Interdisziplinäre Perspektiven auf Recht und Ethik in einer mediatisierten Welt
„Brauchen Recht und Ethik einander – und wenn ja, inwiefern?“ lautete die Fragestellung, der
rund 40 WissenschaftlerInnen bei der Tagung des Interdisciplinary Media Ethics Centre (IMEC)
von 6. bis 8. November 2019 an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt nachgingen. In
verschiedenen Fachvorträgen wurden interdisziplinäre Perspektiven auf ethische wie
rechtliche Herausforderungen in einer mediatisierten Welt eingenommen und diskutiert.
Dass Recht und Ethik ständigen Austausches bedürfen, steht nach dieser Tagung außer Frage.
Dennoch sprach Nikolaus Forgó (Universität Wien) in seiner Keynote zum Thema „Lässt sich
Technologieentwicklung (heute noch) rechtlich steuern?“ davon, dass wir es mit einem
„Broken Law“ zu tun hätten. Das Recht wäre – zumindest in Europa – im Moment nicht in der
Lage dazu, auf technologische Entwicklungen wie algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse
adäquat zu reagieren. Er beobachtet zwar einen reflexartigen Ruf nach ethischen
Evaluierungen und deren gesetzlichen Fixierung, hält aber mehr Vorabprüfungen und
Kontrollen durch Aufsichtsinstitutionen für nötig.
Doris Hattenberger (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) rückte die zunehmende Erosion der
Privatsphäre als Folge der Digitalisierung in den Fokus ihres Beitrages. Sie ging hier vor allem
der Frage nach, wie es um den Schutz jener bestellt ist, die sich noch nicht oder nicht mehr
schützen können, konkret: dem Schutz der Privatsphäre von Minderjährigen und Toten.
Aufgrund der Digitalisierung sieht sie gerade in diesen Bereichen eine lückenhafte
Rechtsordnung und den Gesetzgeber gefordert, entsprechend zu handeln.
Leonie Seng (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) beschäftigte sich mit aktuellen Debatten
über digitale Technologien, die unter juristischen und ethischen Gesichtspunkten geführt
werden. Dabei wurde ersichtlich, dass die Durchsetzungskraft von juristischen Gesetzen zwar
viel höher und verlässlicher sei, als bei ethisch begründeten Überlegungen, die primär danach
fragen, was normativ gewollt ist und was nicht. Zugleich wies sie aber auch auf die
Schwierigkeit hin, aufgrund der Internationalität und der entsprechend unterschiedlichen
Handhabungen juristische Verbindlichkeit zu erzielen.
Julia Alessandra Harzheim (Universität Tübingen) referierte über die diskursive Legitimierung
von Rechtsnormen am Beispiel von aktuellen medizinethischen Dilemmata. Die
Rechtsdogmatik stehe vor der Herausforderung, ethische Grundsätze in ihrer prozeduralen
Gesetzgebung berücksichtigen zu müssen. Im Detail befasste sie sich mit dem Thema der
Sterbehilfe und stellte die Frage, ob die strafrechtliche Regelung der Sterbehilfe noch
zeitgemäß sei, in den Raum.
Caja Thimm und Laura Thimm-Braun (Universität Bonn bzw. Universität Wien) beleuchteten
Herausforderungen, die mit Maschinen einhergehen, denen ein rechtlicher Status in Form
einer „elektronischen Person“ zugesprochen werden solle. Am Beispiel von Drohnen und ihrer
potentiellen Weiterentwicklung hin zu autonomen Waffen bezweifelten sie, dass eine Waffe
so programmiert werden könne, dass sie wie ein menschlicher Kämpfer reagieren könne und
in weiterer Folge auch in der Lage wäre, die Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts
einzuhalten.
Matthias Rath (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) beschäftigte sich mit der Frage, ob
und – gegebenenfalls – wie, moralisch kompetenten Maschinen Personenrechte
zuzugestehen seien. Unter Bezugnahme auf den Rechtspositivismus (Hans Kelsen) verneinte
er dies.
Überlegungen zur sogenannten technologischen Singularität – also jenem Zeitpunkt, ab dem
Maschinen sich selbst verbessern und so den technischen Fortschritt massiv beschleunigen
können – stellte Friedrich Krotz (Universität Bremen) an. Gerade für den Rechtsbereich sowie
Werte und Menschenrechte bleiben aus seiner Sicht zentrale Fragen offen.
Larissa Krainer und Stefan Rass (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) analysierten Soziale
Medien sowohl aus der Sicht der angewandten Informatik als auch aus der Perspektive der
Medien- und Kommunikationsethik und zeigten auf, dass diese weit eher Zonen der
Überwachung als private Freiheitsräume darstellen. Dafür skizzierten sie technische
Möglichkeiten der Überwachung auf der Mikroebene der individuellen Nutzung, der
Mesoebene (Überwachung durch Organisationen und Unternehmen) sowie der Makroebene
der Staaten.
