Millionen Euro. Die Alpen-Adria-Universität ist einer von 14 Konsortium-Partnern aus Industrie und Wissenschaft aus Norwegen, den Niederlanden, Schweden, Deutschland, Großbritannien, Österreich und der Schweiz. Bei dem Gesamtprojekt ging es darum, mit mehreren Maßnahmen die Opferzahlen im Katastrophenfall auf ein Minimum zu reduzieren und die Sicherheit europäischer BürgerInnen bei großflächigen Katastrophen zu steigern. Dabei sollten unter anderem neue technische Lösungen zur Anwendung kommen, um die Organisation und Kommunikation zu verbessern. Ein weiterer österreichischer Partner war die Universität Salzburg, wo ein Expertensystem entwickelt wurde. Diese Software kann aktuelle Daten zur Katastrophe zusammenführen und Empfehlungen zum Umgang geben. Die für die Einschätzung wichtigen Informationen erhält das System von einer Drohne, einem Hexakopter.

für ad astra:  Romy Müller

Hermann Hellwagner

Hermann Hellwagner

Hermann Hellwagner, Leiter des Klagenfurter Teilprojekts zu den Zielen von BRIDGE: „Zu wissen, wo sich wie viele Opfer befinden und in welcher akuten Gefahr sie gerade sind, ist für die Katastrophenhilfe wesentlich. Wir konnten dafür neue Technologien entwickeln.“

Zum Projekt BRIDGE



BRIDGE „Bridging resources and agencies in large-scale emergency management“

Förderung durch EU-Rahmenprogramm 7

Projektdauer: 51 Monate

Projektabschluss: Juni 2015

www.bridgeproject.eu