Medienverantwortung und Rechenschaftspflicht | Foto: svort/Fotolia

„In Krisenzeiten großes Vertrauen in Wissenschaft“

Das Coronavirus zeigt die Vielfalt der Medienlandschaft auch hierzulande auf: Während die bunten Blättern starke sprachliche Geschütze aufgefahren, erlebt auf der anderen Seite der Qualitätsjournalismus mit wissenschaftsbasierter Berichterstattung einen neuen Aufschwung. Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin spricht im Interview über Medienlogiken und die Herausforderungen der Gesundheitskommunikation.

Dieses Interview wurde am 11. März geführt und am 12. März 2020 veröffentlicht.

Herr Karmasin, wie geht es Ihnen dieser Tage?

Danke, mir geht es gut. In meinem Alter ist das Coronavirus glücklicherweise auch noch wenig bedrohlich, daher kann ich ruhig, aber vorsichtig den Entwicklungen entgegensehen.

Wie würden Sie aktuell über die österreichische Medienlandschaft im Umgang mit dem Coronavirus urteilen?

Diese Frage muss man differenziert sehen. Der Unterschied wird aktuell sehr deutlich: zwischen jenen, die sich um eine unaufgeregte, nicht sensationslüsterne Berichterstattung bemühen und jenen, die Clickbait betreiben und die die Aufmerksamkeit durch Zuspitzung im Kern ihres Geschäftsmodells haben. Man muss sich also schon fragen, wie man auch in solchen Situationen die gesamtgesellschaftliche Verantwortung von Medien einfordern kann.

Was lernen wir daraus, dass aktuell deutlich mehr Wissenschaftler*innen als sonst in den Medien zu Wort kommen?

Das zeigt meiner Ansicht, dass die Wissenschaft trotz aller Vorbehalte in Krisenzeiten immer noch eines jener Subsysteme der Gesellschaft ist, bei denen man darauf vertraut, dass die Qualitätssicherungsmaßnahmen und der Prozess, über den man zu validen Aussagen gelangt, doch eine höhere Verlässlichkeit hat, als alle anderen Systeme. Scheinbar gibt es hier ein großes Grundvertrauen.

Wie kommt es, dass man das Gefühl hat, die Berichterstattung zu Corona wäre überall blattfüllend?

In der Kommunikationswissenschaft nennen wir diesen Effekt „Over Reporting“. Im deutschsprachigen Raum wurde er beispielsweise an Vulkanausbrüchen untersucht: Man weiß, Vulkanausbrüche kommen selten vor; dennoch wird, wenn einmal ein Vulkan ausbricht, mitunter über Wochen hinweg darüber berichtet und schließlich hat man als Medienkonsument*in den Eindruck, es gäbe wesentlich mehr Vulkanausbrüche. Wir erklären uns das, indem wir einen Blick in das Redaktionsgeschehen werfen. Dort hat man nach einem solchen Ereignis schnell viel Know-how aufgebaut, man hat die wichtigsten Ansprechpartner*innen im Handy gespeichert, außerdem wird ein solches Event zum fixen Bestandteil der Redaktionssitzungen. Um diesen Effekt im Blick zu halten, gibt es in seriösen Medien Qualitätssicherungssysteme.

Kann es auch zu einem Overload bei den Medienkonsument*innen kommen?

Gesundheitsthemen sind existenziell, und es zeigt sich aus vielen Studien, dass diese Themen bei den Rezipient*innen sehr gut ankommen. Das sieht man auch an den Verkaufszahlen der Medien, wenn sie Gesundheitsthemen auf den Covern haben. Bei einer Krise wie der aktuellen, die auch das persönliche Lebensumfeld der Menschen betrifft, glaube ich nicht, dass es zu einer Übersättigung kommt.

Aus Italien wird vielfach berichtet, dass die politisch beschlossenen Maßnahmen nicht immer erfolgreich an die betroffene Bevölkerung kommuniziert werden konnten. Was kann man daraus lernen?

Es kann scheinbar nur schwer rekonstruiert werden, wo das Problem seinen Ausgang nahm. Dafür bin ich auch kein Experte. Vielfach wird aber berichtet, dass unter jenen, die zur Verbreitung des Virus beigetragen haben, viele Gastarbeiter*innen aus China waren, die nach dem chinesischen Neujahr in die Textilfabriken in Oberitalien zurückgekehrt sind. Das sind vielfach Leute, die aufgrund der Sprachbarriere viele dieser Kommunikationsmaßnahmen nicht erreicht hat. Es wäre daher bedenkenswert gewesen im Hinterkopf zu haben, dass die Gesellschaft bunter und diverser ist, als man sich das manchmal vorstellt.

Wie nehmen Sie die Gesundheitskommunikation hierzulande wahr?

Die Botschaften werden derzeit gut kommuniziert. Ich glaube, dass dabei aber nicht nur die Medien, sondern auch Einrichtungen wie den Universitäten, der Akademie der Wissenschaften, den Fachhochschulen und viele anderen eine Vorbildfunktion zukommt. Wir müssen uns besonders vorbildlich verhalten, sowohl in der Prävention als auch in einem seriösen Umgang mit den Herausforderungen. Eine Eindämmung einer Epidemie braucht so gut wie alle Kreise der Bevölkerung, aber auch die Kommunikation braucht mehr als nur Medien, sondern auch die Organisationskommunikation großer Einrichtungen. Das funktioniert bis jetzt ganz gut.
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Zur Person

Matthias Karmasin ist Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität sowie Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften und der AAU und seit 2011 korrespondierendes Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW.

Matthias Karmasin