Michelle Tannrath (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) beschäftigte sich mit der Frage,
ob die digitale Öffentlichkeit als Demokratie 2.0 betitelt werden könne. Sie verglich
gesellschaftsrelevante Aspekte zur prädigitalen Zeit mit jenen im digitalen Zeitalter, um
herauszufinden, welche Auswirkungen der digitale Wandel für das Demokratieverständnis
hätte. Zudem plädierte sie für die (vermehrte) Vermittlung von Medienkompetenz an Schulen,
um bereits Kinder und Jugendliche zu medienmündigen BürgerInnen heranzuziehen.
Florian Saurwein (Österreichische Akademie der Wissenschaften und Alpen-Adria-Universität
Klagenfurt) setzte sich für die Einrichtung unabhängiger Ombudsstellen zur Inhaltsregulierung
auf Internet-Plattformen ein, um die bestehenden Machtverhältnisse besser zu verteilen. Die
neuen kommunikativen Möglichkeiten würden zwar die freie Meinungsäußerung fördern,
gleichzeitig aber auch zur Verbreitung von illegalen und unerwünschten Inhalten führen.
Kerstin Liesem (Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Köln) widmete sich
auf Basis einer Analyse des Medienstaatsvertrages (Deutschland) der Regulierung von
algorithmengesteuerter Kommunikation und ging der Frage nach, welche Auswirkungen
Algorithmen auf die Meinungsvielfalt haben können und welche ethischen Implikationen sich
daraus ergeben. Dabei wies sie darauf hin, dass zunächst Standards einer Regulierung geklärt
werden müssten.
Isabell Koinig und Sandra Diehl (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) stellten Ergebnisse ihrer
Studie zum „Privacy-Paradoxon im Zeitalter digitaler Gesundheitsinformationen und -daten“
vor. Demnach verhalten sich NutzerInnen in Bezug auf ihre Privatsphäre insofern
widersprüchlich, als sie zwar dem Schutz ihrer Daten einen hohen Stellenwert zuordnen,
zugleich aber sehr freizügig mit der Ein- und Freigabe von Daten umgehen. Insofern plädierten
sie für mehr Bewusstseinsschärfung, was mit den Daten passiert.
Gerrit Boehncke (Dissertant an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) befasste sich mit dem
Recruiting in Zeiten der Digitalisierung und stellte sich die Frage, ob modernes und ethisch
korrektes Recruiting heute überhaupt möglich sei, oder ob aufgrund der Digitalisierung die
ethische Dimension des Recruitings zu wenig berücksichtigt werde.
Elisabeth Oswald (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) vermittelte in ihrer Keynote nicht nur
das technisch komplexe Verfahren der Kryptografie in anschaulicher Form, sie erläuterte
zudem, inwiefern es eine wichtige Grundlage moderner Demokratie darstellen kann.
Schließlich zeigte sie auf, welche technischen Möglichkeiten Kryptografie bietet, wo heikle
Lücken bestehen, die Überwachung ermöglichen und wo die Grenzen unseres Wissens bzw.
technischen Standes sind. Zudem erteilte sie einige Tipps für einen bewussteren und
sensibleren Umgang mit Technologien und den damit verbundenen Datenspuren.
Gudrun Marci-Boehncke und Hanna Höfer-Lück (Technische Universität Dortmund) nahmen
sich der Vor- und Nachteile von politischen Online-Foren an. Am Beispiel eines Online-Forums
des Deutschen Bundestages illustrierten sie, dass die Eingriffe der ModeratorInnen nicht
konsequent genug gewesen seien, was zur Bildung einer Echokammer geführt habe. Daraus
resultiere wiederum eine Diskrepanz zwischen dem ursprünglichen Zweck und der
tatsächlichen Ausführungsform von Online-Foren, weshalb sie empfahlen, die Debatten in
Online-Foren nicht als Spiegel der Gesellschaft zu werten und für mehr Bewusstseinsschaffung
plädierten, dass politische Online-Foren nicht immer die Meinung der Gesellschaft
widerspiegeln würden.
Aus einer bildungspolitischen Perspektive thematisierten Gudrun Marci-Boehncke, Tatjana
Vogel und Malte Delere (Technische Universität Dortmund) medienethische Fragestellungen
in Bezug auf parteipolitisch instrumentalisierte Social Media. Am Beispiel einer
Onlineplattform zeigten sie auf, wie versucht wird, Personen aus dem Prozess der
demokratischen Meinungsbildung auszuschließen. Um diesen Entwicklungen
entgegenzuwirken, seien nicht nur Rechtswissenschaft und Bildungspolitik gefordert, sondern
auch eine verstärkte Beobachtung aus medienethischer Sicht.
Tagungsdokumentation: Larissa Krainer und Sarah Rieger