“Jugendliche suchen einen Ort, wo sie frei sein können”

Medienwissenschaftlerin Tanja Oblak Črnič von der Universität Ljubljana lehrte ein Semester an der Universität Klagenfurt als Alpen-Adria-Gastprofessorin zu “Digital Citizenship”. Im Interview spricht sie über Jugendliche als „digitale Bürger bzw. Bürgerin“.

 

Mit der Alpen-Adria-Gastprofessur der Fakultät für Kulturwissenschaften soll die wissenschaftliche Vernetzung im Alpen-Adria-Raum gefördert werden. Zudem dient die Gastprofessur der Erweiterung der Kenntnisse über die Alpen-Adria-Region und zum wissenschaftlichen Gedankenaustausch im Bereich der Forschung und Lehre. Bereits seit 2005 werden Professorinnen und Professoren aus dem Alpen-Adria-Raum jedes Semester zur Abhaltung einer Lehrveranstaltung an die AAU eingeladen.

Frau Oblak Črnič, Sie lehren für ein Semester am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft. Wie kam es dazu?
Im Sommer 2018 erhielt ich eine offizielle Einladung als Gastprofessorin von Prodekanin Caroline Roth-Ebner. Ich habe nicht gezögert und mit Freude diese Einladung angenommen. Die Einladung ehrte mich sehr. Es freut mich insbesondere, mit Studierenden zu arbeiten. Dies stellt eine große Herausforderung und Verantwortung dar. Es interessiert mich zu erfahren, wie die Klagenfurter Studierenden denken, welchen Themen sie sich widmen und wie sie innerhalb der Lehrveranstaltung kommunizieren. Meine Motivation als Gastprofessorin tätig zu sein, war daher primär professionell begründet. Ich wollte ergründen, was es heute bedeutet, an einer Universität außerhalb meiner üblichen Umgebung zu unterrichten. Da Klagenfurt von Ljubljana nicht weit voneinander entfernt liegen, fiel mir die Entscheidung die Gastprofessur für ein Semester anzunehmen, wirklich nicht schwer.

Was verbindet Sie mit dem Institut?
Seit meiner Promotion pflege ich als Gastdozentin und Forscherin Kontakte zum Institut. Den ersten Kontakt knüpfte ich mit Christine Schachtner und sie lud mich an das Institut zu einem Vortrag über E-Demokratie ein. Das Verbindende sind gemeinsame Forschungsprojekte im Bereich digitaler Kultur, neue Medien und Veränderungen der Demokratie und Politik.

Wie steht das in Verbindung mit Ihrer Alpen-Adria-Gastprofessur?
Ich sehe das als einen weiteren logischen Schritt unserer Zusammenarbeit. Meine Forschungsschwerpunkte haben sich im Laufe der Jahre erweitert, von Politik- und Kommunikationswissenschaft bis hin zur Mediennutzung im Alltag, mit Fokus auf Jugendliche als digitales Medienpublikum. Ich wollte gerne eine Lehrveranstaltung anbieten, die meine bisherige Forschung mit meinen persönlichen Interessen kombiniert.

Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Lehrveranstaltung „Digital culture, politics and youth?“ an der Universität Klagenfurt?
Die Lehrveranstaltung beinhaltet Diskurse, empirische Studien und konzeptionelle Rahmen im Zusammenhang mit neuen Smart Technologien, digitalen und konvergenten Medien. Wir betrachten diese im breiteren Kontext der modernen politischen Kultur. Anhand von Fallstudien diskutieren und untersuchen wir mit den Studierenden, wie Jugendliche als „digital natives“ neue intelligente Geräte verwenden, um als digitale Aktivistinnen und Aktivisten oder digitale Bürger auf der lokalen, nationalen sowie globalen Ebene mitzumachen.

Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?
Aktuell finde ich den Mediendiskurs rund um die so genannten „digital natives“ sehr bedenklich. Was ich sehe, lese und im öffentlichen als auch medialen Diskurs beobachte, herrscht eine große Medienpanik, was die neue „digitalisierte Jugend“ betrifft. Immer wird an diesen jungen Generationen etwas bemängelt: Sie beschäftigen sich zu oft und zu lange mit ihren Smartphones, sie interessieren sich nicht für die reale Welt, sie sind entweder zu unwissend, oder zu egoistisch, oder zu individualistisch. In meiner Forschung zum digitalen Medienkonsum bei Jugendlichen bemühe ich mich um eine Gegenüberstellung dieser stereotypischen Bilder oder Wahrnehmungen der Jugend mit den konkreten Praktiken, Zielen und Ängsten der jungen Menschen. Die Frage stellt sich dabei: Sind wirklich alle Jugendlichen süchtig nach ihren Smartphones? Sind sie in ihrem online-Verhalten wirklich alle passiv und naiv unwissend? Solche Dilemmas haben mich in den letzten fünf Jahren motiviert, Daten zu den persönlichen, technologischen und kulturellen Aspekten des intensiv mediatisierten Alltags der Jugendlichen zu erheben. Ich habe außerdem meine Studierenden motiviert, ähnliche Untersuchungen in ihre eigenen Master- oder Bachelorarbeiten zu integrieren. Nachdem ich mich in den letzten fünf Jahren mit diversen Praktiken, Meinungen, Ritualen und Hoffnungen auseinandergesetzt habe, ergibt sich heute für mich ein weit detaillierteres und komplexeres Bild eines solchen „Lebens am Bildschirm“. Ich versuche einerseits zu erklären, warum die Lücke zwischen der älteren Generation und den jungen Menschen in der heutigen Gesellschaft immer weiter auseinanderklafft, und andererseits untersuche ich, wer dieses Bild des „Generationenkrieges“ produziert. Schließlich plädiere ich dafür, dass die Jugend bei weitem nicht als homogene Einheit betrachtet werden kann.  Meine jüngste Forschung zeigt vielmehr, dass die jungen Menschen als Gruppe in hohem Maße diversifiziert und intern durchaus kontrovers aufgestellt sind.

