In der Gemeinschaft lernen
Die Lebenswelt gibt vor, was wir lernen: Wenn wir ein Haus renovieren oder Familienangehörige pflegen, ist es die lokale Gemeinschaft in der Gemeinde, die informelle Angebote zur „Weiterbildung“ bereitstellt. Irene Cennamo untersucht diese „Community Education“.
„Die Gemeinden sind nah an der Lebensrealität ihrer Bürgerinnen und Bürger dran“, erklärt uns Irene Cennamo, die im Bereich der Erwachsenenbildung und beruflichen Bildung arbeitet. Für die lokalen Communities sei es daher häufig auch selbstverständlich, informelle Orte des Lernens – beispielsweise in Vereinen oder bei Stammtischen – zu schaffen, wo Wissen ausgetauscht und vermehrt werden kann.
Cennamo interessiert sich dafür, wie dieses (Alltags- und Erfahrungs-)Wissen generiert wird bzw. wie selbstinitiierte, gemeinschaftliche Lern-Handlungsräume entstehen. Grundsätzlich geht die Wissenschaft immer vom lernenden Subjekt aus, zum kollektiven Lernen gäbe es keine ausgeprägte pädagogische Lerntheorie, berichtet uns Irene Cennamo. Dabei käme in selbstorganisierten (meist ehrenamtlichen) Konzepten beiderlei zusammen: „Sowohl die Beziehung zwischen den Lernenden ist für diese Lernprozesse von Bedeutung als auch die Ermächtigung des Einzelnen.“ Dieses Spannungsfeld möchte sie im Zuge ihrer Habilitationsarbeit genau untersuchen und dokumentieren. Dabei verbleibt Cennamos Arbeit nicht auf der Ebene des Theoretischen, sondern sie findet interessante empirische Beispiele in der regionalen Praxis.
Eines davon ist das Konzept der gemeindenahen Weiterbildung, das beispielsweise von der Initiative Erwachsenenbildung Kärnten/Koroška im Villacher Umland ins Leben gerufen wurde. Die Initiatorinnen und Initiatoren (Plattform für Erwachsenenbildung Kärnten/Koroška) haben gemeinsam mit den Gemeinden den Fortbildungsbedarf erhoben und entsprechende lebens- und arbeitsnahe Bildungsangebote organisiert. Ein großes Lernfest – ein erwachsenenpädagogisches Format der „learning cities/regions“ – im Kloster Wernberg mit zahlreichen Workshops, Vorträgen und Mitmachangeboten bildete den Abschluss des Projekts. Irene Cennamo hat gemeinsam mit dem Zuständigen des Landes Kärnten, Otto Prantl, Interviews mit den beteiligten Bürgermeistern geführt, um aus diesem Pilotprojekt Erkenntnisse für weitere Vorhaben zu gewinnen. Das Fazit dabei: „Die Bürgermeister sind sehr empfänglich für die Bedürfnisse in ihrer Gemeinde und leisten starke Beziehungsund Bildungsarbeit, ganz egal, welcher politischen Partei sie angehören. Das war für mich beeindruckend.“ Gemeinsam mit den Interviewpartnern kam man aber auch zu Handlungsempfehlungen, wie der Forcierung der aufsuchenden Bildungsberatung, die in den Gemeinden eine wichtigere Funktion übernehmen kann. Als bedrohlich für gelungene „Community Education“ empfanden die Bürgermeister die Vereinsgesetzgebung, die viel sozial-kreatives Engagement eindämmen würde.
Ihre Arbeit versteht Irene Cennamo nicht nur als erkenntnisgewinnend, sondern sie sieht auch wichtiges (zivil)gesellschaftliches Entwicklungspotenzial: „Dieses kommunale Alltags- und Praxiswissen im Bereich der Bildung braucht allgemein mehr Anerkennung und Wertschätzung sowie Mitsprache innerhalb der klassischen Bildungsinstitutionen. Entsprechende Schnittstellen und Austauschplattformen sollen gefördert werden.“
für ad astra: Romy Müller
Zur Person
Irene Cennamo ist Post-Doc-Assistentin am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung. Ihr eigener Bildungsweg ist nicht linear: Nach vielen Jahren in der Bildungspraxis – unter anderem als pädagogische Leiterin in der Erwachsenenbildung sowie als Vertragsdozentin und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an italienischen Hochschulen – holte sie das Doktorat in Bildungswissenschaften in Südtirol nach und entschied sich für eine „akademische Laufbahn im Dienste einer inklusiven, gemeinwohlorientierten Öffentlichkeit“.