Und welche Rolle spielt „Digital Citizenship“ bei Jugendlichen?
Erstens gibt es keinen einheitlichen Stil der beschreibt, wie Jugendliche sich in digitalen Zusammenhängen verhalten, und da ist das „Bürgersein“ keine Ausnahme. Zweitens gibt es viele strukturelle Faktoren, die zu dieser Diversität beitragen – nicht nur das Geschlecht und das Alter, sondern auch das soziale und kulturelle Kapital bewirken große Unterschiede in den politischen Praktiken der jungen Menschen. Auf der Basis meiner Forschung, das gilt zumindest im slowenischen Kontext, scheint sich die Mehrheit der Jugendlichen als Bürgerinnen und Bürger sehr konventionell und pflichtbewusst zu verhalten. Aber es gibt auch eine kleine Minderheit, die ganz anders ist. Ich nenne sie Aktivisten. Sie nutzen die neuen Medien auf eine viel kreativere, wirkmächtigere Art und Weise, sie stehen der Politik kritisch gegenüber und sind weitaus mehr demokratisch orientiert. Es gibt aber auch eine Gruppe von Jugendlichen, die wirken sehr apathisch und völlig uninteressiert an der Politik. Als Forscherinnen und Forscher sollten wir gerade dieser Gruppe mehr Aufmerksamkeit schenken.

Wie kann man Jugendlichen beibringen, ein guter „digitaler Bürger bzw. Bürgerin“ zu sein?
Am ehesten funktioniert das ohne die Bevormundung der jungen Menschen und indem man die Chance wahrnimmt, von der Jugend auch etwas lernen zu können. Die Jugendlichen sind nicht schuld an den unerfüllten politischen Potenzialen und schwachen Demokratien, im Gegenteil, man muss sich nur ansehen, was die jungen Menschen in Bezug auf Klima und Umweltpolitik alles tun. Was junge Menschen vermutlich benötigen, ist Anerkennung und die Gelegenheit für die junge Generation, teilzunehmen und auf verantwortliche sowie kritische Weise frei zu sein. Ihr Alltag ist so stark strukturiert, kontrolliert und in einem hohen Grad abhängig von der Ideologie des persönlichen Erfolgs, dass ich ihre eigene digitale Kultur als die „normale“ Art und Weise wahrgenommen habe, mit sich alleine zu sein. Es ist so gesehen kein Wunder, dass sie von einer Plattform zur nächsten wechseln – was sie suchen, ist ein Ort an dem sie frei sein können, ohne permanent von anderen bewertet und kontrolliert zu werden.

Danke für das Interview.

für die Fakultät für Kulturwissenschaften: Lydia Krömer

Zur Person

Tanja Oblak Črnič studierte Soziologie (1996), anschließend absolvierte sie ihr Masterstudium (1999) und promovierte an der an der Universität Ljubljana an der Fakultät für Sozialwissenschaften im Fach Kommunikationswissenschaft. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der University of Helsinki (Finnland) und war 2012 Gastforscherin an der University of California, Berkeley (USA). Seit 1996 ist sie an der Universität Ljubljana tätig, zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin, seit 2005 als Universitätsprofessorin am Institut für Kommunikationswissenschaft.

Als ordentliches Mitglied des Lehrstuhls für Medien- und Kommunikationswissenschaft lehrt sie zu Themen wie Kommunikation und neue Technologien, Kommunikationsforschung und Forschungspraxis. Sie unterrichtet auch im Multimedia-Programm der Fakultät für Elektrotechnik (Universität Ljubljana) und im Studienprogramm für Medien an der Universität Montenegro. Ihr Forschungsinteresse gilt dem Internet, politischer Kommunikation und der Erforschung neuer Medien in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten. In jüngster Zeit beschäftigt sie sich mit Fragen von „digital citizenship“ und der Nutzung digitaler Medien, vor allem bei Jugendlichen im Kontext ihres sich wandelnden Alltags und Familienlebens. Die Ergebnisse ihrer Forschung werden regelmäßig in slowenischen und internationalen Publikationen veröffentlicht und auf wissenschaftlichen Konferenzen präsentiert.

Im Sommersemester 2019 lehrte Tanja Oblak Črnič als Alpen-Adria-Gastprofessorin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft im Masterstudium zum Thema „Digital culture, politics and youth“.

TIPP

Am 18. Juni hält Tanja Oblak Oblak Črnič einen Gastvortrag zum Thema

„Life on the Screen? Challenges and Controversies of Digital Youth“

  1. Juni 2019 | 16.00 Uhr | Hörsaal 1